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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Relative Überlebenswahrscheinlichkeiten bei chronischer myeloischer Leukämie im Vergleich mit kumulativen Inzidenzwahrscheinlichkeiten an der Erkrankung zu versterben

Meeting Abstract

  • Markus Pfirrmann - Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwigs-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
  • Verena Hoffmann - Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwigs-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
  • Michael Lauseker - Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwigs-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
  • Joerg Hasford - Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwigs-Maximilians-Universität München, München, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 260

doi: 10.3205/15gmds143, urn:nbn:de:0183-15gmds1431

Published: August 27, 2015

© 2015 Pfirrmann et al.
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Text

Einleitung: Die Einführung von Tyrosinkinaseinhibitoren zu Beginn dieses Jahrtausends revolutionierte die Behandlung von chronischer myeloischer Leukämie (CML). Für den ersten zugelassenen Tyrosinkinaseinhibitor, Imatinib, wurden zu acht Jahren Überlebenswahrscheinlichkeiten von über 80% berichtet. Eine Folge dieser relativ guten Ergebnisse ist die Zunahme an Todesursachen, die nicht ursächlich mit CML in Zusammenhang gebracht werden. Bei 152 Verstorbenen der deutschen CML Studie IV wurden 41% als „nicht direkt CML-bezogen“ eingeschätzt. Ziel unserer Analysen war die Einschätzung, inwieweit heutzutage bei Patienten mit CML Sterbewahrscheinlichkeiten auf die Leukämieerkrankung zurückgeführt werden können.

Material und Methoden: Das Vorliegen relativ kleiner Ereignisraten erfordert die Analyse großer Datensätze. Im Rahmen der „European Treatment and Outcome Study (EUTOS)“ wurden in einem „In-study“-Register auswertbare Daten zu 2290 volljährigen Patienten gesammelt. Die zwischen 2002 und 2006 diagnostizierten Patienten entstammen sechs prospektiven, kontrollierten, universitären Therapiestudien. Alle Patienten befanden sich in chronischer Krankheitsphase und wurden innerhalb von sechs Monaten nach Diagnose initial mit einer auf Imatinib basierenden Therapie behandelt.

Die Überlebenszeit der Patienten wurde ab Beginn der Imatinibtherapie bis zum Tod oder dem letzten Follow-up gerechnet. Die Überlebenszeit von 99 Patienten (4%) mit allogener Stammzelltransplantation in erster chronischer Phase wurde zum Transplantationszeitpunkt zensiert, da das Überlebensrisiko nach Transplantation bei diesen in immer noch stabiler Krankheitsphase transplantierten Patienten nicht mit dem Überlebensrisiko einer fortgesetzten Therapie mit einem Tyrosinkinaseinhibitor in Zusammenhang gebracht werden kann.

Die relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten wurden nach der Methode von Pohar-Perme und Stare gewonnen [1]. Über das Herunterladen von Bevölkerungsdaten von der „Human Mortality Database“ (http://www.mortality.org/) im Mai 2014 war es möglich, Überlebenswahrscheinlichkeiten einer Population zu extrahieren, die gegenüber unserer Patientenstichprobe hinsichtlich der Zusammensetzung aus Herkunftsland der Studie, Geschlecht und Alter im Kalender der Therapiebeginns gematcht war. Die relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten wurden geschätzt, indem die beobachteten Überlebenswahrscheinlichkeiten der Patientenstichprobe über die Gesamtmortalität in den populationsbezogenen Daten adjustiert wurden. Dabei wurden die „Excess Hazard“ für CML-Patienten, an CML zu sterben, aus der beobachteten Hazard der Patientenstichprobe und der bevölkerungsbezogenen Hazard berechnet, dann aus der „Excess Hazard“ das damit assoziierte „Net Survival“ bestimmt und darauf beruhend die relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten geschätzt [1]. Die Berechnungen stützten sich auf die sehr anschaulichen R Funktionen von Pohar-Perme und Stare [2].

Um Wahrscheinlichkeiten, an CML zu sterben nur aus der Patientenstichprobe schätzen zu können, muss zwischen CML-bedingten Todesursachen und CML-unabhängigen Todesursachen unterschieden werden. Wenn vor dem Versterben das Auftreten einer Krankheitsprogression in akzelerierte Phase oder Blastenkrise lag (Definition beider Stadien nach den ELN-Empfehlungen [3]), wurde die Todesursache als CML-bedingt beurteilt, ansonsten nicht. Die kumulativen Inzidenzwahrscheinlichkeiten an CML zu sterben wurden, unter Berücksichtigung von CML-unabhängigen Todesursachen als konkurrierenden Risiken, über den Aalen-Johansen-Schätzer berechnet [4], 95%-Konfidenzintervalle (95%-KI) um eine bestimmte Inzidenzwahrscheinlichkeit nach der Methode von Choudhury [5] geschätzt.

