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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Wearable-Computing-Kombinationen als Assistenzsysteme für Senioren mit und ohne kognitive Beeinträchtigungen im Alltag

Meeting Abstract

  • Ulfert Nehmiz - OTARIS Interactive Services GmbH, Bremen, Deutschland
  • Adrian Nowak - OTARIS Interactive Services GmbH, Bremen, Deutschland
  • Mehmet Kus - OTARIS Interactive Services GmbH, Bremen, Deutschland
  • Sven Abels - Ascora GmbH, Ganderkesee, Deutschland
  • Rafael Karbowski - Ascora GmbH, Ganderkesee, Deutschland
  • Marten Haesner - Forschungsgruppe Geriatrie - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Anika Steinert - Forschungsgruppe Geriatrie - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Elisabeth André - Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland
  • Ionut Damian - Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland
  • Michael Dietz - Universität Augsburg, Augsburg, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 134

doi: 10.3205/15gmds001, urn:nbn:de:0183-15gmds0012

Published: August 27, 2015

© 2015 Nehmiz et al.
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Text

Einleitung: Geräte des Wearable Computing haben sich in den letzten Jahren immer mehr etabliert und als Lifestyle-Produkte einen Teil des Technikmarkts erobert [1]. Hierbei rücken Fitnessarmbänder, Schrittzähler, Smartwatches und Smartglasses immer stärker in die öffentliche Wahrnehmung [2]. Diese Geräte sind auf Technikmessen und in den Medien präsent und werden teilweise sogar im Niedrigpreissektor als Gadgets zu anderen technischen Geräten wie z.B. Tablets vertrieben. Der Grundansatz dieser Geräte liegt in der mobilen Erfassung von Umgebungsparametern (bspw. Positions- und Streckendaten) oder persönlichen medizinischen Daten (bspw. Herzfrequenz) sowie in der mobilen Informationsanzeige. So können auf Smartwatches oder Smartglasses Informationen wie z.B. E-Mails oder Twitter-Kurznachrichten angezeigt werden, die wie beim Smartphone über das Internet nachgeladen werden. Erweitert werden diese durch lokal erfasste Daten wie bspw. die Schrittfrequenz, den Puls oder Positionsdaten [3]. Der besondere technische Fortschritt besteht in Erfassung und bereitstellung der Daten und der Visualisierung auf verschiedenen Geräten, welche sich an den Anwendungsfall des Nutzers anpassen lassen.

In dieser Arbeit wird das Forschungsprojekt „GLASSISTANT“ (Projektstart: 01.02.15) vorgestellt, welches die Verknüpfung und Analyse verschiedener Informationen und Informationsquellen zum Ziel hat. Als Datenquellen dienen dafür einerseits Termine, Nachrichten oder Umgebungsdaten aus dem verknüpften Smartphone, andererseits aber auch die lokal erfassten medizinischen Daten wie der Puls oder das Bewegungsverhalten der Senioren. Grundlegende Informationen kommen zudem aus der medizinischen Forschung, welche mitentscheidend für die Situationsanalyse des Anwenders sind. Diese Daten speisen einen intelligenten Assistenten für Smartglasses, welcher dem Nutzer im Alltag und der Freizeit kontextsensitiv und selbstgesteuert Hilfestellungen, Unterstützungen oder zusätzliche potentiell interessante Informationen zur Verfügung stellt. Usabilityuntersuchungen zum Einsatz von Smartglasses gibt es bisher vorrangig im Arbeitskontext (Pilotprojekte von Bosch und DHL), zum Einsatz der Systeme mit Senioren liegen bisher keine Ergebnisse vor.

Zielgruppe und Methoden: Zielgruppe des Projektes sind Senioren mit und ohne leichte kognitive Einschränkungen (Mild Cognitive Impairment, MCI [4]. Senioren mit MCI sind zwar selbstständig und im Alltag nicht deutlich beeinträchtigt, können aber auf Grund ihrer kognitiven Einschränkungen spontan und situationsbezogen auf Hilfe angewiesen sein.

Hauptaugenmerk des Projektes liegt auf Unterstützungsfunktionen für Senioren in speziellen Situationen, in denen Hilfestellungen benötigt werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes werden Verfahren entwickelt, um mit Hilfe von Emotionserkennung und Umgebungsanalyse die Gesamtsituation des Anwenders autonom zu analysieren. Darauf aufbauend werden Anwendungen entwickelt, die passend zu dem Kontext, in dem sich die Person zu dem Zeitpunkt befindet, zusätzliche Informationen und Hilfen anbieten. Beispielsweise kann das System auf Versuche des Teilnehmers reagieren, sein Zahlenschloss zu öffnen, indem automatisch die richtige Entsperrnummer gezeigt wird. Auch die automatische Navigation, um aus unbekanntem Terrain wieder zurück in bekannte Gebiete zu finden, kann Senioren mit MCI eine ebenso große Hilfe sein wie die Lokalisierung und die Automatisierung von Taxirufen. Erinnerungen an Termine, Tagesabläufe und Medikamenteneinnahme sind, wie auch die Anzeige von Informationen zur Umgebung, zu Fahrplänen oder der einfachen Navigationsunterstützung, nicht nur für momentan Hilfebedürftige interessant, sondern bieten auch einer Reihe von anderen Anwendergruppen zusätzliche Möglichkeiten.

