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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Virtuelle onkologische Verbünde – IT Unterstützung für eine evidenzbasierte onkologische Versorgungsmanagementplattform

Meeting Abstract

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  • Matthias Becker - FH Dortmund, Dortmund, Deutschland
  • Britta Böckmann - FH Dortmund, Dortmund, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 248

doi: 10.3205/15gmds082, urn:nbn:de:0183-15gmds0822

Published: August 27, 2015

© 2015 Becker et al.
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Text

Einleitung: Im Rahmen einer interdisziplinären, intersektoralen Behandlung von Krebspatienten und Krebspatientinnen ist eine Vielzahl von Leistungserbringern und medizinischen Fachkräften beteiligt [1]. Dabei ergeben sich zwei Herausforderungen: Zum einen werden für den Informationsaustausch verschiedene Kommunikationsformen und Kommunikationskanäle verwendet und zum anderen gibt es keine intersektorale Unterstützung einer leitlinienbasierten Behandlung. Dies kann durch eine integrierte Versorgungsmanagementplattform, welche die Versorgungsprozesse durch formalisierte Leitlinien steuert und die Falldaten beinhaltet, realisiert werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Virtuelle Onkologische Verbünde“ wird eine kostengünstige, hoch verfügbare, standardisierte und gut übertragbare Lösung für eine einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte (EPA) in der Onkologie - unter Berücksichtigung des EFA-Standards (elektronische Fallakte) und einer leitlinienkonformen Behandlung [2] - entwickelt. Die Umsetzung auf Basis der elektronischen Fallakte wurde gewählt, da es sich hierbei um einen etablierten Kommunikationsstandard handelt.

Ziel ist es die Ergebnisse des Projektes in einem Kochbuch zur Umsetzung einer Versorgungsmanagementplattform in der Onkologie festzuhalten, da die beteiligten Akteure und Anwender in der Regel keinen kompletten Überblick erhalten, wo eine Versorgungsmanagementplattform und IT unterstützen können. Dabei soll das Kochbuch, anhand verschiedener Fallbeispiele sowie die optimale Vorgehensweise bei der Behandlung inklusive aller verwendeten Kommunikationsmittel, eine optimale Patientenversorgung im Bereich der Onkologie aufzeigen. Um diese Ergebnisse und Informationen in einfacher und übersichtlicher Form zur Verfügung zu stellen, wurde hier die strukturierte Vorgehensweise analog des IHE-Cookbook gewählt.

Material und Methoden: IHE Cookbook

Das IHE-Cookbook wurde erstellt, mit dem Ziel die Nationalisierung der internationalen IHE-Profile und damit die Anpassung eines internationalen Standards auf spezifische deutsche Gegebenheiten abzubilden. Dabei beinhaltet das IHE-Cookbook die Umsetzungsempfehlungen für die drei in Deutschland gängigsten Architekturmodelle für einrichtungsübergreifende Akten [3]:

  • Einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte
  • Persönliche einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte
  • Fallbezogene einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte (EFA)

Die detaillierten Spezifikationen für die aktenbasierte einrichtungsübergreifende Bild- und Befund-Kommunikation berücksichtigen die deutschen Sicherheitsanforderungen und Vokabularien. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde die Grundstruktur des IHE-Cookbooks adaptiert, um so eine Grundlage zu schaffen für eine IT-Strategie in onkologischen Verbünden.

Formalisierung der Leitlinien: Aufgrund der zunehmenden qualitätsorientierten Ausrichtung von Versorgungsstrukturen werden in Deutschland mehr und mehr onkologische Netzwerke gebildet, die eine leitlinienorientierte Behandlung durchführen. In diesem Forschungsprojekt wurden daher drei S3-Leitlinien (Brust-, Darm- und Prostatakarzinom) formalisiert, um auf Basis dieser Leitlinien interdisziplinäre und intersektorale leitlinienbasierte Behandlungsvorschläge in einer Versorgungsmanagementplattform umzusetzen. Die Leitlinien wurden auf Grundlage eines HL7 konformen Meta-Modells [4] formalisiert. Die so extrahierten plattformunabhängigen Prozessfragmente werden in der Versorgungsmanagementplattform integriert und können für eine leitlinienbasierte Prozesssteuerung eingesetzt werden.

Experteninterviews: Um einen effizienten Behandlungsprozess zu entwickeln, wurde eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Siebzehn qualitative leitfadengestützte Experteninterviews wurden als Methode gewählt um das Wissen und die Erfahrung der Experten im onkologischen Gesundheitsmanagement zu evaluieren. Je nach Berufsgruppe wurden die Interviewleitfäden bedarfsgerecht angepasst. Basierend auf den Interviewergebnissen wurden verschiedene Anwendungsfälle abgeleitet und nach Bedarf der IT-Unterstützung aus Sicht der Interviewpartner priorisiert. Als Interviewpartner dienten unter anderem Krebszentren, Kliniken, Ärzte und weitere Gesundheitsberufe (z.B. Psychoonkologen) die im Behandlungsprozess beteiligt sind.

Versorgungsmanagementplattform: Die fehlende Möglichkeit einer zentralen Prozesssteuerung und Organisation der gesamten Versorgung im onkologischen Kontext über alle Versorgungsstufen hinweg war ein wesentlicher Grund für die Erweiterung der integrierten Versorgung um Versorgungsmanagement-Konzepte. Besonders bei Krebserkrankungen mit einem hohen Bedarf an sektorübergreifender Versorgung treten Probleme in den Versorgungsstrukturen auf [5]. Die prototypisch implementierte Versorgungsmanagementplattform bietet verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten für einen kooperativen und leitlinienbasierten Behandlungsprozess. Eine grundlegende Funktionalität dieser Plattform ist es, eine Kommunikation und einen Datenaustausch zwischen allen beteiligten Gesundheitseinrichtungen und Akteuren mit einer Anbindung an die elektronische Fallakte zu unterstützen, indem die Versorgungsmanagementplattform auf Basis der formalisierten Leitlinien Regeln, Zugriffsrechte und Prozesslogiken anbietet.

