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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Anforderungen für die Realisierung einer standardisierten semantischen Modellierung von chirurgischen Workflows

Meeting Abstract

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  • Juliane Neumann - Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Thomas Neumuth - Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 232

doi: 10.3205/15gmds107, urn:nbn:de:0183-15gmds1071

Published: August 27, 2015

© 2015 Neumann et al.
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Einleitung: Medizinische und technische Innovationen wie chirurgische Assistenzsysteme und Systeme zur Prozessautomatisierung werden sich im operativen Umfeld weiter etablieren. Vor allem Workflow-Managementsysteme (WfMS) können für die Prozessunterstützung und die Steuerung von medizinischen Geräten eingesetzt werden [1]. Voraussetzung ist die Beschreibung von chirurgischen Aktivitäten in Form von maschinenlesbaren chirurgischen Prozessmodellen (Surgical Process Model (SPM)) [2]. Bisher ist es jedoch nicht möglich SPMs standardisiert abzubilden. Die Modelle variieren hinsichtlich Benennung, Granularität, Darstellung der Prozesselemente, Modellierungsstruktur und Layout. Besonders die Beschreibung der Prozessmodelle und der einzelnen Prozesselemente mit Hilfe der natürlichen Sprache führt zu einer großen Variabilität [3]. Diese Diversität verhindert eine einheitliche technische Repräsentation und Organisation der SPMs sowie eine Wiederverwendung für weitere Modellierungen.

Für die chirurgische Workflow-Modellierung wird daher eine Methodik zur standardisierten Erstellung, Benennung, Visualisierung und Speicherung von Prozessmodellen benötigt. Die semantische Prozessmodellierung, die eine Prozessmodellierungssprache mit einer Terminologie oder Ontologie verbindet, hat sich in der Literatur als Methodik der Wahl durchgesetzt [3], [4]. In der Medizin existieren verschiedene Terminologien und Ontologien, eine Methodik diese mit einer Prozessmodellierungssprache für die standardisierte chirurgische Workflow-Modellierung zu verbinden, fehlt jedoch.

Das Ziel ist die Identifizierung von Anforderungen, die sich aus der standardisierten semantischen Modellierung von SPMs an eine geeignete Prozess- bzw. Workflow-Modellierungssprache sowie eine entsprechende medizinische Ontologie ergeben.

Material und Methoden:

1. Anforderungsanalyse medizinischer Ontologien

Um eine geeignete Ontologie zu bestimmen, wurde eine Anforderungsanalyse hinsichtlich der Funktionalitäten, Eigenschaften und Anwendbarkeit für die semantische Prozessmodellierung durchgeführt. Dabei wurden Anforderungen an den strukturellen Aufbau, den Funktionsumfang, das Level der formalen Semantik, die Größe bzw. die Anzahl der abgebildeten Konzepte und Relationen der Ontologie sowie die Eignung für die Beschreibung von chirurgischen Prozessen erhoben und mit verschiedenen Gewichtungen klassifiziert. Für die initiale proof-of-concept-Analyse der funktionalen Mächtigkeit der Ontologie, wurden beispielhaft 100 Begriffe aus den Bereichen der allgemeinen Chirurgie sowie aus den speziellen Bereichen HNO, Viszeral- und Neurochirurgie ausgewählt. Dabei wurden aus 12 Kategorien, Terminologien für „anatomische Strukturen und Körperteile“, „Diagnosen“, „chirurgische Aktivitäten“, „Prozeduren“, „organisatorische Konzepte“, „Dokumente und Daten“, „IT Systeme“ „medizinische Geräte“, „chirurgische Instrumente“, „Materialien und Implantate“ sowie „Patienten-Parameter“ und „OP-Parameter“ ausgewählt. Bei der Analyse wurden die Terminologien LOINC, MeSH und SNOMED CT hinsichtlich der definierten Anforderungen evaluiert und miteinander verglichen, um eine geeignete Ontologie für die semantische chirurgische Prozessmodellierung auszuwählen.

2. Anforderungsanalyse Prozessmodellierungssprachen für chirurgische Workflows

Die chirurgische Prozess- bzw. Workflow-Modellierung dient der Beschreibung und Visualisierung von Prozessen, vorhandenen Abläufen und Aufgaben. Dazu können verschiedene Informationen in das Modell einfließen, wie Personen, Ereignisse, Zustände oder verwendete Ressourcen. Im Rahmen einer Anforderungsanalyse wurden die derzeit am weitesten verbreiteten Modellierungssprachen, BPMN 2.0, Ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) und YAWL, hinsichtlich der Darstellbarkeit chirurgischer Prozesse und der Eignung für die semantische Prozessmodellierung evaluiert und miteinander verglichen. Zu diesem Zweck wurden 83 Anforderungen in den Bereichen „funktionale-“ (Aspekte des Prozessablaufs), „organisatorische-“ (bspw. Personen und Rollen), „verhaltens-“ (bspw. Entscheidungen und logische Abfolgen) und „informationsbezogene-Modellierung“ (bspw. Daten und Dokumente) sowie die Darstellung von „operationalen“ Aspekten (bspw. IT-Systeme, Geräte) erhoben und klassifiziert.

