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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Evaluation der Machbarkeit und Nützlichkeit des ePflegeberichts bei der Überleitung zwischen Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen

Meeting Abstract

  • Georg Schulte - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland; Klinikum Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Ursula Hübner - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Björn Sellemann - Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland
  • Nicole Egbert - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Otto Rienhoff - Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 171

doi: 10.3205/15gmds036, urn:nbn:de:0183-15gmds0361

Published: August 27, 2015

© 2015 Schulte et al.
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Text

Einleitung: Der demographische Wandel und die damit einhergehende Zunahme von Multimorbidität, chronischen Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit bedingen einen immer häufigeren Wechsel von Pflegebedürftigen zwischen den Gesundheitsinstitutionen und -sektoren. Eine Kontinuität in der medizinischen und pflegerischen Versorgung ist dabei nur durch Informationskontinuität zwischen den Akteuren gewährleistet, die aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität ohne den Einsatz von Informationstechnologie nicht vorstellbar ist [1]. Eine funktionsfähige Telematikinfrastruktur zur Übermittlung von Informationen existiert aber bis heute in Deutschland nicht [2]. Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) ist flächendeckend eingeführt, allerdings ohne PIN-Funktion [3]. Neben anderen elektronischen Überleitungsinstrumenten wurde der ePflegebericht zur intersektoralen pflegerischen Überleitung entwickelt [4], der nach der HL7-CDA-Struktur aufgebaut ist und damit eine Interoperabilität zwischen den IT-Systemen verschiedener Einrichtungen gewährleistet [5]. In einem BMG-geförderten Projekt wird er mithilfe einer Labor-Telematikinfrastruktur evaluiert. Ziel ist es, Aussagen zur technisch-organisatorischen Machbarkeit beim Einlesen, Versenden und Empfangen sowie zur Vollständigkeit und Nützlichkeit des ePflegeberichts zu treffen.

Material und Methoden: Auf der Basis des HL7-CDA-Modells des ePflegeberichts wurde eine Software entwickelt, mit der Patientenstammdaten von der eGK ausgelesen und in den ePflegebericht übernommen (Header), sowie pflegerische und medizinische Daten eingegeben werden konnten (Body). Ebenso konnte eine elektronische Patientenakte (ePA) auf einem Server im Rechenzentrum der Universitätsmedizin Göttingen angelegt und der ePflegebericht in dieser gespeichert und wieder ausgelesen werden. Als Praxispartner wurden das Diakoniewerk Osnabrück mit neun stationären und vier ambulanten Pflegeeinrichtungen, sowie das Klinikum Osnabrück als Krankenhaus der Maximalversorgung gewonnen. In der Neurologischen Klinik des Klinikums und im Pflegeheim Küpper-Menke-Stift des Diakoniewerks befand sich je ein Rechner mit der Software und zertifiziertem Kartenlesegerät. Bei Verlegungen von der Neurologie in eine Einrichtung der Diakonie oder vom Pflegeheim in das Klinikum wurde je ein Pflegebericht erstellt, gespeichert und ausgelesen. Die Authentifizierung der Pflegekraft erfolgte durch einen Software-Key, die Autorisierung durch den Patienten mittels einer Test-eGK mit PIN-Funktion. Nur mithilfe der Test-eGK und zugehöriger PIN konnte der ePflegebericht versandt und in der Zieleinrichtung ausgelesen werden.

Die Evaluation erfolgte in vier Phasen. In Phase Ia (technische Machbarkeit) erfolgten die technische Implementierung und die Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Systems im Feld. In Phase Ib (technisch-organisatorische Machbarkeit) wurden von Key-Usern beider Einrichtungen je zehn ePflegeberichte mit fiktiven Daten erstellt, versandt und ausgelesen. Phase II (Gebrauchstauglichkeit und Machbarkeit) beinhaltete den Versand und das Auslesen von je drei ePflegeberichten mit realen Inhalten, aber fiktiven Personalien durch Pflegekräfte beider Einrichtungen. In Phase III (Gebrauchstauglichkeit und Nützlichkeit) wurden reale Verlegungen von Pflegekräften durchgeführt. Als Kontrollgruppe wurden Patienten mit herkömmlicher, papiergebundener Pflegeüberleitung ausgewählt. Die Zuteilung in die Gruppen erfolgte randomisiert. Das Erstellen, Senden und Empfangen einschließlich auftretender Probleme wurde mithilfe von Logbüchern protokolliert, in der Phase III zusätzlich die Vollständigkeit und Nützlichkeit. Die Gebrauchstauglichkeit der Software wurde zudem mit dem Isometrics-Fragebogen evaluiert [6].

Ergebnisse: In der Phase Ia traten Probleme bei der Installation der Rechner, mit der Funktionalität und Kompatibilität der Kartenlesegeräte, der Installation des zentralen Servers und dessen Kommunikation mit den Endgeräten auf. Schwierigkeiten bereiteten auch die in der Software verwendete Terminologie, die Umwandlung der erzeugten ePflegeberichte in PDF-Dokumente sowie die Einbindung in die Routineabläufe der Einrichtungen. Zur Beherrschung dieser Probleme und zur Schulung der beteiligten Pflegekräfte umfasste die Phase Ia acht Monate.

