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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Eignung von Aktivitätstrackern als Gesundheitsindikator

Meeting Abstract

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  • Yvonne Stammer - APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft GmbH, Bremen, Deutschland
  • Kurt Becker - APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft GmbH, Bremen, Deutschland; preventionpartners GmbH, Aachen, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 178

doi: 10.3205/15gmds019, urn:nbn:de:0183-15gmds0199

Published: August 27, 2015

© 2015 Stammer et al.
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Einleitung: „Digital Health“, „Quantified Self“ und „Self Tracking“ sind aktuelle Einsatzfelder von mobiler Gesundheitstechnologie. In den USA besitzt bereits jeder zehnte Erwachsene ein Gerät zum „Self-Tracking“. Besonders beliebt sind diese Geräte bei den 25- bis 34-Jährigen (vgl. [1], S. 98). Mit der Kombination von preiswerter mobiler Messtechnik für spezifische Vital- und Bewegungsparameter, einer Verbindung mit einem Smartphone und dem Internet kann der Nutzer sein Bewegungs- und Schlafverhalten erfassen. Dabei werden über den Tag verteilte, unbewusst ablaufende Vorgänge dokumentiert und ins Bewusstsein des Nutzers fokussiert. Einige Anbieter versprechen auch eine Objektivierung und ggf. auch Verbesserung des Gesundheitszustands.

Das Interesse an der Dokumentation des eigenen Körpers zeigt die Tatsache, dass 41% aller Smartphone-Besitzer eine Gesundheits-App installiert haben und drei von vier Personen diese auch nutzen (vgl. [2]). Der wachsende Markt der Smartphones, dem zudem ein weiteres Wachstum in den nächsten Jahren prophezeit wird, kann daher als Indikator für das Wachstum des Marktes der Aktivitätstracker betrachtet werden. Derzeit liegt das Marktwachstum für Smartphones in Deutschland laut BITKOM bei 14% (vgl. [3]).

Material und Methoden: Ein Studierendenprojekt an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft untersucht den Nutzen und die Eignung von Aktivitätstrackern als Gesundheitsindikator. Dabei wurden zwei zentrale Fragen in der Ausarbeitung auf der Grundlage von Literaturstudien und praktischer Erprobung adressiert:

1.
Kann die Nutzung von Aktivitätstrackern dazu beitragen, die Lebensweise ihrer Nutzer positiv zu unterstützen?
2.
Kann eine Weitergabe der Daten an die Krankenkasse valide Rückschlüsse auf die Lebensgewohnheiten der Versicherten geben und welche Konsequenzen kann diese Datenübermittlung möglicherweise haben?

Zunächst wurden in einem Präsenzseminar verschiedene Gesundheitstechnologien für die persönliche Bewegungs- und Vitalparametererfassung in Bezug auf die Funktionalitäten und Datenauswertungsmöglichkeiten untersucht. Anschließend wurden Literaturstudien und eine Marktanalyse durchgeführt, fünf verschiedene Nutzergruppen identifiziert und die potenziellen Auswirkungen der Bewegungserfassung (Aktivitätstracking) auf den Lebensstil diskutiert. Einige Kostenträger der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung haben bereits erste Bonus- und Präventionsprogramme auf der Grundlage des Aktivitätstrackings entwickelt. Die Arbeit untersucht, ob die Daten-Validität die Zuverlässigkeit der klassischen Anwendungsszenarien des Aktivitätstrackings für den o.a. Einsatz geeignet ist.

Ergebnisse: Die Auswirkungen auf den Lebensstil sind in erster Linie von der Einstellung des Nutzers abhängig. Wenn dieser keine Veränderungen möchte und den Aktivitätstracker nicht als Hilfestellung akzeptiert, kann das Gerät auch keine positiven Änderungen bewirken. Wenn eine Person einen Aktivitätstracker trägt, um seine Bewegung zu messen und bereit ist, Ratschläge des Programms anzunehmen, kann sich dies positiv auf seine Gesundheit auswirken. Die Nutzung des Aktivitätstrackings führt dazu, dass der Nutzer eine permanente, objektive Kontrolle über sein Bewegungsprofil hat. Subjektive Empfindungen wie „ich hatte zu wenig Schlaf“ oder „ich bin heute viel gelaufen“ werden objektiv skaliert und in visuelle Darstellungen (Diagramme) umgewandelt. So können auch Veränderungen der Profile über die Wochen- oder Monatsdarstellungen wahrgenommen werden. Kleine Veränderungen, die sich stetig in eine Richtung entwickeln, werden als Trend (Kurve auf- oder abwärts) erkannt. Der Nutzer kann sich selbst persönliche Ziele setzen und deren Erfolg kontrollieren. Der persönliche Ehrgeiz, besser zu werden, wird durch die permanente Visualisierung gefördert. Die Nutzer lassen sich in fünf Gruppen einteilen. Hierzu gehören Personen mit gesundheitlichem Risiko, Technikaffine und gesundheitsbewusste Personen sowie solche Menschen, die sich zu einer Gruppe dazugehörig fühlen möchten. Die fünfte Gruppe würde durch die Nutzung der Aktivitätstracker im wirtschaftlichen Bereich (z. B. Krankenkassen) entstehen, wobei die User den Sinn ausschließlich in finanzieller Vergütung oder materiellen Vorteilen sehen.

