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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Eine Abstraktionsschicht für den Zugriff von Wissensmodulen auf elektronische Patientenakten

Meeting Abstract

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  • Stefan Kraus - Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
  • Martin Staudigel - Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Hans-Ulrich Prokosch - Universität Erlangen, Erlangen, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 143

doi: 10.3205/15gmds071, urn:nbn:de:0183-15gmds0712

Published: August 27, 2015

© 2015 Kraus et al.
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Einleitung: Die „Arden Syntax for Medical Logic Systems“ ist ein Standard der Health Level 7 für die Repräsentation von klinischem Wissen in Form unabhängiger Wissensmodule (Medical Logic Modules, MLMs). Ihre Designziele waren der Wissenstransfer zwischen Institutionen sowie die leicht verständliche Beschreibung von Wissen [1]. Im Idealfall sollten Kliniker selbständig MLMs erstellen können, was gelegentlich mit dem Schlagwort „Doctors as Programmers“ bezeichnet wird [2]. Die Unterstützung klinischer Entscheidungsprozesse durch MLMs setzt den Zugriff auf Patientendaten voraus. Da es bis dato keinen etablierten Standard für elektronische Patientenakten gibt, bleibt es der jeweiligen Institution überlassen, die von den MLMs benötigten Patientendaten auf die Datentypen der Arden-Syntax abzubilden. Der Standard selbst schreibt lediglich vor, dass die für das Datenmapping erforderlichen Parameter in einem Paar geschweifter Klammern gekapselt sein müssen, weshalb dieser Sachverhalt als „Curly Braces Problem“ bezeichnet wird. Anders als zum Entwicklungszeitunkt der Arden-Syntax sind heutzutage die für die Ausführung von MLMs relevanten Patientendaten fast ausschließlich in relationalen Datenbanken abgelegt. Daraus ergab sich die Fragestellung, ob das Curly-Braces-Problem nicht durch Einführung einer SQL-Abstraktionsschicht entschärft werden könnte, so dass verschiedene Institutionen diese Schnittstelle ohne Programmieraufwand in Betrieb nehmen könnten und beim Wissenstransfer lediglich eine Anpassung von SQL-Statements erforderlich wäre. Im Hinblick auf die Vision „Doctors as Programmers“ ergab sich über den technischen Aspekt hinaus die zusätzliche Fragestellung, wie man Wissensingenieuren die Erstellung von MLMs ermöglichen kann, ohne dass sie Kenntnisse über SQL und das institutionsspezifische Datenbankschema benötigen.

Material und Methoden: Am Anfang dieser Arbeit erfolgte eine Analyse der Arden-Syntax-Spezifikation (Version 2.8), um die Anforderungen für die Ein- und Ausgabeformate des Datenmappings zu ermitteln. Ebenso wurde untersucht, in wie weit sich SQL durch die Nutzung parametrierbarer vorbereiteter Anweisungen („Prepared Statements“) auf nutzerfreundliche Weise verbergen lässt. Auf Basis dieser Analysen wurde ein Konzept für kurze, für Wissensingenieure möglichst leicht verständliche Curly-Braces-Ausdrücke entwickelt, bei der die anzufragende Datenquelle und der jeweilige Patientenkontext der Datenbankanfrage implizit über Default-Einstellungen gesetzt werden. Im letzten Schritt der Konzeptionsphase wurde das entworfene Konzept dahingehend erweitert, dass die Default-Einstellungen für Datenquelle und Patientenkontext bei Bedarf explizit überschrieben werden können. Während der Analyse- und Konzeptionsphase wurde aus den gesammelten Erfahrungen ein Anforderungskatalog für einen idealen Lösungsansatz erstellt. In der Implementierungsphase wurde dieser Katalog in die Praxis umgesetzt. Hierzu wurde eine am Lehrstuhl für medizinische Informatik (LMI) verfügbare Arden-Syntax-Installation verwendet, die eine für derartige Installationen typische Schnittstellenkomponente bereitstellt.

Ergebnisse: Die Spezifikation der Arden-Syntax beinhaltet zwei Statements zum Lesen von Patientendaten, die beide einen beliebigen, institutionsspezifischen Curly-Braces-Ausdruck als Eingabeparameter erwarten und entweder Listen elementarer Datentypen zurückliefern (beispielsweise die Kreatininwerte des Patienten) oder, in neueren Versionen des Standards, Listen von Objekten. Die konkrete Umsetzung des Datenmappings muss dabei vollständig von einem Programmierer implementiert werden, die Spezifikation beschreibt lediglich die Methodensignatur. Der als Grundlage für die Implementierung erstellte Anforderungskatalog umfasste folgende Merkmale:

1.
Striktes Einhalten der Methodensignatur aus der Spezifikation (keine „Dialekte“)
2.
Verbergen von SQL in Curly-Braces-Ausdrücken mittels Aliaskonzept
3.
Möglichst einfache, „sprechende“ Ausdrücke, z.B. „\'7bKreatinin\'7d“
4.
Implizites Setzen von Alias, Datenquelle und Patientenkontext durch Default-Werte
5.
Bei Bedarf explizites Überschreiben von Alias, Datenquelle und Patientenkontext mit Variablen und Konstanten

