gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Funktionale Anforderungen an ein vernetztes Gesundheitsinformationssystem: Eine Analyse von Erwartungen und Visionen der wichtigsten Akteure

Meeting Abstract

  • Thomas Schabetsberger - Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall i. T.
  • Elske Ammenwerth - Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall i. T.
  • Georg Göbel - Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck
  • Georg Lechleitner - Tiroler Krankenanstalten GmbH, Innsbruck
  • Robert Penz - Health Information Technologies Tyrol, Innsbruck
  • Raimund Vogl - Health Information Technologies Tyrol, Innsbruck
  • Florian Wozak - Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall i. T.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds567

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds392.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Schabetsberger et al.
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Text

Einleitung und Zielsetzung

Die Informationsverarbeitung in Krankenhäusern und Arztpraxen ist derzeit hauptsächlich auf die Unterstützung zur Erfüllung der eigenen Anforderungen ausgelegt [1]. Zur Durchführung einer effizienten, medizinischen Behandlung ist die Zusammenarbeit verschiedener, nicht nur medizinischer, Institutionen notwendig. Studien lassen den Schluss zu, dass durch Verbesserung der Kooperation zwischen diesen Institutionen signifikante Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesserungen erreicht werden könnten [2]. Die „elektronischen Gesundheitsakte“ als gemeinsame Datenbasis für die verschiedenen Partner im Gesundheitssystem wurde in der Literatur beschrieben und ist eines der Schlagwörter der letzten Jahre [3], [4]. Derzeitige Implementierungen erscheinen jedoch oft technologie-getrieben und ohne entsprechende breite Anwendung oder Akzeptanz. Eine funktionale, detaillierte Anforderungsanalyse ist für die erfolgreiche Durchführung eines Software Projektes notwendig und sollte deshalb auch für ein Projekt zur Realisierung einer gemeinsamen elektronischen Gesundheitsakte durchgeführt werden.

Ziel dieser Arbeit ist es, Visionen und Erwartungen an ein künftiges, vernetztes Gesundheitsinformationssystem zu analysieren. Auf diesen Untersuchungen basierend soll eine Übersicht über wichtige Funktionalitäten und Anforderungen erarbeitet und Risiken identifiziert werden.

Methoden

Die Analyse erfolgte in drei Schritten: Zuerst wurden Literaturanalysen (pubmed und google) durchgeführt und Akteure identifiziert, die im Gesundheitswesen Daten austauschen und aus einer gemeinsamen elektronischen Gesundheitsakte Vorteile ziehen würden (Brainstorming). Im nächsten Schritt wurde aus der Sicht eines jeden dieser Akteure ein funktionales Anforderungsprofil durch Anwendung von Kreativitätsmethoden und systematischer Literaturanalyse erstellt. Abschließend wurden diese Anforderungsprofile mit Entscheidungsträgern und Experten des Gesundheitssystems als Vertreter der identifizierten Akteure iterativ diskutiert und überarbeitet.

Akteure im Gesundheitssystem und deren Visionen und Erwartungen

Im initialen Brainstorming Schritt wurden folgende Akteure identifiziert, die aus einer gemeinsamen elektronischen Gesundheitsakte Vorteile ziehen würden: Patienten, Ärzte und Krankenhäuser, Apotheken, Forscher, Versicherer, Hoheitliche Institutionen (Regierung, Zivilschutzeinrichtungen, steuernde Institutionen des Gesundheitssystems). Die wichtigsten Ergebnisse aus Schritt 2 und 3 werden im folgenden Abschnitt exemplarisch herausgegriffen und beschrieben.

Anforderungen aus Sicht des Patienten

Zugriff auf die eigene Gesundheitsakte: Patienten wünschen sich Zugriff auf ihre medizinischen Daten, unabhängig davon, wo die Behandlung oder Untersuchung durchgeführt wurde. Geeignete Darstellungs- und Interpretationshilfen sollen zur Verfügung gestellt werden.

Weiterleitung von Teilen der Akte: Patienten wünschen sich, Teile der Akte zu Spezialisten eines bestimmten Fachgebietes z.B. zwecks Einholung einer Zweitmeinung weiterleiten zu können. Sichere Mailbox-Funktionen sollen die Kommunikation sollen die Arzt-Patienten-Kommunikation verbessern.

Hinzufügen eigener Einträge: Patienten würden es begrüßen, wenn sie eigene Anmerkungen in die Akte eintragen oder dort medizinische Tagebücher führen könnten (z.B. Schmerztagebuch, Diabetestagebuch, Hypertonietagebuch) oder Patiententestamente (z.B. Organspenderausweis).

Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit: Für Patienten ist ein höchstmögliches Maß an Sicherheitsmaßnahmen für die Akzeptanz einer verteilten Gesundheitsakte von essentieller Bedeutung. Zugriff auf Teile einer Akte oder die gesamte Akte kann nur durch den Eigentümer (Patient) oder den Produzent des jeweiligen Teils erfolgen. Alle weiteren Zugriffe erfordern das 4-Augen-Prinzip: Nur in Anwesenheit des Eigentümers. Zusätzlich kann der Eigentümer Rechte auf bestimmte Teile der Akte weiteren Personen erteilen oder entziehen. Um Missbrauch durch sozialen Zwang einer Person zu vermeiden, können Teile der Akte vollkommen deaktiviert werden. Bei lebensbedrohlicher Gefährdung des Patienten kann durch einen Arzt ein Notfallzugriff auf die Akte (ohne Einhaltung des 4-Augen-Prinzips) durchgeführt werden. In allen Fällen muss der nationalen und der EU-Gesetzgebung entsprochen werden.

Anforderungen aus Sicht des Arztes

Zugriff auf die Gesundheitsakte des Patienten: Ärzte wünschen sich Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen, welche aus der medizinischen Geschichte des Patienten aggregiert werden, unabhängig von der Institution, wo diese Information erzeugt wurde. Die Darstellung der Daten sollte an das jeweilige medizinische Fachgebiet des Arztes angepasst sein, wobei Zugriff auf sämtliche Daten der Akte, soweit vom Patienten nicht eingeschränkt, möglich sein sollte. Such- und Filterfunktionen sollen zur Verfügung stehen, genauso wie chronologische und problemorientierte Sortierungsmechanismen. Abhängig von einem Behandlungsverhältnis soll es einer medizinischen Institution möglich sein, (semi-automatisch über bestimmte Schnittstellen) oder auch manuell relevante Daten der Gesundheitsakte eines Patienten hinzuzufügen.

Elektronisches Rezept: Ärzte würden gerne Medikamente elektronisch verschreiben, und in Form von elektronischen Rezepten dem Patienten zur Verfügung stellen.

Übermittlung von Abrechnungen: Ärzte würden Abrechnungen an Krankenversicherer gerne elektronisch übermitteln.

Anforderungen aus Sicht des Versicherers

Statistiken und Qualitätsberichte: Statistische Zusammenfassungen über spezielle geographische Krankheitsverteilungen oder Behandlungsprozesse würden Vergleiche ermöglichen.

Anforderungen aus Sicht der Apotheke

Elektronische Rezepte: Apotheken wünschen sich elektronischen Zugriff auf Rezepte, die durch einen Arzt für einen Patienten ausgestellt wurden. Alarmfunktionen im Falle von Wechselwirkungen oder Kontraindikationen (aufgrund von Einträgen in der Gesundheitsakte des Patienten) wären hilfreich.

Anforderungen aus Sicht des Forschers

Durchführung von Studien: Wissenschafter wünschen sich Zugriff auf pseudonymisierte oder anonymisierte medizinische Daten der Gesundheitsakte. Beliebige Such- und Filterfunktionen sowie Data-Mining Verfahren zu den Inhalten der Akten von vielen Patienten sollen möglich sein, unter Gewährleistung des Datenschutzes.

Anforderungen aus hoheitlicher Sicht

Anonymisierte Auswertungen: Hoheitliche Institutionen oder Einrichtungen des Zivilschutzes wünschen sich zur Steuerung des Gesundheitssystems und zur Durchführung regionaler oder Überregionaler Maßnahmen statistische Auswertungen.

Diskussion

Das gewählte schrittweise Verfahren führte zu raschen Ergebnissen und einem groben Überblick über Anforderungen an eine gemeinsame elektronische Gesundheitsakte, die exemplarisch dargestellt wurden. Jedoch kann derzeit keine Aussage über die Prioritäten der einzelnen Funktionalitäten getroffen werden. Die Anwendung des Delphi-Verfahrens zur Beurteilung und prioritären Reihung der Ergebnisse ist als nächster Schritt geplant und wird neben der Betrachtung der Risiken einer gemeinsamen elektronischen Gesundheitsakte Voraussetzung für die Start der technischen Detailspezifikationen und späterer Implementierungen im Rahmen eines Vernetzungsprojekts in Westösterreich sein .


Literatur

1.
Moorman PW, Branger PJ, van der Kam WJ, van der Lei J. Electronic messaging between primary and secondary care: a four-year case report. J Am Med Inform Assoc 2001;8(4):372-8
2.
Collen MF. General requirements for a Medical Information System (MIS). Comput Biomed Res 1970;3(5):393-406
3.
Liu C, Long A, Li Y, Tsai K, Kuo H. Sharing patient care records over the World Wide Web. Int J Med Inf 2001;61(2-3):189-205
4.
Haux R, Ammenwerth E, Herzog W, Knaup P. Health care in the information society. A prognosis for the year 2013. Int J Med Inf 2002;66(1-3):3-21