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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Studien bei seltenen Erkrankungen: Methodische Aspekte der Zulassungsstudien für Arzneimittel mit europäischer Orphan Drug Designation

Meeting Abstract

  • Ulrich Grouven - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland
  • Ulrich Siering - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland
  • Ralf Bender - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland
  • Volker Vervölgyi - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland
  • Stefan Sauerland - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland
  • Stefan Lange - Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 010

doi: 10.3205/15gmds135, urn:nbn:de:0183-15gmds1354

Published: August 27, 2015

© 2015 Grouven et al.
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Text

Einleitung: Das Thema Seltene Erkrankungen ist von aktueller Relevanz. Die in Europa gebräuchlichste Definition spricht von einer seltenen Erkrankung bei einer Häufigkeit von 5 oder weniger Betroffenen pro 10 000 Einwohner [1]. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat im Jahr 2010 gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e. V.) das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) initiiert [2]. Das Projekt beinhaltet einen Maßnahmenkatalog, der auch Aspekte der Entwicklung von Kriterien zur Bewertung und Auswertung von Studien mit geringer Teilnehmerzahl umfasst. Hierzu wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit einem entsprechenden Rapid Report beauftragt [3].

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die randomisierte klinische Studie (RCT) auch bei seltenen Erkrankungen der Goldstandard für die Bewertung von Interventionen [4]. Jedoch wird die Durchführbarkeit qualitativ hochwertiger Studien aufgrund der geringen Anzahl betroffener Patienten und somit potenzieller Studienteilnehmer oftmals infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund wurde die Studiengrundlage für die Zulassung von Orphan Drugs in Europa untersucht.

Material und Methoden: Im Orphanet erfolgte eine Recherche nach Orphan Drugs, die von 2001 bis Januar 2014 eine europäische Marktzulassung erhalten haben. Aus den European Public Assessment Reports (EPARs) zu den Orphan Drugs sowie dem Orphanet wurden Informationen zu den jeweiligen Zulassungsstudien extrahiert und mithilfe deskriptiver statistischer Verfahren ausgewertet. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Studiendesign und den statistischen Auswertungsverfahren. Zur Klassifizierung und Charakterisierung der eingesetzten statistischen Methoden in den RCTs wurde eine Einteilung der Studien in folgende grobe Kategorien vorgenommen:

M1: Berücksichtigung von Störgrößen (Regressionsmodell / Stratifizierung mit Berücksichtigung von Messungen im Zeitverlauf und / oder prognostischer Faktoren und Baseline-Werten)
M2: Cross-over-Studie
M3: Adaptive Verfahren / sequenzielle Verfahren / Interim-Analysen
M4: Adaptive Randomisierung
M5: Bayesʼsche Verfahren
M6: Sonstige spezielle randomisierte Designs
M7: Erhöhung des Irrtumsniveaus
M8: Sonstige Verfahren (nicht M1-M7)

Ergebnisse: Im genannten Zeitraum wurden in Europa 85 Arzneimittel mit europäischer Orphan Drug Designation zugelassen. Die Zulassung von 6 dieser 85 Orphan Drugs basierte auf Literaturreviews. Die Zulassung der verbleibenden 79 Arzneimittel stützte sich auf 125 Hauptstudien; darunter waren 82 RCTs (66 %). Der Anteil doppelblinder RCTs lag bei 74 %. Ein Großteil der RCTs wurde multizentrisch (95 %), multinational (79 %) und multikontinental (72 %) durchgeführt.

In 27 (67 %) der 82 RCTs kam mindestens eines der definierten statistischen Verfahren M1 bis M7 zum Einsatz. In 43 (52 %) der Studien handelte es sich um Methoden zur Berücksichtigung von Störgrößen (M1). Cross-over-Designs (M2) und sequenzielle Verfahren (M3) wurden in 4 (5 %) bzw. 10 (12 %) der Studien eingesetzt. Eine Erhöhung des Irrtumsniveaus (M7) wurde in 1 Studie vorgenommen. Eine adaptive Randomisierung (M4), Bayesʼsche Verfahren (M5) oder sonstige spezielle randomisierte Designs (M6) wurden in keiner der Zulassungsstudien eingesetzt.

Diskussion: Zulassungen und Zulassungsstudien für Orphan Drugs basieren zu einem großen Teil auf konventionellen (randomisierten) Designs, sodass deren grundsätzliche Machbarkeit auch bei seltenen Erkrankungen nicht infrage steht. Spezielle methodische Verfahren, die auf eine erhöhte Effizienz abzielen, kamen in etwa zwei Drittel der Fälle zum Einsatz.


Literatur

1.
Europäisches Parlament, Rat der Europäischen Union. Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. 2000; 43:1-5.
2.
Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Nationaler Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen: Handlungsfelder, Empfehlungen und Maßnahmenvorschläge. Bonn: NAMSE; 2013.
3.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Bewertung und Auswertung von Studien bei seltenen Erkrankungen: Rapid Report; Auftrag MB13-01. https://www.iqwig.de/download/MB13-01_Rapid-Report_Studien-bei-seltenen-Erkrankungen.pdf (last accessed on 03.02.2015). External link
4.
Cornu C, Kassai B, Fisch R, et al. Experimental designs for small randomised clinical trials: an algorithm for choice. Orphanet J Rare Dis. 2013;8:48.