Dieser Anforderungskatalog konnte in der Implementierungsphase vollständig umgesetzt werden. Ein Alias ist dabei ein Prepared Statement, in das die im Curly-Braces-Ausdruck enthaltenen Parameter zur Laufzeit des MLMs eingesetzt werden. Als Default-Wert für die Datenquelle werden derzeit replizierte Patientenakten des kommerziellen Patientendatenmanagementsystems verwendet, das am Universitätsklinikum Erlangen auf mehreren Intensivstationen verwendet wird. Da die Patientenakten mit dem Entity-Attribute-Value-Modell abgebildet sind, deckt der Default-Wert für den Alias den Großteil aller von den MLMs angefragten Parameter ab. Damit kann der Wissensingenieur beispielsweise die Thrombozytenwerte eines Patienten folgendermaßen auslesen:

Thrombo := READ \'7bThrombozyten\'7d;

Ein komplexeres Beispiel wäre eine Anfrage aus einem MLM zur Arzneimitteltherapiesicherheit, welche aus einer separaten Arzneimitteldatenbank die Wirkstoffinteraktionen der Medikation eines Patienten in Form strukturierter Objekte (mit Attributen wie beispielsweise Art der Interaktion, Schweregrad, Häufigkeit, Evidenzgrad) des kongruenten Datentyps „Interaktion“ ermittelt:

Interaktionsliste := READ AS Interaktion \'7bMediDB:Interaktionen|$ATCcodes\'7d;

Dabei bezeichnet „MediDB“ die Arzneimitteldatenbank, „Interaktionen“ ist der Name des Prepared Statements. „$ATCcodes“ ist eine Variable, die die ATC-Codes der angeordneten Wirkstoffe enthält, die in einem vorhergehenden READ-Statement ausgelesen wurden.

Diskussion: Die Entscheidung der Schöpfer der Arden-Syntax, keine Abstraktionsschicht zu konzipieren, ist auf die damalige extreme Heterogenität der Speichersysteme und deren Schnittstellen zurückzuführen [3]. Der „Arden Retreat“, also die Fachtagung, die den Grundstein für die Arden-Syntax legte, fand 1989 statt. Inzwischen ist diese Heterogenität aber erheblich zurückgegangen. Am Universitätsklinikum Erlangen liegen derzeit, wie in vielen anderen Institutionen auch, alle potentiellen Datenquellen für MLMs in Form von SQL-Datenbanken vor. Die Spezifikation einer SQL-Abstraktionsschicht würde eine weitere Verbreitung der Arden-Syntax daher erheblich unterstützen. Deren bisheriges Fehlen wurde beispielsweise von Nadkarni als wichtiger Schwachpunkt kritisiert [2] und hatte zur Folge, dass jede Installation der Arden-Syntax letztlich eine lokale Maßanfertigung darstellt, wobei kommerzielle klinische Arbeitsplatzsysteme mit herstellerseitig integrierten Arden-Syntax-Engines von dieser Betrachtung natürlich ausgenommen sind.

Die Idee einer generischen, das heißt einer nicht auf das lokale Speichersystem einer Institution zugeschnittenen SQL-Abstraktionsschicht für die Arden-Syntax ist keineswegs neu. Bereits vor etwa 10 Jahren wurde ein Aliaskonzept in einen Arden-Server integriert, der im Rahmen einer Dissertation am LMI entwickelt wurde. Die aktuelle Version des kommerziellen Arden-Servers von Medexter [4] beinhaltet eine Abstraktionsschicht, ebenso die als Open-Source verfügbare Arden-Implementierung Arden2Bytecode [5]. Allerdings decken alle diese Implementierungen nur einen Teil des obigen Anforderungskataloges ab und unterscheiden sich zudem in den Ansätzen zum expliziten Setzen von Anfrageparametern über Variablen. Der Aufwand für die Spezifikation einer generischen Abstraktionsschicht kann insgesamt als moderat eingeschätzt werden, ebenso deren Integration in eine bestehende Arden-Syntax-Implementierung. Der anfänglich zwingend notwendige Ansatz, alle Interaktionen mit dem lokalen klinischen Informationssystem der jeweiligen Institution zu überlassen, passt nicht mehr zur heutigen IT-Landschaft im Klinikum und kann zunehmend als anachronistisch betrachtet werden. Da es bisher keinen etablierten Standard für klinische Patientenakten gibt, kann das Curly-Braces-Problem auch heute nicht vollständig aufgelöst werden. Es ist aber inzwischen so weit geschrumpft, dass durch die Spezifikation einer Abstraktionsschicht zumindest die meisten institutionsspezifischen Maßanfertigungen unnötig werden.


Literatur

1.
Hripcsak G, Ludemann P, Pryor TA, Wigertz OB, Clayton PD. Rationale for the Arden Syntax. Computers and biomedical research, an international journal. 1994;27:291–324.
2.
Nadkarni PM. Metadata-driven software systems in biomedicine: Designing systems that can adapt to changing knowledge. London and New York: Springer; 2011.
3.
Greenes RA. Clinical decision support: The road ahead. Amsterdam and Boston: Elsevier Academic Press; c2007.
4.
Fehre K, Adlassnig KP. Service-oriented Arden-syntax-based clinical decision support. In: Proceedings of eHealth2011. Vienna: Austrian Computer Society; 2011. S. 123–128.
5.
Gietzelt M, Goltz U, Grunwald D, Lochau M, Marschollek M, Song B, Wolf KH. ARDEN2BYTECODE: a one-pass Arden Syntax compiler for service-oriented decision support systems based on the OSGi platform. Computer methods and programs in biomedicine. 2012;106:114–125.