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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Traumacall: Entwicklung einer Benachrichtigungsinfrastruktur zur Unterstützung der Patientenrekrutierung einer Studie zur Sepsisprädiktion bei Traumapatienten

Meeting Abstract

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  • Constantin Bott - Sektion für Medizinische Informatik in Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus Liebig Universität Gießen, Gießen, Deutschland
  • Christian Koch - Sektion für Medizinische Informatik in Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus Liebig Universität Gießen, Gießen, Deutschland
  • Florian Brenck - Sektion für Medizinische Informatik in Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus Liebig Universität Gießen, Gießen, Deutschland
  • Raphael W. Majeed - Sektion für Medizinische Informatik in Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Justus Liebig Universität Gießen, Gießen, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 215

doi: 10.3205/15gmds106, urn:nbn:de:0183-15gmds1069

Published: August 27, 2015

© 2015 Bott et al.
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Einleitung: Patienten mit schweren und lebensbedrohlichen Verletzungen nach akuten Traumata sind eine große Herausforderung für die moderne Intensivmedizin. Polytraumatisierte Patienten zeigen nicht nur durch die direkte Einwirkung des Traumas, sondern auch durch das erhöhte Risiko von nachfolgenden Infektionen eine hohe Mortalität [1]. Um den Zusammenhang von Polytrauma und nachfolgender Infektion genauer zu untersuchen, wird am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen eine Studie zur Sepsisprädiktion in Traumapatienten (SPRINT) durchgeführt. Im Rahmen dieser Studie werden nach Aufnahme eines Traumapatienten auf der Intensivstation die serologischen Infektionsparameter C-reaktives Protein, Procalcitonin, Interleukin 6 und Presepsin im Zeitverlauf analysiert. Der Studieneinschluss erfolgt nach Verletzungsschwere und wird über den Injury Severity Score (ISS) [2] definiert. Dieser wird bislang nicht in der elektronischen Routinedokumentation erfasst und wurde somit von den Studienärzten von Hand berechnet. Da der Einschluss in die Studie nicht nur zuverlässig sondern auch möglichst zeitnah an das Traumaereignis erfolgen muss, soll zur Unterstützung eine Benachrichtigungsinfrastruktur implementiert werden. Ziel ist es, die in Frage kommenden Patienten zuverlässig zu detektieren, die Studienärzte zeitnah zu informieren und nach Abschluss der Studie die Nutzung des Tools zu evaluieren.

Die Routinedokumentation am Universitätsklinikum Gießen erfolgt auf den Intensivstationen durch das Patientendatenmanagementsystem (PDMS) ICUData (Fa. IMESO GmbH, Gießen). ICUData nutzt zur internen Kommunikation den Nachrichtenstandard HL7v2. Dies ist ein in der Medizin weitverbreiteter Nachrichtenstandard, durch welchen medizinische Informationen zwischen elektronischen Systemen syntaktisch kodiert ausgetauscht werden können.

Der ISS ist eine, auf anatomischen Strukturen beruhende Bewertungsskale, zur Beurteilung der Schwere einer Verletzung. Es werden den Verletzungen, differenziert nach sechs Körperregionen (Kopf/Hals, Gesicht, Thorax, Abdomen, Extremitäten sowie Haut/Gewebe) Schweregrade mit Punktwerten von 1 = „Minimal“ bis 6 = „nicht mit dem Leben vereinbar“ zugeordnet [2]. Die Punkte der drei schwersten Verletzung werden quadriert und im Anschluss aufsummiert. Ein ISS >= 16 ist eine hinreichende Definition für ein Polytrauma [3] und somit positives Einschlusskriterium für die Studie.

Material und Methoden: Die Durchführung der Studie erfolgt, nach initialer Stabilisierung der Traumapatienten im Schockraum, während des nachfolgenden Aufenthaltes auf der Operativen Intensivstation bzw. der Operativen Intermediate Care Station. Dort ist auch die Nutzung des Benachrichtigungstools angesiedelt.

Zur Dokumentation der Verletzungsschwere wird der ISS in die Routinedokumentation eingeführt, im PDMS implementiert und der berechnete Score durch die Benachrichtigungssoftware geprüft.

Die Implementierung des ISS im PDMS kann über eine integrierte Formelsyntax erfolgen, die einfache logische Funktion, sowie grundlegende arithmetische und statistische Funktion zur Verfügung stellt.

Benachrichtigungen über potentielle Studienteilnehmer sollen den Studienarzt zeitnah via E-Mail oder Kurznachricht erreichen. Die Benachrichtigungssoftware wird in Java in der Entwicklungsumgebung Eclipse programmiert. Als Kommunikationsschnittstellen werden HL7v2 (eingehend) sowie SMTP-Mail (ausgehend) verwendet.

Für eine nachfolgende Evaluation werden alle Berechnungen und Benachrichtigungen aufgezeichnet.

