gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Gesundheitsökonomische Evaluation zahnärztlicher Behandlungsfehler auf der Basis von Daten des MDK Rheinland-Pfalz

Meeting Abstract

  • Frank Krummenauer - Technische Universität Dresden, Dresden
  • Andrea Christina Specht - Technische Universität Dresden, Dresden
  • Ralph Pütz - Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, Alzey
  • Christine Baulig - Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, Alzey
  • Ursula Weibler - Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, Alzey

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds013

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds244.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Krummenauer et al.
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Text

Einleitung und Fragestellung

Nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen zur Erstattbarkeit zahnärztlich-prothetischer Leistungen haben in den letzten Jahren bei deutschen Patienten eine erkennbare Zunahme der Tendenz zur Unterstellung angeblicher Behandlungsgfehler bei den Krankenversicherern bewirkt. Während jedoch der zahnärztliche Laie einen faktisch schicksalhaften Verlauf nicht von einem tatsächlichen Behandlungsfehler unterscheiden kann, können die Krankenversicherer bei den Medizinischen Diensten Gutachten zur Bewertung bestehender Vorwürfe in Auftrag geben.

Ziele dieser Studie waren die klinische Bewertung und die ökonomische Evaluation von angeblichen zahnärztlichen Behandlungsfehlern in Rheinland-Pfalz. Hierzu sollten vom Zahnärztlichen Referat des MDK Rheinland-Pfalz erstellte Gutachten zu Vorwürfen angeblicher zahnärztlicher Behandlungsfehler ausgewertet worden. Mit Hilfe dieser Gutachten sollten gegenüber den Krankenkassen geäußerte Vorwürfe auf deren Berechtigung hin untersucht werden. Ferner sollte die Abrechnung für die gutachterlich als Behandlungsfehler attestierten Versorgungen den Kosten eines simulierten Behandlungsplans für eine entsprechende lege artis-Behandlung gegenüber gestellt werden, um den möglichen Behandlungsfehler-bedingten ökonomischen Schaden aus Perspektive der Leistungserstatter abbilden zu können..

Material und Methoden

Es wurden 76 vom Zahnärztlichen Referat des MDK Rheinland-Pfalz erstellte Gutachten zu Vorwürfen angeblicher zahnärztlicher Behandlungsfehler aus dem Zeitraum 01.01.2002 bis 31.12.2003 retrospektiv ausgewertet. Aus jedem Gutachten wurde der vom Behandler erstellte und verfolgte Versorgungsweg rekonstruiert; ferner wurde von einer unabhängigen Zahnärztin ein Behandlungsplan für eine Richtlinien-konforme und wirtschaftliche lege artis-Versorgung in Kenntnis der prä-interventionell bestehenden Erkrankung erstellt. Die Kostensumme aus diesem simulierten Heil- und Kostenplan wurde der real abgerechnten Kostensumme des Primärbehandlers gegenübergestellt [1].

Primärer klinischer Endpunkt der Untersuchung war das Vorliegen eines gutachterlich attestierten Behandlungsfehlers (d.h. eines berechtigten Vorwurfs); ökonomischer Endpunkt die Abweichung zwischen lege artis- und fehlerbehafteter Behandlung aus Perspektive der Leistungserstatter. Eingeschlossen in die Evaluation wurden alle Versorgungen aus den Bereichen Konservierende Zahnheilkunde, Prothetik und Parodontologie. Die Kostenevaluation erfolgte für die simulierte Behandlung gemäß dem zahnärztlichem Bewertungsmaßstab BEMA und dem zur Zeit der Versorgung aktuellen Leitungs- und Preisverzeichnis der zahntechnischen Leistungen [2].

Aus Gründen des Datenschutzes mußten die verwendeten Gutachten gänzlich anonymisiert werden, sodass Patientencharakteristika wie Alter, Geschlecht und insbesondere Versicherungsstatus für die Auswertung nicht verfügbar gemacht werden konnten. Insbesondere konnte so der individuelle Zuschuss-Anspruch der Patienten durch die Krankenkasse nach damals geltender Erstattungs-Regelung nicht eingebracht werden (50% oder 65% des Gesamtkostenvolumens); daher wurde eine Sensitivitätsanalyse zum Einfluss des Zuschuss-Anspruches vorgenommen.

Die im betrachteten Kollektiv resultierten Kostendifferenzen zwischen simulierter lege artis- und realiter erbrachter Versorgung wurden entlang der Bundesland-weiten zahnärztlichen Behandlungszahlen in Deutschland volkswirtschaftlich extrapoliert.

Ergebnisse

Es konnten 69 Gutachten zu Fällen aus den genannten Bereichen zweifelsfrei hinsichtlich der Behandlungsfehler-Vorwürfe bewertet werden, wobei in 38 Fällen (55%) von den Gutachtern des MDK Rheinland-Pfalz ein zahnärztlich-prothetischer Behandlungsfehler, in 5 weiteren Fällen Dokumentations- bzw. Aufklärungsfehler attestiert wurden (Prävalenz aller berechtigten Behandlungsfehler-Vorwürfe im vorliegenden selektierten Kollektiv somit 62%).