3. Anforderungsanalyse Ontologie-Mapping

Für die chirurgische Prozessmodellierung soll eine Methodik entwickelt werden, in der eine Ontologie mit einer Prozessmodellierungssprache verbunden wird, sodass Prozessmodelle und Prozesselemente mit Hilfe der Ontologie semantisch annotiert werden können. Zu diesem Zweck müssen die Elemente der Prozessmodellierungssprache definiert und mit formalen Mapping-Algorithmen auf die Konzepte der Ontologie abgebildet werden. Zudem muss überprüft werden, welche Konzepte der Prozessmodellierungssprache von der Ontologie repräsentiert und welche nicht repräsentiert werden können. In der Umkehrung müssen Konzepte der Ontologie in einer 1:1-Relation durch die Prozessmodellierungssprache dargestellt werden können.

Ergebnisse: Für die semantische Prozessmodellierung muss die Ontologie chirurgische Prozesse und Aktivitäten abbilden sowie möglichst viele Begriffe aus den definierten Kategorien über ontologische Konzepte darstellen können. Diese Konzepte sollten neben einer eindeutigen Bezeichnung über einen numerischen Identifier, eine natürlichsprachliche Beschreibung, Synonyme und eine hierarchische Struktur mit logischen und semantischen Relationen besitzen, sodass verschiedene Granularitäten und semantische Zusammenhänge über die ontologische Struktur in der Prozessmodellierung dargestellt werden können.

Mit Hilfe von SNOMED-Konzepten konnten 93 % der ausgewählten Begriffe in allen definierten Kategorien abgebildet werden. Mit MesH können vor allem „anatomische Strukturen“, „Diagnosen“ und „Prozeduren“ umfassend beschreiben werden. In den anderen Kategorien, wie „chirurgische Aktivitäten“ und den benötigten Ressourcen zeigen sich die Defizite der Ontologie, so dass 62 % der ausgewählten Begriffe mit MesH-Konzepten abgedeckt werden können. LOINC ist auf die Beschreibung von klinischen Prozeduren und Laboruntersuchungen spezialisiert. In der proof-of-concept-Analyse konnten daher lediglich 15 % der Begriffe, vor allem in den Kategorien „Dokumente“ sowie „Patienten-“ und „OP-Parameter“ mit der Terminologie dargestellt werden. Als Gesamtergebnis der Evaluation konnte SNOMED CT aufgrund der Mächtigkeit, des strukturellen Aufbaus mit verschiedenen Granularitäten bzw. Relationen sowie seiner formalen Semantik als geeignete Ontologie für die semantische Modellierung chirurgischer Workflows identifiziert werden.

Im Vergleich der untersuchten Modellierungssprachen, können mit der standardisierten Workflow-Modellierungssprache BPMN 2.0, chirurgische Prozesse, Aktivitäten, Entscheidungen und Ereignisse, Personen sowie entsprechende Ressourcen umfassend dargestellt werden. EPK besitzen Defizite im Bereich der funktionalen Modellierung chirurgischer Abläufe, der Abbildung von flexiblen Prozessabläufen und Entscheidungen sowie der direkten Ausführbarkeit durch ein WfMS. YAWL bietet lediglich die funktionale Sicht auf den Prozess, sodass Defizite bei der Darstellung anderer (bspw. organisatorischer) Perspektiven vorliegen. Auf Basis der durchgeführten Anforderungsanalyse konnte daher in der Gesamtbetrachtung, BPMN als besonders geeignet für die chirurgische Prozessmodellierung identifiziert werden.

Sowohl BPMN Flow-objects (Acitivity und Event Elemente) als auch Attribute (bspw. Personen und Daten) können auf die SNOMED-Konzepte übertragen werden. Durch Mapping von BPMN-Konnektoren (z. B. XOR oder AND Gateways) auf die relationalen Beziehungen der Ontologie können die SPMs semantisch annotiert werden. Zudem ist es möglich über die hierarchischen Beziehungen zwischen den SNOMED-Konzepten, SPMs in verschiedenen Granularitäten zu erstellen. Auf Basis von SNOMED CT und BPMN kann ein umfangreiches ontologisches Mapping für eine standardisierte semantische Workflow-Modellierung durchgeführt werden.

Diskussion: Für eine semantische chirurgische Workflow-Modellierung konnten die entsprechenden Anforderungen für die semantischen Annotationen erhoben, klassifiziert und gewichtet sowie ein generelles Konzept präsentiert werden. Im Weiteren müssen auf Basis der Anforderungsanalyse, umfangreiche Mapping-Algorithmen zwischen SNOMED CT und BPMN entwickelt werden. Zudem sollen geeignete technische Werkzeuge konzipiert werden, um die semantischen Annotationen dem Modellierer automatisch zur Verfügung zu stellen und somit die Variabilität der SPMs und den Modellierungsaufwand zu reduzieren.


Literatur

1.
Franke S, Liebmann P, Neumuth T. Connecting workflow management to the OR network: Design and evaluation of a bridge to enable dynamic systems behaviour. Biomed Eng Biomed Tech. 2012 Sep 6;57(SI-1 Track-N):771–4.
2.
Neumuth T, Jannin P, Strauss G, Meixensberger J, Burgert O. Validation of Knowledge Acquisition for Surgical Process Models. J Am Med Inform Assoc JAMIA. 2009;16(1):72–80.
3.
Ehrig M, Koschmider A, Oberweis A. Measuring Similarity Between Semantic Business Process Models. Proceedings of the Fourth Asia-Pacific Conference on Comceptual Modelling - Volume 67. Darlinghurst, Australia; 2007. p. 71–80.
4.
Thomas O, Fellmann M. Semantic Process Modeling – Design and Implementation of an Ontology-based Representation of Business Processes. Bus Inf Syst Eng. 2009 Nov 1;1(6):438–51.