In Phase III konnten zehn Überleitungen per ePflegebericht und drei papierbasierte durchgeführt werden. Die Anzahl von technisch-organisatorischen Problemen beim Erstellen, Versenden und Empfangen des ePflegeberichts nahm von Phase Ib zu II von 12% auf 2% der durchgeführten Programmschritte ab, während in Phase III wieder ein Anstieg auf 9% zu verzeichnen war. Während in Phase Ib Probleme in allen vier möglichen Schweregraden auftraten, wurden in Phase II nur Probleme des leichtesten Schweregrads 1 (Problem, das im Laufe der Sitzung behoben werden konnte) protokolliert. In Phase III wurden 25% der Probleme dem Schweregrad 1 und 75% Schweregrad 3 (Problem, das sich nicht im Laufe der Sitzung beheben ließ) zugeordnet. Diese schwereren Probleme traten ausschließlich in den letzten Prozessschritten des Öffnens der ePA und Aufrufens des ePflegeberichts auf und betrafen als Ereignisart die Systemstabilität.

Bei der Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit (n=6 Personen) konnten Angaben von 1 (stimmt nicht) bis 5 (stimmt sehr) gemacht werden. Im Bereich der Aufgabenangemessenheit wurde 64-mal mit 3-5 (stimmt mittel bis stimmt sehr) votiert, 15-mal mit 1 oder 2 (stimmt nicht bzw. stimmt weniger), elfmal wurden keine Angaben gemacht. Der Median lag bei 4,0 mit Q1=3,38 und Q3=4,0. Die Fehlerrobustheit wurde 45-mal zustimmend (3-5) und 20-mal nicht zustimmend (1-2) beurteilt, 25-mal wurden keine Angaben gemacht. Der Median lag hier bei 3,25 (Q1=2,0 und Q3=4,0). Die Erlernbarkeit wurde 28-mal zustimmend, 13-mal nicht zustimmend beurteilt, siebenmal wurden keine Angaben gemacht. Der Median lag bei 3,0 mit Q1=3,0 und Q3=4,25.

Die Vollständigkeit der ePflegeberichte erhielt aus Sicht der Empfänger nach dem Schulnotensystem (1 – 6) fünfmal 2, dreimal 3 und einmal 4, was einen Mittelwert von 2,6 ergibt. Die Vollständigkeit der Papierform wurde zweimal mit 3 und einmal mit 5 bewertet, bei einem Mittelwert von 3,7. Die Nützlichkeit des ePflegeberichts wurde zweimal 1, sechsmal 2 und einmal 4 (Mittelwert 2) bewertet, die der Papierform einmal 2, einmal 3 und einmal 4 (Mittelwert 3).

Diskussion: Die Phasenlänge Ia resultiert aus unvorhergesehenen Problemen während der Einführungs- und Vorbereitungsphase und zeigt die Wichtigkeit einer sorgfältigen Implementierung des Testsystems ins Feld. Sowohl die Zahl als auch die Schweregrade der Probleme sanken von Phase Ib zu II, um in Phase III, dem realen Arbeitsalltag, wieder leicht anzusteigen. Die Probleme des Schweregrads 3 in Phase III lassen sich vermutlich auf Kommunikationsprobleme mit dem ePA-Server oder Bedienfehler der Nutzer zurückführen. Die Aufgabenangemessenheit, Fehlerrobustheit und Erlernbarkeit des ePflegeberichts wurden überwiegend positiv beurteilt. Die Vollständigkeit und Nützlichkeit des ePflegeberichts wurden besser bewertet als diejenigen der Papierform. Daraus lässt sich folgern, dass der ePflegebericht eher imstande ist, die pflegerelevanten Informationen vollständig zu transportieren. Der ePflegebericht wird also im ersten Praxistest von elektronischen Überleitungsinstrumenten im deutschen Gesundheitswesen, als ein gebrauchstaugliches und nützliches Instrument in der Überleitung von Pflegebedürftigen zwischen Settings und Sektoren bewertet. Es bleibt zu hoffen, dass die im Referentenentwurf zum eHealth-Gesetz [7] geplanten Fristen zur Bereitstellung der Telematikinfrastruktur gehalten werden können. Denn mit Einführung des eEntlassbriefes (§291g eHealth-Gesetz) kann dann auf die in dieser Studie gemachten Erfahrungen zurückgegriffen werden.


Literatur

1.
Hübner U, Giehoff C. Why Continuity of Care Needs Computing: Results of a Quantitative Document Analysis. Stud Health Technol Inform. 2002;(90):483-487.
2.
Hübner U. European Health Telematics. In: Ball MJ, Douglas JV, Hinton Walker P, DuLong D, Gugerty B, Hannah KJ, Kiel J, Newbold SK, Sensmeier J, Skiba DJ, Troseth M, eds. Nursing Informatics: Where Caring and Technology Meet. 4th ed. London: Springer; 2011. p. 375-400.
3.
Krüger-Brand H. Gesundheitskarte: Pflicht ab 1. Januar 2015. Deutsches Ärzteblatt. 2014 Sep; 9:392.
4.
HL7 Deutschland e. V. [Internet]. HL7 CDA-Clinical Document Architecture für standardisierte medizinische Dokumente. 2015 [cited 2015 March 5]. Available from: http://www.hl7.de External link
5.
Schulte G, Hübner U, Flemming D. Versorgungskontinuität durch Information. Evaluation des HL7-Standards für den ePflegebericht. GMDS 2013; 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Lübeck, 01.-05.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DOCAbstr.251. DOI: 10.3205/13gmds104 External link
6.
Willumeit H, Hamborg K, C Gediga G. IsoMetrics Fragebogen zur Evaluation von graphischen Benutzungsschnittstellen (Kurz-Version). Osnabrück: Universität Osnabrück; 1997.
7.
BMG - Bundesministerium für Gesundheit. Referentenentwurf eines Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (eHealth Gesetz). 13.01.2015.