Ein besonderer Effekt, der auch bei der Nutzung von Aktivitätstrackern zu beobachten ist, ist der Sentinel-Effekt. Dieser besagt, dass Personen versuchen, ihre Leistungen zu verbessern, wenn sie wissen, dass diese überwacht und protokolliert werden (vgl. [4]). Bezogen auf die Nutzung der Aktivitätstracker bedeutet das, dass der Benutzer bestrebt ist, möglichst viele Schritte zu machen, so lange er das Gerät trägt. Dies führt dazu, dass er Fahrstühle und Rolltreppen meidet und stattdessen die Wege zu Fuß geht. Das kann auch dazu führen, dass die Person abends noch einen Spaziergang unternimmt, um eine bestimmte Anzahl an Schritten zu erreichen. Dieser Effekt ist mit der Eigenmotivation durch die Visualisierung der Daten (s. oben) vergleichbar, wird aber durch die Überwachung anderer Personen ausgelöst. Das Gefühl, „gut dazustehen“ bzw. „sich nicht zu blamieren“ ist hier ausschlaggebend. Die Stanford University School of Medicine hat herausgefunden, dass das Tragen eines Aktivitätstrackers die Bewegung des Users signifikant erhöht, was zur Gewichtsabnahme und einer Verbesserung des Blutdrucks führt (vgl. [5]). Es handelt sich dabei etwa um etwa 2000 Schritte oder 1 Meile Distanz.

Diskussion: Diese Ausarbeitung zeigt, dass die Nutzung von Aktivitätstrackern als Gesundheitsindikator sehr differenziert zu betrachten ist, da sie von unterschiedlichen Faktoren abhängig und nur begrenzt einsetzbar ist.

Das Tragen eines Aktivitätstrackers kann bei regulärer Nutzung das Verhalten einer Person positiv beeinflussen. Der Sentinel-Effekt führt dazu, dass der Nutzer sich mehr bewegt als ohne Tracker. Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf Körpergewicht und Blutdruck. Besonders zu empfehlen ist das Tragen daher für die Nutzergruppen mit gesundheitlichen Risikofaktoren und gesundheitsbewussten Personen, die ihre sportlichen Aktivitäten verbessern wollen. Allerdings ist zu befürchten, dass der Anreiz im Laufe der Zeit verloren geht, wenn sich erst mal ein Bewegungsablauf eingependelt hat und alle Ziele regelmäßig erreicht werden (vgl. [6]). Es stellt sich für jeden Nutzer die Frage, wofür er einen Aktivitätstracker gebrauchen will. Für die persönliche Kontrolle der Aktivität und sportlichen Erfolge ist es eine effektive und preisgünstige Möglichkeit. Besonders für kleine Erfolge oder solche, die sich über einen längeren Zeitraum steigern, ist die Protokollierung durch den Aktivitätstracker sehr hilfreich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Nutzung der Aktivitätstracker als Gesundheitsindikator für den privaten Gebrauch gegeben ist, während von einer wirtschaftlichen Nutzung durch die Krankenkassen abzuraten ist. Zum einen fehlt die Daten-Validität, zum anderen sind Fragen zu klären, die die Auswertung und Beurteilung der gewonnenen Daten betreffen. Aufgrund der fehlenden Validität ist derzeit auch keine Akzeptanz für den ersten Gesundheitsmarkt im Bereich der Telemedizin zu erwarten. Zukünftig ist zu erwarten, dass die Funktionalität des Aktivitätstrackings aufgrund der fortschreitenden, technischen Vernetzung weiter entwickelt und in andere Anwednungen integriert wird. Bereits heute gibt es Gesundheitsplattformen, die neben den Daten der Aktivitätstracker auch Werte anderer Geräte (Personenwaage, Blutdruckmessgerät etc.) speichern.


Literatur

1.
Janssen JK. Computer zum Kuscheln. CT-Magazin für Computer Technik. 2015;(3):97f.
2.
Self-Tracking: Jeder Dritte würde gesundheitsbezogene Daten an Krankenversicherer weitergeben. IT Finanzmagazin. 2015 Jan 21. http://www.it-finanzmagazin.de/self-tracking-jeder-dritte-wuerde-gesundheitsbezogene-daten-an-krankenversicherer-weitergeben-8640/ (Zugriff: 28.03.2015) External link
3.
Absatzwirtschaft.de. Acht Jahre Smartphone-Boom: Aktuelles Marktwachstum liegt bei zwölf Prozent. 2014. http://www.absatzwirtschaft.de/acht-jahre-smartphone-boom-aktuelles-marktwachstum-liegt-bei-zwoelf-prozent-16950/ (Zugriff: 28.03.2015) External link
4.
Kvedar JC. Making health addictive: Use the sentinel effect. Healthcare IT News. (30.05.2014). http://www.healthcareitnews.com/blog/making-health-addictive-use-sentinel-effect (Zugriff: 28.03.2015) External link
5.
Brandt M. Pedometers help people stay active, Stanford study finds. Stanford Medicine. 2007 Nov. http://med.stanford.edu/news/all-news/2007/11/pedometers-help-people-stay-active-stanford-study-finds.html (Zugriff: 28.03.2015) External link
6.
Spehr M. Ein Jahr mit dem Fitnessarmband. FAZ. 11.04.2014. http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/computer-internet/ein-jahr-das-fitnessarmband-jawbone-up-im-test-12883098.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (Zugriff: 28.03.2015) External link