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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Auf der Suche nach den Voraussetzungen eines erfolgreichen IT-Adoptionsprozesses – Ein empirischer Vergleich der Awareness-Knowledge von Pflegedienstleitungen und IT-Leitern

Meeting Abstract

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  • Jan-David Liebe - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Jens Hüsers - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Ursula Hübner - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 222

doi: 10.3205/15gmds086, urn:nbn:de:0183-15gmds0860

Published: August 27, 2015

© 2015 Liebe et al.
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Einleitung: Unter dem theoretischen Rahmenwerk von Rogers‘ Diffusion of Innovation Theorie [1] befassen sich zunehmend mehr Forschungsaktivitäten mit der IT-Adoption von Krankenhäusern [2]. Im Fokus steht dabei die Frage, warum einzelne Einrichtungen IT optimaler in ihre Organisation einbinden als andere. Organisatorisch einbinden bedeutet hierbei das erfolgreiche Bestreiten von IT-Adoptionsprozessen, die nach Rogers‘ in fünf Phasen unterteilt werden können: Knowledge, Persuasion, Decision, Implementation, Confirmation [1]. Bisherige Studien konzentrieren sich fast ausschließlich auf spätere Phasen dieses Prozesses, insbesondere auf die Implementierungsphase [2], [3], [4]. Die Knowledge-Phase, die mit der Schaffung von Awareness-Knowledge beginnt, bleibt weitestgehend unbeachtet. Awareness-Knowledge wird nach Rogers‘ definiert als die erste Kenntnisnahme einer neuen Technologie [1]. Für den Beginn eines erfolgreichen IT-Adoptionsprozesses ist in Krankenhäusern die Awareness-Knowledge von übergeordneten Entscheidungseinheiten („decision-making-units“ [1]) besonderer kritisch, da sich in den oftmals stark hierarchisch aufgebauten Organisationen individuelle Nutzer nur schwerlich für oder gegen die Anwendung neuer Technologien entscheiden können [5]. Zwei der wohl wichtigsten Entscheidungseinheiten unter den IT-Stakeholdern in Krankenhäusern sind die Pflegedienstleitungen (PDL) und die IT-Leiter. PDL nehmen zumeist die Rolle eines Gate-Keepers [5] bzw. eines Promotors [6] für den Einsatz neuer IT-Funktionen ein. Gleichzeitig repräsentieren sie die größte IT-Nutzergruppe [7]. Auf der anderen Seite ist es die Aufgabe des IT-Leiters, IT auf operativer und strategischer Ebene in die Organisation einzubinden [8]. Hierfür muss er zuallererst von der Existenz der betreffenden Technologien erfahren. Awareness-Knowledge entsteht über Informationsweitergabe [1]] weshalb in dieser Studie untersucht werden soll: (1.) ob ein Informationsgefälle zwischen der Awareness-Knowledge von PDL und IT-Leitern besteht, (2.) ob dieses Gefälle einseitig ist, (3.) ob es verstärkt bezüglich bestimmter Funktionen auftritt und (4.) welche strukturellen und managementbezogenen Merkmale mögliche Informationsgefälle erklären können.

