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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Einflussgrößen, Modellierungen und Prognosen zur Pflegeversicherung in Schleswig-Holstein bis 2030

Meeting Abstract

  • R. Schuster - MDK Nord, Lübeck
  • D. Melcher - Medizinischer Dienst der Krankenversicherung NORD, Ham-burg
  • T. Rädisch - MDK Nord, Hamburg
  • M. Schünemann - MDK Nord, Lübeck

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 251

doi: 10.3205/14gmds173, urn:nbn:de:0183-14gmds1734

Published: September 4, 2014

© 2014 Schuster et al.
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Text

Einleitung: Das statistische Bundesamt prognostiziert 50% mehr Pflegebedürftige bis 2030 im Vergleich zum dort betrachteten Basisjahr 2007 [1]. Ursächlich wird der demografische Wandel auf der Grundlage der koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung angeführt, wobei auch eine leicht anstiegsdämpfende Verschiebung wegen steigender Lebenserwartung als Modellvariante angegeben wird. In der Literatur wurden verschiedene Markov-Modelle [2], [3] und weitere Multikompartmentmodelle [4], [5], [6], [7] betrachtet. Vom Gesetzgeber anvisierte Veränderungen im Pflegebegriff werden epidemiologische Maßzahlen wesentlich verändern. Für eine Reihe von Planungsfragen in der Versorgung Pflegbedürftiger sind regionalisierte Betrachtungen notwendig. Je regional kleinteiliger und merkmalsreicher dies erfolgen soll, umso schwieriger stellt sich die Verfügbarkeit von Daten dar. Eine Nutzung von Routinedaten der gesetzlichen Pflegekassen und Begutachtungsdaten des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ist ein wesentliches Element in der Analyse und Modellierung.

Material und Methoden: Zu altersbezogenen Prävalenzbetrachtungen nutzen wir Bestandsdaten der gesetzlichen Pflegekassen. Zur Inzidenz sind die MDK-Begutachtungsdaten geeignet. Der alters- und bundeslandspezifische Anteil der gesetzlich Versicherten in Schleswig-Holstein lässt sich durch Kombination der KM6-Statistik der Krankenkassen und der Bevölkerungsstatistik des Statistischen Landesamtes Nord abschätzen. Bezogen auf das Geburtsjahr werden die Geburtsjahr-bezogenen Kompartimente Versicherte mit/ ohne Pflegestufe sowie die Verstorbenen im Markov-Modell betrachtet. Übergangswahrscheinlichkeiten, die sowohl durch Überlebensraten als auch durch Bevölkerungswanderungen bedingt sind, werden durch Mittelwerte aus den Jahren 2009-2012 bestimmt und für die Modellprognosen dann als konstant angenommen. Im Modell wird zunächst keine Unterscheidung nach ambulanter oder stationärer Pflege vorgenommen, da den Autoren dazu nur teilweise Inzidenzwerte vorliegen (Beantragungen zu Pflegegutachten, kein Wechsel ambulant stationär). Die Einbeziehung dieses Aspektes kann durch alters- und regionalbezogene Kostengewichte erfolgen. Gleiches gilt für die Unterscheidung der Pflegestufen.

Ergebnisse: Den wesentlichsten Einfluss auf die Modellergebnisse habe zwei "Bevölkerungswellen", deren Modalwerte 2014 bei einem Alter von 47 Jahren (Geburtsjahr 1967, Babyboom-Generation), also regional und durch Bevölkerungswanderungen 3 Jahre vom bundesweiten Mittelwert verschoben. Der zweite Modalwert liegt bei 71 Jahren (Geburtsjahr 1946), das wesentlich durch historische Ereignisse bedingt ist. Durchlaufende Gipfel bedingen wesentliche nichtlineare Veränderungen in unterschiedliche Richtungen. Ein Aggregieren auf 5-Jahres-Gruppen, die in ihrer Zusammensetzung sich ändern, verschleiern Veränderungskomponenten.

Das Eintrittsalter (MDK-Begutachtung) für eine Pflegestufe hat einen Modalwert bei einem Alter von 85 Jahren, wobei ein nahezu linearer Anstiegt von 65 bis 85 festzustellen ist, es gibt keine signifikante Veränderung der entsprechenden Fallzahlen in den Jahren 2008 bis 2013.

Der Anteil der Versicherten mit Pflegestufe ist ab einem Alter von 65 Jahren durch eine durchweg monoton wachsende und konvexe Funktion gekennzeichnet, die eine Interpolation von den 5-Jahres-Gruppen auf einzelne Geburtsjahrgänge ermöglicht. Im Alter 65, 75 und 85 ergeben sich Anteile von 2%, 6% bzw. 25%, dann weiter stark ansteigend. Innerhalb der Altersgruppen und der einzelnen Altersjahresschritte ist der Anteil der Versicherten mit Pflegestufe von 1999 bis 2011 um 14% (65 bis 69 Jahre) bis 20% (70-74 Jahre) rückläufig, die übrigen Jahresgruppen liegen dazwischen. Die absolute Zunahme der Versicherten mit Pflegestufe ergibt sich durch eine Überkompensation der Besetzungszahlen der Jahrgänge im betrachteten Zeitraum durch die durchlaufende "Bevölkerungswelle" mit dem höheren oben angeführten Modalwert.