Ergebnisse: Die mediane Beobachtungszeit der 2290 Patienten lag bei 6,3 Jahren. Die Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeiten zu fünf und acht Jahren waren 92% (95%-KI: 91-93%) und 89% (95%-KI: 87-90%). Die entsprechenden relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten betrugen jeweils 96%, 95%-KIs: 95-97% und 93-97%. Bei 208 verstorbenen Patienten war in 92 Fällen (44%) die Todesursache die CML. Als kumulative Inzidenzwahrscheinlichkeiten an CML zu versterben beobachteten wir zu fünf und acht Jahren jeweils 4%, 95%-KIs: 3-5% und 4-5%.

Diskussion: Adjustiert für die bevölkerungsbezogenen Daten, lag sowohl zu fünf wie zu acht Jahren die relative Überlebenswahrscheinlichkeit bei 96%, was mit einer geschätzten CML-bedingten Sterbewahrscheinlichkeit von 4% korrespondierte. Dieselben Wahrscheinlichkeiten waren unter der Berücksichtigung von CML-unabhängigen Todesursachen als konkurrierende Ereignisse und unter Beschränkung auf die vorliegende Patientenstichprobe mit dem Aalen-Johansen-Schätzer geschätzt worden. Die Beschränkung auf die Patientenstichprobe erforderte eine Definition zur Unterscheidung zwischen CML-bedingten und CML-unabhängigen Todesursachen. Die an CML-bedingte Todesursachen geknüpfte Voraussetzung einer zuvor beobachteten Progression ist in anderen Patientenstichproben gut nachvollziehbar, führt tendenziell aber zu einer Unterschätzung der Zahl CML-bedingter Todesursachen. Andere Todesursachen ohne vorherige Progression, wie Infektionen oder therapiebedingte, schwere Nebenwirkungen, könnten ebenfalls durch die CML verursacht worden sein.

Auf der anderen Seite ist das Risiko, an CML zu sterben, auch Teil der populationsbezogenen Hazard. Im Vergleich zum Risiko in den Patientendaten ist dieses Risiko in den Populationsdaten aber sehr gering und kann vernachlässigt werden. Auffällig war dagegen der unlogische, wiederholt auftretende zwischenzeitliche Anstieg der geschätzten relativen Überlebenswahrscheinlichkeiten, der etwa ab der Zeit von fünf Jahren auftrat. In diesen Fällen war die populationsbezogene Hazard, einen Tod zu beobachten, größer als die beobachtete Hazard in der Patientenstichprobe. Die erklärt sich aus den heutzutage relativ hohen Überlebenswahrscheinlichkeiten von CML-Patienten einerseits und aus den Ausschlusskriterien bei klinischen Studien andererseits. Patienten mit schweren Begleiterkrankungen werden nicht zu klinischen Studien zugelassen, sind aber sehr wohl Bestandteil populationsbezogener Daten. Um einer Überschätzung relativer Überlebenswahrscheinlichkeiten entgegenzuwirken, wäre eine bevölkerungsbezogenere, umfassendere Erhebung von CML-Patienten erforderlich.

Relative Überlebenswahrscheinlichkeiten zu berechnen hat den Vorteil, keine subjektive Definition von Todesursachen vornehmen zu müssen. Die Arbeiten von Pohar-Perme und Stare unterstützen das Verständnis und die Durchführung solcher Berechnungen erheblich. Die Vorteile der Berechnung der Sterbewahrscheinlichkeiten mittels Aalen-Johansen-Schätzer liegen im einfacheren methodischen Verfahren und der Nichtnotwendigkeit gematchter Populationsdaten.


Literatur

1.
Perme MP, Stare J, Estève J. On Estimation in Relative Survival. Biometrics. 2012;68(1):113-20.
2.
Pohar M, Stare J. Making relative survival analysis relatively easy. Computers in Biology and Medicine. 2007;37(12):1741-9.
3.
Baccarani M, Deininger MW, Rosti G, Hochhaus A, Soverini S, Apperley JF, et al. European LeukemiaNet recommendations for the management of chronic myeloid leukemia: 2013. Blood. 2013;122(6):872-84.
4.
Kalbfleisch JD, Prentice RL. The Statistical Analysis of Failure Time Data. New York: Wiley; 1980.
5.
Choudhury JB. Non-Parametric confidence interval estimation for competing risks analysis: application to contraceptive data. Statistics in Medicine. 2002;21:1129-44.