Material und Methoden: Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden zwei Datensätze des IT-Report Gesundheitswesen [9] zusammengeführt. Die Datensätze stammen aus deutschlandweiten Umfragen zum Thema „IT-Unterstützung klinischer Prozesse“, die Ende 2013 an 1317 IT-Leiter und 1754 PDL geschickt wurden. Die Rücklaufquote für die IT-Leiter-Befragung betrug 19,7% (n=259), für die PDL-Befragung 26,5% (n=464). Beide Befragungen wurden unabhängig voneinander und anonymisiert durchgeführt. Das Matching der Datensätze erfolgte über einen Abgleich von Postleitzahl, Trägerschaft und Krankenhaustyp, wodurch insgesamt 75 Krankenhäuser identifiziert werden konnten. Zur Operationalisierung des Informationsgefälles wurde untersucht, welche Angaben PDL und IT-Leiter zur Umsetzung von insgesamt 29 IT-Funktionen gemacht haben und inwiefern sich die Angaben voneinander unterschieden. Ob ein Informationsgefälle zwischen PDL und IT-Leiter besteht, wurde zum einen für die Angaben zu allen Funktionen und zum anderen für jede der 29 Funktionen analysiert. Auf Signifikanz der Unterschiede wurde mittels t-Test und Wilcoxon-Test geprüft. Die Richtung des Informationsgefälles wurde über die Differenz der Angaben von PDL und IT-Leitern ermittelt. Ein negativer Wert bedeutete ein Informationsgefälle von IT-Leiter zu PDL und umgekehrt. Ob bestimmte Funktionen einen höheren Unterschied aufweisen als andere, wurde für bestimmte Funktionsklassen getestet. Hierfür wurden Übereinstimmungsscore zu alten bzw. neuen und zu pflegerelevanten bzw. nicht pflegerelevanten Funktionen berechnet, indem die relative Übereinstimmung der Angaben von PDL und IT-Leiter ermittelt wurden. Stimmten PDL und IT-Leiter beispielsweise zu 11 von 17 pflegerelevanten IT-Funktionen überein, ermittelte sich ein Übereinstimmungsscores von 64,7% für die entsprechende Einrichtung. Welche strukturellen und managementbezogenen Merkmale mit dem Informationsgefälle in Zusammenhang stehen wurde untersucht, indem die Zusammenarbeit von PDL und IT-Leitern in IT-Projekten, die Anzahl an Abteilungen pro IT-Mitarbeiter und die Anzahl an Pflegekräfte pro IT-Mitarbeiter mit den vier Übereinstimmungsscores korrelierten wurden.

Ergebnisse: Die PDL gaben durchschnittlich 14,4 (±σ 3,9) verfügbare IT-Funktionen an, die IT-Leiter 17,5 (SA ±σ 5,3). Der Unterschied von rund drei Funktionen war signifikant (p<0,01). Für 23 IT-Funktionen ergab sich eine negative Differenz aus dem Abgleich der Angaben von PDL und IT-Leitern, wonach die IT-Leiter zumeist eine höhere Umsetzung bzw. Verfügbarkeit genannt haben. Für neun Funktionen war dieser Unterschied signifikant (p<0.05). Obwohl sich bei allen Funktionen Unterschiede zwischen den Angaben von PDL und IT-Leitern ergaben, waren diese bei einigen deutlich höher als bei anderen. Ein starker Unterschied ergab sich bspw. für „Leistungsanforderung und Befundrückmeldung - Radiologie ohne Bilder“, ein geringer Unterschied für „Versorgungsfunktionen - Essensbestellungen“. Bezüglich der Funktionsklassen ergab sich eine höhere, jedoch nicht signifikante, relative Übereinstimmung für alte Funktionen (x̅ neue Funktionen=70,1%, ±σ 17,9; x̅ alte Funktionen=72,4%, ±σ 16,2; p>0,05). Die Übereinstimmung bei pflegerelevanten IT-Funktionen war signifikant höher als bei nicht pflegerelevante Funktionen (x̅ pflegerelevante Funktionen=74,2%, SA ±13,5; x̅ nicht-pflegerelevante Funktionen=69,7%, SA ±14,3; p<0,01). Eine schwache, jedoch positive Korrelation ergab sich bezüglich der Übereinstimmung bei neuen Funktionen und der gemeinsamen IT-Projektführung von PDL und IT-Leiter (r=0,252; p<0,05). Die alleinige Projektführung von IT-Leitern korrelierte negativ mit der Übereinstimmung zu den nicht-pflegerelevanten IT-Funktionen (r=-0,286; p<0,05). Die Übereinstimmung zu neue Funktionen korrelierte signifikant negativ mit der Anzahl von IT-Mitarbeitern pro Abteilung (r=-0,316; p<0,05) und auch die Anzahl an Pflegekräften pro IT-Mitarbeiter korrelierte signifikant negativ mit der Übereinstimmung zu neuen Funktionen (r=-0,355; p<0,05) und pflegerelevanten Funktionen (r=-0,293; p<0,05).

