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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Patienten mit primärer und sekundärer Nebenniereninsuffizienz: eine GKV-Routinedatenanalyse

Meeting Abstract

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  • Roland Linder - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Klaus Badenhoop - Medizinische Klinik 1, Schwerpunkt Diabetologie/Endokrinologie, Klinikum der J. W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Gesine Meyer - Medizinische Klinik 1, Schwerpunkt Diabetologie/Endokrinologie, Klinikum der J. W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 147

doi: 10.3205/15gmds186, urn:nbn:de:0183-15gmds1865

Published: August 27, 2015

© 2015 Linder et al.
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Einleitung: Patienten mit einer Nebenniereninsuffizienz können als potenziell lebensbedrohliche Komplikation eine Nebennierenkrise entwickeln, der es unbedingt vorzubeugen gilt. Zum momentanen Stand liegen für Deutschland keine systematischen Erkenntnisse zur Prävalenz dieses Krankheitsbildes und seiner Subentitäten sowie zum Risiko des Auftretens einer Nebennierenkrise vor.

Die primäre Nebenniereninsuffizienz entsteht durch chronische Erkrankungen der Nebennieren selbst. Als häufigste Ursache gilt in entwickelten Ländern der autoimmun bedingte Morbus Addison. In etwa der Hälfte der Fälle ist dieser mit weiteren Autoimmunerkrankungen wie autoimmun bedingten Schilddrüsenerkrankungen und/oder einem Typ 1 Diabetes und/oder sonstigen autoimmunen Komorbiditäten assoziiert. Das Krankheitsbild wird dann als Autoimmunes Polyglanduläres Syndrom (APS) bezeichnet.

Bei der sekundären Nebenniereninsuffizienz ursächlich ist eine bleibende Schädigung der Hirnanhangdrüse (Hypophyse), verursacht zum Beispiel durch Tumoren, Operationen, Traumata oder Bestrahlungen im Bereich der Hypophyse. Der Ausfall der hypophysären Steuerungshormone führt zum Funktionsverlust der Nebennieren.

Sowohl bei der primären als auch bei der sekundären Nebenniereninsuffizienz handelt es sich um sehr seltene Erkrankungen. Dies erschwert die Gewinnung valider epidemiologischer Daten insbesondere auch in Hinblick auf Untergruppen von Patienten mit bestimmten Komorbiditäten.

Die vorliegende Arbeit stellt den ersten Versuch dar, ausgehend von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Prävalenzen für die Grunderkrankungen sowie die damit assoziierten Risiken für krisenhafte Entgleisungen zu bestimmen. Dabei wurden Patienten mit primärer und sekundärer Nebenniereninsuffizienz analysiert. In der Gruppe der primär nebenniereninsuffizienten Patienten wurde gezielt die Untergruppe der Patienten mit autoimmunem Morbus Addison und in dieser wiederum die Gruppe der Patienten mit einem APS untersucht. Gesondert ausgewertet wurde dabei die nach klinischem Anhalt besonders gefährdete Untergruppe der Patienten, bei denen im Rahmen eines APS sowohl ein autoimmuner Morbus Addison als auch ein Typ 1 Diabetes vorliegt.

Material und Methoden: Analysiert wurden die GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse mit momentan mehr als 9,2 Millionen Versicherten. Beobachtungszeitraum waren die Jahre 2010 bis 2013, ausgewertet wurden ausschließlich Daten von Personen, die im Beobachtungszeitraum durchgängig TK-versichert waren. Zugänge oder Abgänge durch Geburt oder Tod wurden nicht ausgeschlossen. Aufgreifkriterien waren stationäre und gesicherte ambulante Diagnosen in Kombination mit definierten Corticosteroiden, kodiert über ICD- bzw. ATC-Codes. Um die von der Grundgesamtheit abweichende Alters- und Geschlechtsverteilung in der Versichertenklientel der TK zu berücksichtigen, wurden alle Ergebnisse entsprechend der Angaben des Statistischen Bundesamtes zum Stichtag 31.12.2011 auf Grundlage des Zensus 2011 alters- und geschlechtsadjustiert.

Ergebnisse: Die 4-Jahres-Prävalenz für die sekundäre Nebenniereninsuffizienz betrug 222 / 1 Mio Versicherte. Für die primäre Nebenniereninsuffizienz zeigte sich eine Prävalenz von 126 / 1 Mio Versicherte. 81 / 1 Mio Versicherte litten an einem autoimmunbedingten Morbus Addison, davon mit 44 / 1 Mio Versicherte etwa die Hälfte im Rahmen eines Autoimmunen Polyglandulären Syndroms (APS). Die Prävalenz des gemeinsamen Auftretens eines autoimmunen Morbus Addison und eines Typ 1 Diabetes mellitus im Rahmen eines solchen APS lag bei 7 / 1 Mio Versicherte.