Diskussion: Die Verringerung des altersbezogenen Anteils der Versicherten mit Pflegestufen um zwischen 14% und 20 % kann als Hinweis auf eine Verschiebung der Pflegebedürftigkeit in ein höheres Alter in Einklang mit der Kompressionstheorie interpretiert werden.

Während die Bevölkerung im Alter von 18 bis 65 Jahren der betrachteten Region nur leicht im Vergleich zu 2011 fällt (2020: -0,1%, 2025: -1.8%, 2030 -2.9%), nimmt die Bevölkerung ab 65 deutlich zu: 2020: +4.6%, 2025: +13.5%, 2030: 21.5%. Der deutliche Anstieg bei 2030 ist zum großen Teil auf die zweite durchlaufende "Bevölkerungswelle" zurückzuführen.

Kombiniert man die Besetzungszahlen mit dem zunächst nicht dynamisierten altersbezogenen Anteil an Versicherten mit Pflegestufe, so gibt es eine Steigerung der Fallzahlen im Vergleich zu 2011: 2015 +9%, 2020: +23%, 2025: +36%, 2030: +30%. Das Jahr 2030 ist also selbst ohne Dynamisierung im Vergleich zu 2015 rückläufig. Die realen Werte werden wegen der betrachteten Rückläufigkeit der Anteile geringer sein, die Modellierung als konstanten linearen Trend würde aber zu optimistisch ausfallen. Zu einer Modellierung als Wachstum (Fallen) mit Sättigungswert reichen die Daten nicht aus.

Die Zahl der älteren Pflegebedürftigen (ab 77 Jahre) nimmt 2025 im Vergleich zu 2011 um 54% zu, fällt dann aber 2030 auf den Wert von 2020, nämlich 40%, wieder ab. Dies ist für die zu entwickelnde Struktur des Pflegeangebotes von Bedeutung. Die rückläufige Tendenz hält dann an, bis die zweite Bevölkerungswelle sich dem Alter von 72 Jahren nähert.

Über Schleswig-Holstein insgesamt fällt im Vergleich zu bundesweiten Studien der Altersquotient in Bezug auf die Pflege insbesondere wegen nahezu stabiler Arbeitsbevölkerung (konstante Wanderung unterstellt) wesentlich weniger drastisch aus. Allerdings sind große regionale Unterschiede insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Regionen zu erwarten. Zur genaueren Modellierung fehlen den Autoren kreis- und gemeindespezifische Prävalenzdaten zu den Pflegestufen. Unter zusätzlichen Annahmen über die Prävalenz als Funktion der Inzidenz und der Bevölkerungsentwicklung ergeben sich aber auch dazu Abschätzungen.


Literatur

1.
Pressemitteilung 429: Demografischer Wandel führt zu 50% mehr Pflegebedürftigen im Jahr 2030. Statistisches Bundesamt; 2010.
2.
Helms F, Czado C, Gschlößl S. Calculation of LTC Premiums based on direct estimations of transition probabilities. Discussion Paper 393 beim SFB 386 “Diskrete Strukturen”.
3.
Czado C, Gschlößl S. Modeling of transition intensities and probabilities in a German long term care portfolio with known diagnosis. Discussion Paper 302 beim SFB 386 “Diskrete Strukturen”.
4.
Czado C, Rudolph F. Application of Survival Analysis methods to Long Term care Insurance. Insurance: Mathematics and Economics. 2002;31(3):395-413.
5.
Gschlößl S. Neuere statistische Methoden in der Pflegeversicherung [Diplomarbeit]. Technische Universität München; 2002.
6.
Rudolph F. Anwendungen der Überlebenszeitanalyse in der Pflegeversicherung [Diplomarbeit]. Technische Universität München; 2000.
7.
Schuster R. Multikompartment-Modelle für Längsschnittanalysen in der Gesetzlichen Pflegeversicherung in Deutschland. In: 51. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Leipzig, 10.-14.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06gmds127. Available from: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2006/06gmds162.shtml External link
8.
Prüß U , Küpper-Nybelen J, Ihle P, Schubert I. Verläufe von Pflegebedürftigkeit in Hessen in den Jahren 1999 bis 2002. Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Gesundheitswesen. 2006;68:123-127.
9.
Rädisch T, Melcher D, Schuster R. Regionale und altersbezogene Pflegebedarfsanalyse im GKV-Bereich. In: GMDS 2013. 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Lübeck, 01.-05.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocAbstr.247. DOI: 10.3205/13gmds247 External link
10.
Schuster R, Moldenhauser M. Age distribution and growth models in the Long-Term Care Insurance System, to appear (abstract). GfKL Jahrestagung; 2006.