Diskussion: Die Bildung von Awareness-Knowledge bei PDL und IT-Leiter ist eine wesentliche Vorrausetzung für den Beginn eines erfolgreichen IT-Adoptionsprozess in Krankenhäusern. Nichtsdestotrotz findet diese Phase in der IT-Adoptionsforschung im Gesundheitswesen bisher wenig Beachtung. In der vorliegenden Arbeit konnte ein Defizit an Awareness-Knowledge insbesondere bei PDL und vor allem bezüglich nicht-pflegerelevanter und neuerer IT-Funktionen nachgewiesen werden. Dieser Befund mag weniger überraschend sein, da IT-Leiter die IT-Funktionen technisch verfügbar machen. Die Ergebnisse bestätigen jedoch die Vermutung, dass technisches Vorhandensein von IT-Funktionen nicht gleichzusetzen ist mit der Kenntnisnahme der Nutzer. Erfolgreiche IT-Adoptionsprozesse sind vielmehr von Beginn an auf eine starke Kommunikation zwischen den kritischen Entscheidungseinheiten angewiesen. Das bestätigen auch die Ergebnisse der Korrelation von Übereinstimmungsgraden und strukturellen beziehungsweise managementbezogenen Merkmalen. So begünstigen geringe IT-Servicequoten und die exklusive IT-Projektführung von IT-Leitern ein höheres Informationsgefälle und damit ein Defizit an Awareness-Knowledge bei PDL. Im Gegensatz dazu scheint die gemeinsame Führung von IT-Projekten Awareness-Knowledge zu befördern. Es kann festgehalten werden, dass die Kenntnis von neuen Technologien in komplexen Gesundheitsorganisationen nicht selbstverständlich gegeben ist. Sie muss insbesondere zwischen den wesentlichen Entscheidungseinheiten, insbesondere der PDL und den IT-Leitern, durch formelle und informelle Kommunikation in IT-Projekten gefördert werden. Erst wenn Awareness-Knowledge vorherrscht, kommen andere Einflussfaktoren auf den IT-Adoptionsprozess zum tragen.


Literatur

1.
Rogers M. Diffusion of Innovation. 5th Edition. New York: Free Press; 2003.
2.
Cresswell K, Sheikh A. Organizational issues in the implementation and adoption of health information technology innovations: An interpretative review. Int J Med Inform. 2011; 82: 73-86.
3.
Agarwal R, DesRoches C, Jha A. The Digital Transformation of Healthcare: Current Status and the Road Ahead. Inform Syst Res. 2010; 21: 796-809.
4.
Robert G, Greenhalgh T, MacFarane F, Peacock R. Adopting and assimilating new non-pharmaceutical technologies into health care: a systematic review. J Health Serv Res Policy. 2010; 15: 243-250.
5.
West E, Barron D, Dowsett J, Newton J. Hierarchies and Cliques in the Social Networks of Health Care Professionals: Implications for the Design of Dissemination Strategies. Soc Sci Med. 1999; 48: 633–46.
6.
Taylor NT. National Health IT Coordinator applauds nurses as "early adopters". J Nurs Adm. 2005; 2.4: 6.
7.
Hannah V. The big picture: learning to think like a nurse. J Nurs Educ. 2006; 45(6):239-40.
8.
Schlegel H. Steuerung der IT im Klinik-Management: Methoden und Verfahren. Wiesbaden: Vieweg + Teubner; 2010. p. 7-27
9.
Hübner U, Liebe JD, Egbert N, Thye J, Straede M, Hüsers J. IT-Report Gesundheitswesen. http://www.it-report-gesundheitswesen.info (zuletzt aufgerufen: 28.03.2015) External link