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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Einführung eines Patientendatenmanagementsystems (PDMS) auf einer Intensivstation: 10 Jahre ohne Fortschritt?

Meeting Abstract

  • Thomas Bürkle - Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Hendryk Tech - Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Ixchel Castellanos - Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Jürgen Schüttler - Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • Hans-Ulrich Prokosch - Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI13-1

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2008/08gmds166.shtml

Published: September 10, 2008

© 2008 Bürkle et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung

Patientendatenmanagementsysteme (PDMS) sind mittlerweile seit geraumer Zeit verfügbar [1], [2]. Bereits im Jahr 1996 berichten Wehrle und Kollegen [1] über Probleme und Widerstände, die seinerzeit bei der Einführung eines kommerziellen PDMS aufgetreten sind. Sie berichten über eine Reihe von Nachteilen, die bei der Einführung des dort verwendeten PDMS gesehen wurden sowie über eine beträchtliche Anzahl der Nutzer, die dem System eher kritisch gegenüberstanden.

Wir konnten im Jahr 2006 in unserer Klinik erfolgreich ein PDMS einführen. Die Probleme, Schwierigkeiten und Widerstände die bei dieser Systemeinführung auftraten ähnelten denen von Wehrle et al. bereits 1996 beschriebenen in verblüffender Weise. Wir nehmen diese Publikation zum Anlass, erste Evaluationsergebnisse der PDMS Einführung am Universitätsklinikum Erlangen im Jahr 2006, genau 10 Jahre nach Wehrle et al., gegenüberzustellen und Unterschiede herauszuarbeiten.

Material und Methoden

Die Einführung eines PDMS mit der Absicht, einen großen Teil der papierbasierten Patientendokumentation, mindestens aber die papierbasierte Patientenkurve durch eine computerbasierte Dokumentation abzulösen, bewirkt in jedem Fall eine massive Änderung der etablierten Dokumentationsabläufe [3]. Dies haben wir zum Anlass genommen, das Einführungsprojekt mit einer formalen, longitudinalen Evaluation zur Nutzerzufriedenheit zu begleiten.

Zu drei Zeitpunkten der Umstellung der Dokumentation wurden standardisierte, anonymisierte Fragebögen [4], [5] an sämtliche Mitarbeiter der Intensivstation verteilt.

Die drei Befragungszeitpunkte waren: Vor Einführung des PDMS, 3 Monate nach Einführung des Systems und 12 Monate nach Einführung des Systems.

Zu diesen Zeitpunkten wurden jeweils Fragebögen an Ärzte und Pflegekräfte der Station verteilt und per Aushang und mündlicher Information um das Ausfüllen gebeten. Die Fragebögen beinhalteten auch den standardisierten Questionnaire of User Interaction Satisfaction QUIS [5]. Ferner wurden Arbeitsabläufe analysiert und für einzelne Vorgänge Zeitmessungen durchgeführt.

Ergebnisse

Das System konnte aus Sicht der Projektleitung erfolgreich in den Routinebetrieb der Station integriert werden.

Seit Abschluss einer zweiwöchigen Testphase im Oktober 2006 erfolgt die gesamte medizinische Dokumentation der Intensivstation durchgängig im PDMS (die gesamte Pflegedokumentation, die ärztliche Dokumentation, die Berichtschreibung aller Berufsgruppen, die gesamte abrechnungsrelevante Dokumentation)

Da die Auswertung der Fragebögen noch nicht vollständig abgeschlossen ist, sind hier stichpunktartig erste Ergebnisse aus den ersten zwei Studienzeitpunkten dargelegt:

  • Die Mehrheit der Mitarbeiter hatte schon vor der Einführung eine positive Einstellung zum neuen PDMS, und war bereits motiviert, in Zukunft mit diesem zu arbeiten. Durch die Einführung verstärkte sich die Motivation und die Einstellung wurde positiver.
  • Die von der Mehrheit der Benutzer erwartete Arbeitserleichterung und Zeitersparnis wurde in unserer Befragung bestätigt.
  • Nach Einführung des Systems glauben nur noch ca. 10% der Ärzte, dass dadurch eine Verbesserung der Patientenversorgung möglich ist (vorher 30%)
  • Die Erwartung, dass das neue System zu einer Verbesserung der Dokumentationsqualität führt, wurde zum Teil enttäuscht.
  • Sowohl die Mitarbeiter der Pflege als auch die Ärzte sind deutlich zufriedener mit der neuen Art der Dokumentation.
  • Im QUIS-Abschnitt zeigt sich im Durchschnitt eine deutlich positiverer Einschätzung des neuen Systems, besonders ausgeprägt bei den Ärzten.
  • Durch die Mitarbeiter wurde im Fragebogen der für die Dokumentation benötigte Zeitaufwand geschätzt. Es ist eine leichte Verkürzung der benötigten Zeit festzustellen.
  • Durch die Einführung von ICM sind die Mitarbeiter mit einer Reihe von Punkten zufriedener. Hierbei handelt es sich um: den Zugriff auf Patientendaten, auf das Patientenarchiv, die Darstellungsmöglichkeiten, die Sauberkeit und Lesbarkeit, die Auswertbarkeit, die Vollständigkeit und die nachträgliche Verlaufsbeurteilung.
  • Unzufriedener sind die Befragten mit dem Gesamtüberblick über die Patientenkurve.

