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Kongress Medizin und Gesellschaft 2007

17. bis 21.09.2007, Augsburg

Selektionen im Gesundheitsamt: Geburtenförderung zwischen Unterstützung und Ausgrenzung. Der Beitrag des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur NS-Familienpolitik

Meeting Abstract

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  • Johannes Donhauser - Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen, Neuburg a. d. Donau
  • Johannes Vossen

Kongress Medizin und Gesellschaft 2007. Augsburg, 17.-21.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07gmds803

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Published: September 6, 2007

© 2007 Donhauser et al.
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Einleitung/ Hintergrund: Der Vortrag untersucht die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) bei der Umsetzung einer pronatalistischen Bevölkerungspolitik. Die Nationalsozialisten vernichteten den seit 1919 Gestalt annehmenden republikanischen Sozialstaat mit seinen egalitären Grundsätzen und ersetzten ihn durch eine Politik der Ungleichwertigkeit. So waren die bevölkerungspolitischen Förderleistungen des Staates (vor allem Ehestandsdarlehen, Kinder- und Ausbildungsbeihilfen) vom Anspruch und von der Vergabepraxis her zwar breiteren Bevölkerungsgruppen als in der Weimarer Republik zugedacht aber dem Diktat der rassischen und sozialen Ungleichwertigkeit unterworfen. Finanziell fördernde Maßnahmen verband der NS-Staat mit arischer Abstammung, „Erbgesundheit“, politischer Zuverlässigkeit und gutem Leumund. Als „minderwertig“ erachtete Personengruppen, waren von diesen Förderleistungen ausgenommen und als Folge der mit ihren Anträgen verbundenen gesundheitlichen Überprüfungen von Maßnahmen der „Ausmerze“ bedroht.

Material und Methoden: Der Vortrag basiert auf unveröffentlichten, anonymisierten Quellen, insbesondere amtsärztlichen Gutachten und Stellungnahmen, sowie Fürsorgeberichten aus den Staatsarchiven Detmold (NRW), Augsburg und München (Bayern). Die Ambivalenz von Unterstützung und Ausgrenzung steht im Mittelpunkt des Vortrages und soll am Beispiel von Einzelfällen verdeutlicht werden.

Ergebnisse: Das selektionistische Grundprinzip der NS-Bevölkerungspolitik lieferte die Ideologie der Ungleichwertigkeit des Menschen. Zwischen 1933 und 1940 implementierte der NS-Staat einen Staatlichen Gesundheitsdienst mit einem System rassenhygienischer Kategorisierung der Bevölkerung nach dem „Erbwert“ einzelner Personen(gruppen). Unterstützungsleistungen, wie Ehestandsdarlehen, Kinder- und Ausbildungsbeihilfen gewährte der NS-Staat nur, wenn das Gesundheitsamt das Vorliegen entsprechender „Tauglichkeitskriterien“ bestätigte. Die Antragsteller für diese Vergünstigungen liefen deshalb ständig Gefahr von den Amtsärzten als „erbkrank“ oder „minderwertig“ kategorisiert und damit nicht nur von Förderungen ausgeschlossen, sondern auch den „ausmerzenden“ Maßnahmen der NS-Gesundheitspolitik unterworfen zu werden. Diese „Ausmerze“ bedeutete Zwangssterilisation oder Eheverbot und ging nach Kriegsbeginn bis hin zur Einweisung von „minderwertigen“ Kindern in extra eingerichtete „Kinderfachabteilungen“ im Rahmen der „Euthanasie“-Morde. Das 1935 neu geschaffene staatliche Gesundheitsamt war somit Transmissionsriemen und zentrale Selektionsinstanz der rassistischen NS-Gesundheitspolitik und befand sich somit auch auf einer Kontinuitätslinie bis hin zum Völkermord nach Kriegsbeginn.


Literatur

1.
Donhauser J. Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus. Der Wahn vom ‚gesunden Volkskörper’ und seine tödlichen Folgen. Das Gesundheitswesen. 2007 (Supplement).
2.
Vossen J. Gesundheitsämter im Nationalsozialismus. Rassenhygiene und offene Gesundheitsfürsorge in Westfalen 1900-1950. Essen; 2001.