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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Eine Pilotstudie zur Evaluation der Effekte einer Rezentrierungsorthese bei Patienten mit Patellainstabilität mittels eines mobilen Ganganalysesystems in Alltag und Grenzbelastung

Meeting Abstract

  • Mareike Schulze - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Alexandra Quadt - Orthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover im Annastift, Hannover, Deutschland
  • Roman Karkosch - Orthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover im Annastift, Hannover, Deutschland
  • Michael Dölle - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Christoph Becher - Orthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover im Annastift, Hannover, Deutschland
  • Henning Windhagen - Orthopädie der Medizinischen Hochschule Hannover im Annastift, Hannover, Deutschland
  • Michael Marschollek - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 277

doi: 10.3205/15gmds045, urn:nbn:de:0183-15gmds0454

Published: August 27, 2015

© 2015 Schulze et al.
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Text

Einleitung: Assistierende Gesundheitstechnologien (AGT) können durch die Möglichkeit der kontinuierlichen Begleitung einen wesentlichen Beitrag zur Ganganalyse leisten. Ein Beispiel ist Evaluation der Effekte der Patella Pro®-Rezentrierungsorthese (Otto Bock HealthCare GmbH, Duderstadt) im Rahmen der Rehabilitation von Patienten mit chronischer lateraler Patellainstabilität. Diese Instabilität stellt ein schwierig zu behandelndes klinisches Problem dar (sie birgt das Risiko von Luxationen = ugs. Herausspringen der Kniescheibe) und der Einsatz von Knieorthesen spielt in der konservativen Therapie eine große Rolle [1]. Mittels Orthese soll eine verbesserte Stabilisierung der Patella mit Verbesserung der patellofemoralen Kinematik erreicht werden. Dies ist insbesondere bei voller Streckung und niedrigen Beugewinkeln wichtig. Die Wirksamkeit der Orthese konnte in einer MRT-Studie im Stehen im Vergleich zur Situation ohne Orthese nachgewiesen werden [2]. Ein mobiles Ganganalysesystem auf der Basis kleiner tragbarer Sensorknoten bietet darüber hinaus die Möglichkeit einer Gangüberwachung in Alltags- und Grenzbelastungen ohne die physische Anwesenheit eines Experten. Auch können die wesentlichen Funktionsparameter des Kniegelenkes und die Kniebewegungen kontinuierlich aufgezeichnet und für die spätere Analyse 2- oder 3-dimensional abgebildet werden.

Ziel unserer Forschung ist die Entwicklung und Anpassung unseres Systems [3] an diesen spezifischen Anwendungsfall sowie die Entwicklung einer geeigneten neuen Methode zur automatisierten Analyse des Ganges in Hinblick auf das betroffene Knie und die Evaluation der Effekte der verwendeten Rezentrierungsorthese. Im Rahmen einer kleinen Pilotstudie welche vor die Hauptstudie geschaltet wird soll schwerpunktmäßig auch die Machbarkeit untersucht werden.

Material und Methoden: Patienten (n=5) mit chronischer lateraler Patellainstabilität, welche mit der Rezentrierungsorthese therapeutisch versorgt wurden, werden einer Kontrollgruppe (n=5) ohne Beschwerden in einem ganganalytischen Vergleich gegenübergestellt. Die Kontrollgruppe beinhaltet Probanden, welche den eingeschlossenen Patienten im Hinblick auf Alter, BMI und Geschlecht entsprechen. Zu Beginn erfolgt (neben dem Ausfüllen eines klinischen Fragebogens) immer eine ca. 40-minütige validierte ganganalytische Testreihe mit Absolvierung festgelegter Aktivitätsmuster. Diese Testreihe umfasst Gleichgewichtsübungen (Posturomed 202, Haider Bioswing), schnelles Gehen (50m), Laufen/Joggen (50m), Treppensteigen auf- und abwärts (2 Stockwerke), sowie weitere validierte Stabilisierungsübungen. Die Patienten werden anschließend aufgefordert, die Patella Pro®-Rezentrierungsorthese während allen Alltags- und Sportaktivitäten in einem Zeitraum von 6 Wochen zu tragen. Nach Ablauf dieses Zeitraumes erfolgt wieder für alle Teilnehmer die gleiche ganganalytische Testreihe wie vor den 6 Wochen.