Patienten mit primärer Nebenniereninsuffizienz wiesen ein signifikant höheres Risiko für die Entwicklung einer Nebennierenkrise auf als Patienten mit sekundärer Nebenniereninsuffizienz (7,6 vs. 3,2 / 100 Patientenjahre). Das Risiko für Patienten mit autoimmunem Morbus Addison lag bei 7,9 / 100 Patientenjahre. Bei Vorliegen autoimmuner Komorbiditäten im Rahmen eines APS zeigte sich ein Anstieg des Risikos für Krisen auf 10,9 / 100 Patientenjahre. Das höchste Risiko für Nebennierenkrisen fand sich in der Untergruppe der Patienten mit autoimmunem Morbus Addison und Typ 1 Diabetes (12,5 / 100 Patientenjahre).

Diskussion: GKV-Routinedaten eignen sich hervorragend zum epidemiologischen Erkenntnisgewinn für seltene Erkrankungen, die in klinischen Studien naturgemäß nur schwer zu adressieren sind.

Daten zur Prävalenz der Nebenniereninsuffizienz basieren bislang vorwiegend auf Schätzungen und auf einzelnen Studien aus skandinavischenLänder, in denen umfangreiche medizinische Register existieren. Mit unserem Ansatz gelang es nun erstmals, valide epidemiologische Zahlen zur Prävalenz der verschiedenen Formen der Nebenniereninsuffizienz in Deutschland zu ermitteln. Die durch uns ermittelten Prävalenzen liegen im Bereich der bisherigen Schätzungen für die primäre und sekundäre Nebenniereninsuffizienz (93-140 bzw. 150-280 / 1 Mio Einwohner) [1]. Eine norwegische Registerstudie zeigte mit 140 / 1 Mio Einwohner eine höhere Prävalenz für den autoimmunen Morbus Addison [2], als wir in unserer Arbeit nachweisen konnten. Für skandinavische Länder ist jedoch auch für andere Autoimmunerkankungen wie den Diabetes mellitus Typ 1 eine etwas höhere Inzidenz verglichen mit Deutschland bekannt [3].

Potentiell lebensbedrohliche Nebennierenkrisen sind gefürchtete Komplikationen bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz. Ursache ist eine akute Unterversorgung mit dem in der Nebenniere gebildeten Stresshormon Cortisol. Nebennierenkrisen können im Rahmen einer bislang nicht diagnostizierten und behandelten Nebenniereninsuffizienz auftreten, häufiger ist jedoch eine unzureichende Dosiserhöhung von Cortisol bei Auftreten akuter Ereignisse wie fieberhaften Infekten oder im Rahmen operativer Eingriffe.

Zur Prävalenz von Nebennierenkrisen existierten bislang kaum valide Daten. Dies war nun durch die Auswertung der GKV-Routinedaten möglich.

Zum ersten Mal ist es damit gelungen, die klinische Beobachtung verlässlich zu bestätigen, dass das Risiko für das Auftreten einer potentiell lebensbedrohlichen Nebennierenkrise bei nebenniereninsuffizienten Patienten mit autoimmunen Komorbiditäten im Rahmen eines Autoimmunen Polyglandulären Syndroms zunimmt. Das höchste Risiko konnten wir für Patienten mit autoimmunem Morbus Addison und Typ 1 Diabetes mellitus nachweisen. Etwa jeder achte dieser Patienten gerät jedes Jahr in eine krisenhafte Entgleisung. Die so gewonnenen wichtigen Erkenntnisse werden dabei helfen, die Anstrengungen zur Prävention krisenhafter Entgleisungen zielgruppenspezifisch zu fokussieren.


Literatur

1.
Arlt W, Allolio B. Adrenal insufficiency. Lancet. 2003;361:1881-93.
2.
Lovas K, Husebye ES. High prevalence and increasing incidence of Addison`s disease in western Norway. Clinical Endocrinology. 2002;56:787-91.
3.
Tamayo T, Rosenbauer J, Wild SH, Spijkerman AMW, Baan C, Forouhi NG et al. Diabetes in Europe: An update. Diabetes Res Clin Pract. 2014;103(2):206-17.