Innerhalb des Forschungsprojektes werden unterschiedliche Darstellungsmethoden und -varianten untersucht. Hauptaugenmerk zur Visualisierung der Hilfestellungen und Assistenzfunktionen wird auf Smartglasses gelegt. Dies ermöglicht eine leichte Integration des neuartigen Systems in den Alltag des Anwenders und verhindert gleichzeitig eine Stigmatisierung der Patienten. Zusätzlich können Erkenntnisse aus dem Forschungsbereich der Augmented Reality für eine optimierte und zweckdienliche Visualisierung der Hilfen verwendet werden. Das System wird mit verschiedenen tragbaren Sensoren zur Emotionserkennung (bspw. Stress, Angst, Agitiertheit) ergänzt und abgerundet. Zur Steuerung und Konfiguration des Systems sollen handelsübliche Smartphones eingesetzt werden.

Die Erfassung und Verarbeitung von medizinischen und anderen persönlichen und intimen Informationen der Anwender verlangt nach dem strikten und verlässlichen Einhalten von Datensicherheit und Datenschutz auf allen verwendeten Geräten. Dies betrifft sowohl die Testphase (Erfassung und Auswertung von Testdaten) sowie auch den späteren Betrieb. Darüber hinaus weckt die Entwicklung von Anwendungen für hilfebedürftige und daher besonders schutzbedürftige Personen den Bedarf nach besonderer Betrachtung der persönlichen und gesellschaftlichen Implikationen einer solchen Anwendung. Das Projekt wird daher während der gesamten Laufzeit von externen unabhängigen Experten der Bereiche Ethik und Datenschutz in Form eines Advisory Boards sowohl in der Konzeption als auch in der Entwicklung und Evaluation begleitet und eine konsequente Nutzereinbindung nach DIN EN ISO 9241-210 gewährleistet. Die Einbindung der Nutzer erfolgt innerhalb des Projektes durch eine Anforderungsanalyse mit der Zielgruppe, mehrfachen Testzyklen während der Konzeption und Entwicklung sowie einer umfangreichen Evaluation des Prototyps in Form einer Usability- und Effektivitätsuntersuchung. Zur Sicherstellung der Berücksichtigung der ELSI-Aspekte (Ethic, Legal and Social Impications) werden für alle Testungen und Studien ein Datenschutzvotum sowie ein Votum der zuständigen Ethikkommission eingeholt.

Das Konsortium besteht aus Mitgliedern, die in besonderem Maße Expertise in den Bereichen Gerontologie, Geriatrie, Emotionserkennung, mobile Anwendungen und Datenschutz sowie Datensicherheit in sich vereinigen. Das Forschungsprojekt GLASSISTANT (FKZ 16SV7267K) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und hat eine Laufzeit von 30 Monaten.

Ergebnisse: Da das Projekt erst im Februar 2015 gestartet wurde, liegen zum jetzigen Zeitpunkt wenige Ergebnisse vor. Eine Anforderungsanalyse mit 6 Senioren mit leichten kognitiven Beeinträchtigung ergab, dass eine Sprachsteuerung der Glasses sowie eine möglichst große Darstellung der Inhalte gewünscht sind. Hinsichtlich präferierter Funktionen des Systems bewerten die Senioren Informationen zu betrachteten Gegenständen (z.B. Zahlencodes), Kommunikationsmöglichkeiten, Informationen zum aktuellen Standort sowie die Anbindung von medizinischen Geräten als am sinnvollsten. Innerhalb des Projektes wird auf Grundlage der Anforderungsanalyse und des ersten Advisory Board Meetings ein Prototyp entwickelt, welcher in der letzten Projektphase (Mai/Juni 2017) evaluiert wird. Die erwarteten Ergebnisse der Projektarbeit sind Mechanismen, Algorithmen und Darstellungsverfahren, mit denen die kontextbezogenen individuellen medizinischen Parameter des Anwenders mit vorgegebenen oder erfassten Parametern der Umgebung verknüpft und zusammenhängend analysiert werden. Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Analyse sollen Schlussfolgerungen gezogen werden, Hilfsfunktionen oder andere nützliche Unterstützungen zu aktivieren oder dem Nutzer zur Verfügung zu stellen. Die Funktionsweise und Akzeptanz der Visualisierungen der Informationen wird dabei genauso untersucht wie die Funktionsweise und Akzeptanz der Informationen selber. Dabei werden höchste sicherheitstechnische und ethische Standards verwendet, in der Praxis erprobt und weiter entwickelt. Die Forschungsarbeit des Konsortiums zielt mit diesem Projekt darauf, sichere mobile Anwendungen im medizinischen Kontext zu erforschen, zu entwickeln und ein großes Anwendungsfeld für mobile medizinische Anwendungen zu erschließen.


Literatur

1.
Ledger D, McCaffrey D. Inside Wearables. 2014.
2.
Janssen JK. Die Wearables-Welle: Aktivitätstracker, Smartwatches, Datenbrillen und elektronische Kleidung. Ct Mag. 2015; 3: 96.
3.
Krüger-Brand H. Mobile Health: Fitness- und Gesundheitswächter. Dtsch Ärztebl. 2014; 111: 18–22.
4.
Winblad B, Palmer K, Kivipelto M, Jelic V, Fratiglioni L, Wahlund LO, Petersen RC. Mild cognitive impairment - Beyond controversies, towards a consensus: Report of the International Working Group on Mild Cognitive Impairment. Journal of Internal Medicine. 2004; 256(3): 240–246.