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53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

15. bis 18.09.2008, Stuttgart

Telemetrische EEG-Messung an frei beweglichen Ratten

Meeting Abstract

  • Jürgen Bergeler - Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Oliver Thews - Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Damien Lapray - Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Erwan Dupont - Universität Mainz, Mainz, Deutschland
  • Heiko J. Luhmann - Universität Mainz, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds). Stuttgart, 15.-19.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. DocMI8-5

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Published: September 10, 2008

© 2008 Bergeler et al.
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Einleitung und Fragestellung

Die kontinuierliche Messung physiologischer Parameter (z.B. Blutdruck, EKG, Hirnaktivität) an freilaufenden Versuchstieren ermöglicht zahlreiche Untersuchungen unter quasi-natürlichen Bedingungen. Die Einschränkung der Beweglichkeit durch eine direkte Verbindung der Tiere mit dem Messgerät beeinflusst nicht nur das Verhalten sondern kann über die Erzeugung einer Stresssituation physiologische Messgrößen verfälschen. Aus diesem Grund haben telemetrische Messsysteme zahlreiche Vorteile bei verhaltens- und neurobiologischen Studien an wachen Versuchstieren. Derartige Systeme müssen verschiedene Kriterien erfüllen: (1) Die implantierten Einheiten sollten klein sein, um die Tiere nicht zu behindern, (2) um eine ausreichende Messdauer zu gewährleisten, muss der Stromverbrauch minimal sein und (3) die telemetrische Übertragung sollte ausreichend schnell und störungsfrei erfolgen, um die zu untersuchenden Signale erfassen zu können (evtl. sogar von mehreren Tieren gleichzeitig).

Das Ziel der Arbeit war die Entwicklung eines vollständig implantierbaren, telemetrischen Systems für die EEG-Ableitung vom Rattenkortex. Um eine fehlerfreie Datenübertragung über eine Distanz von bis zu 3 m zu gewährleisten und um das EEG von mehreren Tieren gleichzeitig erfassen zu können, wurde eine digitales Sendesignal gewählt. Für verhaltensbiologische Experimente sollte es mit dem System außerdem möglich sein, ein Videosignal zeitsynchron aufzuzeichnen.

Material und Methoden

Systembeschreibung

Das System besteht aus einem implantierbaren Sendeeinheit (Transmitter), der das EEG-Signal über einen AD/DA-Wandler aufnimmt und bidirektional mit einem Empfänger (Receiver) kommuniziert. Die Übertragung erfolgt mittels Funk (Europa: 868.35 MHz ISM-Band, USA: 916.5 MHz ISM-Band). Der Receiver ist über USB mit einem PC verbunden, der zeitsynchron ein Videosignal aufzeichnet (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die Transmittereinheit besteht aus einem Mikroprozessor (PIC12F675, Microchip), einem Eingangsverstärker und der Sendeeinrichtung. Die Stromversorgung erfolgt über zwei Silberoxid-Batterien (1.55 V, 55 mAh). Die Stromaufnahme im normalen Messmodus beträgt 1.6 mA, im Standby Modus 2 µA, sodass sich eine Lebensdauer der Batterien im Dauersende-Betrieb von ca. 14 h ergibt. Das analoge EEG-Signal wird mit einer Auflösung von 10 bit und einer Wandelzeit von 2 µs aufgenommen. Anschließend werden die Daten in einem definierten Protokoll mit einer Datenrate von 115.2 kbps übertragen. Die Sendeleistung ist frei parametrierbar, sodass auch Sendeentfernungen bis 100 m möglich sind. Die Transmittereinheit geht in einen stromsparenden Standby-Modus sofern von der Receivereinheit keine Datenübertragung angefordert wird. Hierdurch sind auch Experimente über mehrere Wochen möglich, wobei das EEG diskontinuierlich erfasst wird. Diese implantierbare Einheit misst 40x8x5 mm, wiegt 4 g (mit Batterien und Elektrodenkabel) und wird vor der Implantation mit zwei Schichten eines biokompatiblen Silikon überzogen.

Die Empfängerseite besteht aus einem PC mit der über einen Standard-USB-Anschluss verbundenen Receivereinheit. Der Receiver besitzt ebenfalls einen Mikroprozessor (PIC16F876A, Microchip) der über einen seriellen Hochgeschwindigkeitsanschluss (2.5 mbps) mit einem speziellen Interface-Chip (FT232R) verbunden ist, der den seriellen Datenstrom in ein USB-Protokoll umwandelt.