Ergebnisse: In Bezug auf die Verbesserung der Behandlung sehen laut den Interviewergebnissen mehr als die Hälfte der Experten die Notwendigkeit einer IT unterstützen Plattform. Die Versorgungsmanagementplattform soll dabei unterstützen, die kompletten medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Informationen die für eine leitliniengerechte Behandlung notwendig sind in der elektronischen Fallakte zu sammeln und zu verarbeiten. Auf der Grundlage der Experteninterviews, wurde ein Gesamtszenario entworfen, welches alle Prozesse beinhaltet, die durch eine leitlinienbasierte Versorgungsmanagementplattform unterstützt werden sollten:

  • Tumorkonferenzplanung und -durchführung
  • Einweisungsverfahren in das Krankenhaus
  • Zweitmeinungserhebung durch den Patienten
  • Follow-up / Nachsorgedatenerhebung
  • Vorsorge und Vorbeugung

Da die Tumorkonferenz als zentraler Prozessschritt von allen Interviewpartnern genannt wurde und bei jedem Behandlungsfall mindestens einmal durchlaufen wird, wurde dieser Anwendungsfall im Rahmen des Forschungsprojektes prototypisch umgesetzt. Durch die in die Versorgungsmanagementplattform integrierten und formalisierten Leitlinienfragmente, den Dokumenten in der elektronischen Fallakte und der Prozesssteuerung innerhalb der Versorgungsmanagementplattform kann so eine leitlinienbasierte Behandlung über die Einrichtungsgrenzen unterstützt werden. Auf dieser Grundlage erkennt die Plattform zum Beispiel, ob die Voraussetzungen für eine Therapie erfüllt sind, sowie Plausibilität für die Prävention, Diagnose, Verlaufskontrolle und Rehabilitation.

Die Ergebnisse, die bei der prototypischen Umsetzung der Anwendungsszenarien sowie bei den Experteninterviews gesammelt werden konnten, wurden in einem Kochbuch zur Umsetzung einer Versorgungsmanagementplattform für die Onkologie festgehalten. Das Kochbuch enthält die grundlegenden Entscheidungen, Beispiele und Anregungen für die Umsetzung einer solchen Plattform und ist nach folgender Struktur aufgebaut: Einleitung, Grundlagen (Leitlinien, Methodik, elektronische Fallakte, Rechtliche Grundlagen), Anwendungsszenarien, Lösungsarchitektur, Empfehlungen für den Datenschutz und Beispiele. Darüber hinaus, enthält das Kochbuch Empfehlungen für die Zugriffsverwaltung, die Anwendung von Standards sowie das Datenmodell, Akteure, die Verwendung der elektronischen Fallakte und eine Sammlung von standardisierte sektorübergreifende Prozesse für onkologische Netzwerken.

Diskussion: Die qualitative Umfrage untersuchte bisher die Ziele, Bedürfnisse und den Informationsbedarf von siebzehn onkologischen Experten und Expertinnen um die unterstützungsrelevanten und leitlinienkonformen Prozesse zu ermitteln, welche durch eine Versorgungsmanagementplattform unterstützt werden können. Diese Prozesse betreffen die Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Gesundheitsfachrichtungen sowie die organisatorische Aspekte bei ambulant zu stationärer und stationär zu ambulanter Kommunikation. Insbesondere die Organisation der interdisziplinären Tumorboards können von der Versorgungsmanagementplattformen erleichtert werden. Weitere Experteninterviews würden in diesem Zusammenhang die Anwendungsszenarien erhärten, bzw. neue Anwendungsfälle liefern, welche durch eine Versorgungsmanagementplattform unterstützt werden können. Ebenfalls würde ein Ausbau der Plattform auf alle bzw. auf weitere unterstützungsrelevanten Prozesse potenziell neue Erkenntnisse liefern, die als Beispiele in das Kochbuch einfließen können. Abschließend werden die erarbeiteten Ergebnisse und Prototypentwicklungen mit den Interviewpartnern erneut evaluiert. Das Kochbuch, welches von onkologischen Netzwerken als Grundlage für die Beschaffung und der Entwicklung einer IT-Strategie dienen kann, wird bis zur 60. GMDS Jahrestagung abgeschlossen sein.


Literatur

1.
Abdulrahman GO. The effect of multidisciplinary team care on cancer management. Pan Afr Med J. 2011; 9: 20.
2.
Hellmann W, Eble S. Ambulante und Sektoren übergreifende Behandlungspfade. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2010.
3.
IHE Deutschland. IHE-Cookbook DE. http://www.ihe-d.de/projekte/ihe-d-cookbook/, letzter Zugriff: 29.03.2015 External link
4.
Böckmann B, Heiden K. PathGuide – Ableitung klinischer Behandlungspfade aus Leitlinien über ein Metamodell. International Conference, eHealth; 2013, May 23-24; Vienna, Austria. OCG; 2013.
5.
Schmidt M, Schu M. Forschung zu Case Management Stand und Perspektiven. In: Wendt R, Löcherbach P, eds. Case Management in der Entwicklung. Heidelberg: medhochzwei Verlag; 2011. pp. 263-273.