Auf der technischen Seite kommen während der Testreihen 3 Sensorknoten (Shimmer2R, Realtime Technologies, Dublin, Irland) zum Einsatz welche ihre Daten via Bluetooth an einen Windows-Tablet-PC übertragen. In diesen Sensorknoten befinden sich jeweils ein Accelerometer (lineare Beschleunigung), ein Gyroskop (Winkelgeschwindigkeit) und ein Magnetometer (digitaler Kompass). Die Synchronisation der Sensordaten, die Annotation der einzelnen Assessments, sowie die Speicherung der Rohdaten (und auch der kalibrierten Werte) übernimmt ein eigens dafür entwickeltes Java-Programm. Dieses Programm wurde für die Bedienung über einen Touch-Screen optimiert und kann auch von einem technischen Laien bedient werden. Die Reichweite des Bluetooth-Empfängers beträgt theoretisch bis zu 100m und die Sensorknoten werden an vordefinierten Stellen (unterer Wirbelsäulenbereich, Ober- und Unterschenkel) mittels Kinesiotape (Temtex®, Guri City, Korea) an den Körper angebracht. Während des Zeitraumes von 6 Wochen wird ein kleiner Sensorknoten (GENEActiv original, Activinsights, Kimbolton, UK) in der Orthese getragen. Dazu wurde an einer nicht störenden Stelle eine kleine Tasche auf die Außenseite der Orthese eingenäht. Dieser Sensorknoten beinhaltet eine Echtzeituhr sowie ein Accelerometer. Der Akku hält bei einer Aufzeichnungsrate von 100Hz eine Woche lang durch und muss von den Patienten zum Aufladen ca. 3-4 Stunden auf eine Ladestation gesteckt werden. Die Sensordaten werden pseudonymisiert aufgezeichnet und über ein datenschutzkonformes Portal der Technischen Universität Braunschweig einmal pro Woche von den Patienten zur Analyse hochgeladen. Die Patienten werden bezüglich des Umgangs mit dem Sensorknoten eingewiesen und ein eigens erstelltes Benutzerhandbuch beschreibt alle Wichtigen Vorgänge (Aufladen, Speichern, Hochladen der Daten) auch nochmal im Detail.

Ergebnisse: Ausgiebige Tests haben bewiesen, dass die für die Testreihen entwickelte Software sicher und zuverlässig funktioniert. Bezüglich der Machbarkeit erwies es sich als praktikabel, den Treiber für den GENEActiv-Sensorknoten und auch die GENEActiv-Software noch vor Ort auf den Laptop der Patienten zu installieren.

Folgende gewünschte Parameter können (während der Testreihe) neben den Stabilitätsparametern ermittelt werden: Schrittrhythmus, Schrittsymmetrie, Beschleunigung beim Anlaufen, negative Beschleunigung beim Abstoppen, Varianz der Ausweichbewegungen (schwerpunktmäßig am Knie gemessen), Knieflexionswinkel.

Über den Sensor, der innerhalb der 6 Wochen in der Orthese getragen wird, können die Tragezeiten der Orthese ermittelt werden. Auch lassen sich Gangstrecken identifizieren und Aussagen über Ermüdungserscheinungen/Unsicherheiten im Gelenk treffen.

Diskussion: Wir haben die Möglichkeit durch ein mobiles Ganganalysesystem die wesentlichen Funktionsparameter des Kniegelenkes in verschiedenen Alltags- und Sportaktivitäten darzustellen, um neue Erkenntnisse zur Erkrankung der chronisch lateralen Patellainstabilität und zur Effektivität der Patella Pro®-Rezentrierungsorthese zu gewinnen.

Die zugrundeliegende Pilotstudie zeigt, dass mit unserem System ermittelt werden kann ob sich die Ergebnisse zwischen den Patienten mit Patellainstabilität und der gesunden Vergleichsgruppe unterscheiden und ob sich eine Verbesserung im Laufe der Zeit durch das Tragen der Orthese feststellen lässt. Durch Ermittlung der Tragezeiten der Orthese lässt sich auch ableiten, in wie fern die Ergebnisse abhängig von der Tragezeit der Orthese sind (Überprüfung der Compliance).

Es können aktuell einzelne Fälle beleuchtet und ausgewertet werden. Eine aussagekräftige statistische Auswertung der Ergebnisse ist im Rahmen dieser Pilotstudie aufgrund der kleinen Fallzahl (n=10) nicht möglich und das Ziel der Hauptstudie.


Literatur

1.
Fulkerson JP. Diagnosis and Treatment of Patients with Patellofemoral Pain. Am J Sport Med. 2002; 30 :447–56.
2.
Becher C, Schumacher T, Fleischer B, Ettinger M, Ostermeier S. MRT-Analyse von Instabilitäts-determinierenden Parametern unter Einfluss einer Patella-Rezentrierungsorthese bei Patellainstabilität. Dtsch Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie. 2014.
3.
Calliess T, Bocklage R, Karkosch R, Marschollek M, Windhagen H, Schulze M. Clinical Evaluation of a Mobile Sensor-Based Gait Analysis Method for Outcome Measurement after Knee Arthroplasty. Sensors. 2013: 1424-8220