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GMDS 2013: 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

01. - 05.09.2013, Lübeck

Stents hinterfragt: Werden Patienten mit koronaren Herzerkrankungen leitliniengerecht versorgt?

Meeting Abstract

  • Roland Linder - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, DE
  • Jan Zeidler - CHERH - Center for Health Economics Research Hannover, Hannover, DE
  • Tobias Schilling - Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie (HTTG), Hannover, DE
  • Frank Verheyen - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, DE
  • J.-Matthias Graf von der Schulenburg - CHERH - Center for Health Economics Research Hannover, Hannover, DE
  • Axel Haverich - Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover, DE

GMDS 2013. 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Lübeck, 01.-05.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocAbstr.243

doi: 10.3205/13gmds194, urn:nbn:de:0183-13gmds1946

Published: August 27, 2013

© 2013 Linder et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung: In der 2006 von der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Arbeits-gemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften konsentierten Nationalen Versorgungsleitlinie zur chronischen koronaren Herzkrankheit (KHK) wird bei Vorliegen einer Drei-Gefäßerkrankung oder Hauptstammstenose ein aortokoronarer Bypass empfohlen [1]. Auch die SYNTAX (Synergy between PCI with Taxus and Cardiac Surgery) Studie zeigt hinsichtlich der Myokardinfarktrate im Verlauf und der Notwendigkeit zur erneuten koronaren Revaskularisierung als auch der Gesamtrate der schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (MACCE) bei der genannten Patientengruppe eine signifikante Überlegenheit der chirurgischen Bypassoperation im Vergleich zur Katheterintervention [2]. Die vorliegende Arbeit geht daher anhand von GKV-Routinedaten der Frage nach, inwieweit Patienten mit KHK leitliniengerecht und damit medizinisch optimal versorgt werden.

Material und Methoden: Analysiert wurden die GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse mit derzeit mehr als 8,3 Millionen Versicherten und damit eine ca. 11% Stichprobe der GKV-Versicherten. Separat für die Jahre 2008 - 2011 wurden Versicherte mit der Diagnose Ein-Gefäßerkrankung (ICD-10 GM = I25.11), Zwei-Gefäßerkrankung (I25.12), Drei-Gefäßerkrankung (I25.13) oder Stenose des linken Hauptstammes (I25.14) im jeweiligen Jahr untersucht. Bei den Diagnosen handelte es sich um Entlassungsdiagnosen im stationären Bereich (§301 SGB V), Diagnosen aus dem Bereich des ambulanten Operierens (§115b SGB V) und Diagnosen aus der vertragsärztlichen Versorgung (§295 SGB V). Ausgehend von den vorgenannten Patientenkollektiven wurden sektorübergreifend Leistungsziffern (OPS und EBM) identifiziert, welche auf eine Stent-Implantation schließen lassen und der jeweilige Anteil der Patienten mit Stentimplantation berechnet. Um auszuschließen, dass aufgrund einer möglichen Inoperabilität des Patienten von der leitliniengerecht angezeigten Bypassoperation abgewichen wurde, erfolgte eine Auswertung stratifiziert nach Altersklassen und unter Berücksichtigung der Komorbiditätslast (Elixhauser-Komorbiditätsindex nach [3]). Alle Ergebnisse wurden für die bundesdeutsche Bevölkerung alters- und geschlechtsadjustiert.

Ergebnisse: 66.656 der 224.455 der Patienten, bei denen zumindest in einem Jahr des Beobachtungszeitraums eine Ein- bis Dreigefäßerkrankung bzw. Hauptstammstenose diagnostiziert wurde (29,7%), wurden innerhalb des 4-Jahreszeitraums mindestens einmal mit einem Koronarstent versorgt. Dabei wurden Patienten mit Drei-Gefäßerkrankung oder Hauptstammstenose fast genauso häufig Stents implantiert wie Patienten mit Ein- oder Zwei-Gefäßerkrankung. Eine positive Korrelation von Katheterinterventionen bei Patienten mit ICD I25.13 oder I25.14 mit zunehmendem Lebensalter und Elixhauser Score ist erkennbar.

Diskussion: Die chirurgische Revaskularisierung von komplexen Läsionen sollte nach wie vor die Standardtherapie dieser Erkrankungen bleiben. Patienten mit einem niedrigen (günstigen) Syntax-Score profitieren von einer interventionellen Koronarrevaskularisierung. Die Nationale Versorgungsleitlinie KHK wird in der Versorgungswirklichkeit allerdings weitgehend missachtet. Auch das zunehmende Lebensalter und ein höherer Elixhauser Score können die Abweichung in der Behandlung der KHK von der Leitlinie nicht in vollem Umfang erklären. Es bleibt zu überprüfen, ob ökonomische Fehlanreize eine Rolle spielen [4], [5].Die Ergebnisse dieser Studie legen einmal mehr nahe, dass die Indikation für das jeweilige Verfahren für jeden einzelnen Patienten in einer partnerschaftlichen, interdisziplinären Diskussion zwischen Kardiologen und Herzchirurgen gestellt werden sollte.


Literatur

1.
Nationale VersorgungsLeitlinie "Chronische KHK". Langfassung Version 1.13 basierend auf der Fassung von Juni 2006, S. 50.
2.
Mohr FW, Morice MC, Kappetein AP, Feldman TE, Ståhle E, Colombo A, Mack MJ, Holmes DR Jr, Morel MA, Van Dyck N, Houle VM, Dawkins KD, Serruys PW. Coronary artery bypass graft surgery versus percutaneous coronary intervention in patients with three-vessel disease and left main coronary disease: 5-year follow-up of the randomised, clinical SYNTAX trial. Lancet. 2013 Feb 23;381(9867):629-638.
3.
Van Walraven C, Austin PC, Jennings A, Quan H, Forster AJ. "A Modification of the Elixhauser Comorbidity Measures into a Point System for Hospital Death Using Administrative Data". Medical Care. 2009; 47(6): 626–633.
4.
Flintrop J. Und führe uns nicht in Versuchung. 122. Hauptversammlung des Marburger Bundes. Dtsch Arztebl. 2012;109(45):C1780-C1781.
5.
Maio G. Ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? Eine Kritik der ökonomischen Überformung der Medizin. Dtsch Arztebl. 2012;109(16):A804-A807.