Die PC-Software besteht aus drei unabhängigen Modulen zur (1) Datenerfassung, (2) Datenwiedergabe und (3) Parametrisierung der Sende- und Empfangseinheiten. Im Datenerfassungsmodul werden zunächst die Parameter der Datenübertragung (z.B. Abtastrate, synchrone Videoaufzeichnung) festgelegt. Anschließend wird die Datenübertragung gestartet, die als kontinuierlicher Datenstrom erfolgt, wobei jedes Datenpaket mit einer eindeutigen Identifikation versehen wird, um Datenverluste (z.B. durch Störungen der Funkstrecke) zu erkennen. Die Daten werden mit Zeitmarken versehen und parallel zum Videosignal auf der Festplatte abgelegt. Mit dem Wiedergabe-Modul können diese Daten zu einem späteren Zeitpunkt erneut abgespielt, die interessierenden Zeitintervalle markiert und für die weitere Datenanalyse (z.B. FFT) exportiert werden. Die Auswahl geeigneter Zeitabschnitte kann auch anhand der Videoaufzeichnung (Frame-by-Frame) erfolgen.

Chirurgische Implantation

Alle operativen Eingriffe wurden in Übereinstimmung mit den Tierschutzbedingungen und nach Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde durchgeführt. Die chirurgische Implantation der Transmitter-Einheit erfolgte in männliche Wistar-Ratten (Körpergewicht 250-400 g) unter Chloralhydrat-Nakose linksseitig in die Bauchhöhle. Für die Ableitung des Elektrokortikogramms (EEG von der Kortexoberfläche, ECoG) wurde zunächst die Kopfhaut mobilisiert und drei kleine Löcher in den Schädelknochen gebohrt, über welche die Elektroden zur Kortexoberfläche eingeführt wurden. Die Wunden wurden anschließend aseptisch verschlossen, wonach sich die Tiere vor Beginn der Ableitungen für 5 Tage erholen konnten.

Ergebnisse

EEG-Ableitungen in den Tieren wurden in drei verschiedenen Hirn-Aktivitätszuständen durchgeführt: (1) wache Tiere, (2) Slow-Wave-Schlaf und (3) unter Isofluran-Narkose. Die Ableitung erfolgte mit einer Abtastrate von 500 Hz unter normalen Laborbedingungen ohne besondere elektromagnetische Abschirmung. Das EEG im Wachzustand zeigt Theta-Aktivität (4-8 Hz) während sich im Slow-Wave-Schlaf Abschnitte eines synchronisierten EEG mit hochamplitudigen Delta-Wellen (1-4 Hz) und vereinzelte Spindeln (10-14 Hz) unterscheiden ließen. Unter Isofluran-Narkose kam es zu einem Wechsel von geringer Hintergrundaktivität und hochamplitudigen Wellen. Diese Ergebnisse stimmen gut mit aus der Literatur bekannten Resultaten überein.

Zusätzlich wurden EEG-Messungen unter verschiedenen verhaltensbiologischen Bedingungen (freier Raum, 2-armiges Labyrinth, Schwimmtank) vorgenommen. Hierbei war die Empfangseinheit im Abstand bis zu 3 m vom Versuchstier entfernt. Trotzdem traten keine Bewegungsartefakte im Messsignal auf. Selbst bei den Schwimmtankversuchen waren keine Störungen bei einem Abstand der Empfangsantenne bis zu 30 cm nachweisbar.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Mit dem beschriebenen System ist es möglich, die elektrische Hirnaktivität von Ratten und anderen kleinen Versuchstieren kontinuierlich abzuleiten. Aufgrund der Eigenschaft, dass der implantierte Sender vom PC ein- und ausgeschaltet werden kann, sind auch längere Beobachtungsphasen von 4 bis 5 Wochen möglich. Das Signal wird bereits in der implantierten Sendeeinheit digitalisiert und anschließend übertragen, sodass Datenverluste durch Signalstörungen minimiert werden. Innerhalb eines Bereichs von bis zu 3 m um die Empfangsantenne treten keine Störartefakte auf. Da sich die Tiere mit der implantierten Sendeeinheit frei bewegen können, sind Studien möglich, in denen das EEG mit dem Verhalten des Tieres in seiner natürlichen Umgebung möglich sind. Auch Experimente unter besonderen Umgebungsbedingungen (z.B. in einem Schwimmtank) können mit diesem System durchgeführt werden. Das telemetrische System ist derzeit für Messungen der elektrischen Hirnaktivität optimiert, kann jedoch leicht für die Erfassung anderer physiologischer Signale modifiziert werden.