Ergebnisse: Zur Implementierung der Benachrichtigungsinfrastruktur wurde der ISS in die Routinedokumentation eingeführt. Die Berechnung des Scores erfolgt durch eine vom PDMS bereitgestellte logische Wenn/Dann-Funktion, sowie durch die statistischen Funktionen Maximum und Minimum. Die Berechnung des Scores wird während der Erhebung durch eine umfangreiche Formel automatisch durchgeführt. Die Formel folgt dem folgenden Schema:

WENN Wert der Körperregion 1 = Maximum von (Körperregion 1, Körperregion 2, …, Körperregion 6) UND Wert der Körperregion 2 = Maximum von (Körperregion 2, …, Körperregion 6), DANN ist das Ergebnis Quadrat von Region 1 + Quadrat von Region 2 + Quadrat von Maximum der verbleibenden Regionen.

Diese Regel wird für jede Kombination von 2 aus 6 ausformuliert, so dass die finale Formel aus 15 solcher Regeln besteht.

Durch Integration der Formel in die Standardpatientenvorlage der beteiligten Stationen wird der jeweilige Stationsarzt nach jeder Aufnahme eines Patienten aus dem Schockraum aufgefordert, den Score zu erheben. Zur Unterstützung der Beurteilung werden bei den jeweiligen Schweregraden Beispielverletzung für die Körperregion angezeigt.

Der Empfang und die Verarbeitung von HL7-Nachrichten, die Prüfung des Ergebnisses auf Studieneinschlusskriterien, sowie die Benachrichtigung an einen oder mehrere Studienärzte wurde in Form des Benachrichtigungstools in Java umgesetzt:

Nachdem der Score erhoben wurde, wird das Ergebnis in einer HL7-Nachricht vom Typ ORU R01 im OBX-Segment vom PDMS an den zentralen Kommunikationsserver des Klinikums gesendet. Von dort wird die HL7-Nachricht an die entwickelte Software im internen klinischen IT-Netz weitergeleitet. Der Empfang der Nachricht, wird über eine Empfangsbestätigung an den Kommunikationsserver bestätigt und der Score aus dem OBX-Segment der Nachricht extrahiert. Beträgt der Scorewert die als Einschlusskriterium festgelegte Größe >=16, wird das Aussenden einer Benachrichtigung an die Studienärzte ausgelöst.

Die Benachrichtigung erfolgt durch eine E-Mail an eine zuvor definierte Adresse. Für eine SMS-Textnachricht wird eine E-Mail an einen SMS-Gateway gesendet, welches wiederum eine SMS verschickt. Die Benachrichtigung enthält keine Patientendaten, sondern lediglich die Information, dass ein potentieller Studienpatient identifiziert wurde.

Um nach Abschluss der Studie eine Evaluation zu ermöglichen, wird im Benachrichtigungstool eine Logdatei angelegt. Diese enthält neben einem Zeitstempel die Patienten-ID, die Information ob eine Benachrichtigung gesendet wurde und ob der Patient letztendlich in die Studie aufgenommen wurde.

Diskussion: Die vorgestellte Benachrichtigungsinfrastruktur ermöglicht es, Studienärzte möglichst zeitnah über potentielle Patienten zu informieren und somit einen potentiellen Studieneinschluss zu beschleunigen.

Für künftige Studien oder Anwendungen ist es denkbar, die Infrastruktur um eine komplexe Regelverarbeitung zu erweiterten. Diese müsste mehrere unabhängige Parameter eines Patienten überprüfen können. Dafür wäre allerdings eine Zwischenspeichermöglichkeit notwendig, beispielsweise in Form einer Datenbank. Denkbar wäre so etwa eine Prüfung auf die Erfüllung bestimmter Sepsis-Kriterien, um die Einleitung einer adäquaten Therapie zu beschleunigen.

Die SMS-Benachrichtigungen wurden über E-Mails an vorhandene SMS-Gateways realisiert. Alternativ könnte ein Telefonie/GSM-Modul angesteuert und somit ein Umweg über ein externes SMS-Gateway erspart werden. Dadurch könnte ein Sprachanruf angeboten werden, der nach Authentifizierung Patienteninformationen übermittelt [4].

Die geplante Evaluation der Benachrichtigungsinfrastruktur soll nach Abschluss der SPRINT-Studie durchgeführt werden. Um den Nutzen der Infrastruktur zu belegen, wird bereits im laufenden Betrieb ein sogenanntes Off-On-Off Design umgesetzt. In den Off-Phasen rekrutieren die Studienärzte auf konventionelle Weise Patienten. In der On-Phase unter Zuhilfenahme des Traumacall-Tools. Im Anschluss kann anhand des Log-Files dargestellt werden, ob durch den Einsatz von Traumacall der Studieneinschluss schneller und zuverlässiger erfolgen konnte.


Literatur

1.
Papia G, McLellan BA, El-Helou P, Louie M, Rachlis A, Szalai JP, et al. Infection in hospitalized trauma patients: incidence, risk factors, and complications. The Journal of trauma. 1999; 47(5):923–7.
2.
Baker SP, O'Neill B, Haddon W, Long WB. The injury severity score: a method for describing patients with multiple injuries and evaluating emergency care. The Journal of trauma. 1974; 14(3):187–96.
3.
Butcher N, Balogh ZJ. The definition of polytrauma: the need for international consensus. Injury. 2009; 40 Suppl 4:S12-22.
4.
Majeed RW, Stöhr MR, Röhrig R. Proactive authenticated notifications for health practitioners: two way human computer interaction through phone. Studies in health technology and informatics. 2012; 180:388-92.