Diskussion

Den Kollegen Wehrle et al. gelang es seinerzeit nicht, im Rahmen ihres Einführungsprojektes eine positive Stimmung bei allen Mitarbeitern zu schaffen. Vielmehr berichten sie, dass nach einem Probebetrieb an einigen Bettplätzen immerhin 24% der Nutzer einen kompletten Rollout ablehnten. Als Nachteile des PDMS stellten sich in dieser Arbeit heraus:

  • Die Form der papierlosen Dokumentation ist schwierig
  • Der Arbeitsaufwand bei der Dokumentation ist größer
  • Die Dokumentation im PDMS erfordert eine Änderung des Arbeitsablaufs
  • Abspeichern ist zu langsam
  • Vor- und Zurückblättern ist zu langsam
  • Noch fehlende Übernahme von Geräteparametern
  • Kopfschmerzen vor allem nachts
  • Wärmebelastung durch Geräteabstrahlung
  • Der Papierausdruck ist sehr umfangreich

In unseren Ergebnissen zeigt sich ein insgesamt positiveres Bild. Die durch das PDMS geschaffenen Arbeitserleichterungen bewirken letztlich eine höhere Akzeptanz und damit eine erhöhte Nutzerzufriedenheit. Nicht bestätigen können wir den von Wehrle et al. Beschriebenen höheren Arbeitsaufwand, langsames abspeichern und gravierende Nachteile durch noch fehlende Geräteparameter. Das Blättern in den Daten und die mangelnde Übersichtlichkeit sind dagegen auch bei uns negativ aufgefallen, ebenso die vergleichsweise umfangreichen Ausdrucke.

Eine vermehrte Wärmebelastung durch Geräte konnten wir nicht feststellen. Die relativ hellen bettseitigen Bildschirme störten auch bei uns die Patientenruhe. Wir konnten jedoch eine Funktion etablieren, die den Bildschirm auf Knopfdruck deutlich dunkler schaltet. Dies erhöhte die Akzeptanz des Systems deutlich, Anzeichen von vermehrten Kopfschmerzen konnten wir nicht feststellen.

Zusammenfassend können wir sagen, dass einige Teilprobleme, beispielsweise umfangreiche Papierausdrucke bei Verlegung des Patienten von der Intensivstation auf die Normalstation, auch 10 Jahre nach Wehrle et al. keine wesentliche Verbesserung erzielt werden konnte. Andere Aspekte haben sich jedoch deutlich positiver entwickelt. Dazu gehören: die Dokumentation ist vollständiger und umfangreicher, insbesondere hinsichtlich der für Abrechnungszwecke benötigten Daten, der Zugriff auf archivierte Daten ist schnell und unproblematisch, viele für den täglichen Dokumentationsablauf benötigten Dokumente können halbautomatisiert aus dem System generiert werden und sparen so Zeit, die Übernahme von Daten aus Medizingeräten (Beatmung, Monitore) und anderen EDV-Systemen (Zentrallabor, Blutgasanalysatoren) erfolgt problemlos und erspart ebenfalls lästige manuelle Arbeit. Diese Aspekte führen zu einer insgesamt deutlich positiveren Response unserer Nutzer auf die PDMS-Einführung.


Literatur

1.
Wehrle A, Bleicher W, Fretschner R, Schlaich A, Läuger C, Ulmer D. EDV-gestütztes Datenmanagement auf der Intensivstation – Akzeptanz und Konsequenzen. Annästhesiol Intensivmed 1996; 12 (37): 636-641.
2.
Metnitz PGH. Patient Data Management Systems in Intensive Care- the situation in Europe. Intensive Care Med 1995, 21:703.
3.
Kari A. Information systems for intensive care are ready – are we?. Intensive Care Med 1995, 21:701-702.
4.
Ohmann, C, Boy O, Yang Q. A systematic approach to the assessment of user satisfaction with healthcare systems: Constructs, models and instruments. Stud Health Technol Inform. 1997;43 Pt B:781-785.
5.
Chin J. Development of a tool measuring user satisfaction of the human-computer interface. In Chi’88 Conf. Proceedings: Human factors in computing. Association for Computing Machinery New York 1988: 213-218.