Die realiter abgerechneten Gesamtkosten haben die entsprechenden Gesamtkosten der simulierten lege artis-Behandlungspläne um im Median 114,24 € (Quartilabstand -7,14 – 381,79 €) überschritten; diese statistisch signifikante Abweichung (Vorzeichentest p<0.001) korrespondiert im betrachteten Kollektiv von 69 Fällen zu einem Gesamtverlustvolumen von 9746,52 €. Bei einem individuellen Zuschuss in Höhe von 65% durch die Krankenkassen ergibt sich aus Sicht der Krankenkassen eine Verlustsumme von 4278,69 € mit medianer Kostendifferenz von 0 € (0 – 179,81 €) zwischen simulierter lege artis-Versorgung und real erbrachter (abgerechneter) Versorgung. Bei individueller Bezuschussung von 50% durch die Krankenkassen ergab sich ein Gesamtverlustvolumen von 3291,30 € bei medianer Abweichung von 0 € (0 – 13,31 €) aus Sicht der Krankenkassen.

Bei volkswirtschaftlicher Extrapolation entlang bundesweiter Behandlungszahlen ergab sich aus den in obigem Kollektiv geschätzten Verlustsummen ein jährlich zu erwartendes Gesamtverlustvolumen durch zahnärztliche Behandlungsfehler von 32.678 € für die 5 neuen Bundesländer und 165.378 € für die 11 alten Bundesländer.

Diskussion

Die obige Untersuchung muss trotz ihrer prima facie beruhigenden Gesamtaussage kritisch hinsichtlich des nolens volens gewählten Studiendesigns betrachtet werden: Die Vorgaben laut Sozialgesetzbuch SGB V haben es nicht ermöglicht, klinisch und ökonomisch relevante Cofaktoren der begutachteten Patienten in die Auswertung einzubringen, um eine potentielle Abhängigkeit der Behandlungsfehler-Prävalenz wie auch der Kostenabweichungen von Patientencharakteristika einbeziehen zu können. Ferner besteht keine externe Referenz-Beurteilung für die Entscheidung, ob ein gutachterlich attestierter Behandlungsfehler auch von klinischer Konsequenz für den Patienten ist, d.h. interventionelle Maßnahmen für dessen Korrektur notwendig und damit weitere Kosten zu erwarten sind. Eine Verzerrung der Kostenevaluation ist hierdurch jedoch nicht zu erwarten, da im Falle eines tatsächlichen Behandlungsfehlers ohnehin der Behandler für die Korrekturkosten aufkommt.

Letztlich stellt auch die gutachterliche Entscheidung über das Vorliegen eines Behandlungsfehlers eine Bewertung von begrenzter Reproduzierbarkeit dar; diese wurde zwar von einer unabhängigen Zahnärztin im Konsens mit einem Medizin-Juristen validiert – die Validität und Reliabilität einer Konsens-Bewertung durch ein Panel unabhängiger zahnärztlicher Gutachter werden hiermit jedoch sicherlich nicht erreicht.

In Relation zu den Gesamtausgaben für zahnärztliche Leistungen wies die aus dem untersuchten Kollektiv ableitbare Verlustschätzung keine Evidenz für eine klinische oder ökonomische Relevanz zahnärztlicher Behandlungsfehler auf: Die 69 in obige Evaluation eingeschlossenen Gutachten-Fälle des MDK Rheinland-Pfalz stellen eine im Sinne der Fragestellung informativ selektierte Stichprobe dar, da die Krankenversicherer nur solche Fälle zur Begutachtung an die Zahnärztlichen Referate der MDK weiterleiten, bei denen der Vorwurf eines Behandlungsfehlers nicht schon bei Kassen-interner Vorbegutachtung eindeutig wiederlegt werden kann. Nur Patienten mit eindeutig berechtigten Behandlungsfehler-Vorwürfen sowie intern durch die Kassen nicht entscheidbare Fälle werden also zur Begutachtung weitergeleitet. Jedoch selbst dieses selektierte Kollektiv von Versorgungen mit bestehenden Behandlungsvorwürfen hat mit einem Anteil von 55% (n=38) gutachterlich attestierter („tatsächlicher“) klinischer Behandlungsfehler in einem zweijährigen Begutachtungszeitraum in Rheinland-Pfalz eine konstruktiv zu diskutierende klinische und ökonomische Dimension zahnärztlicher Behandlungs-Qualität in Deutschland demonstriert. Gerade verglichen mit Erkenntnissen zur klinisch-ökonomischen Wertigkeit der prothetischen Versorgungsqualität in Osteuropa [2], [3] zeigen sich – modulo aller Design-bedingten Einschränkungen der Aussagekraft dieser Untersuchung – die in Deutschland geltenden zahnärztlichen Richtlinien und Qualitätsvorgaben als im Interesse des Patienten wirksam.


Literatur

1.
Specht A: Klinische und ökonomische Evaluation angeblicher zahnärztlicher Behandlungsfehler auf der Basis von Daten des MDK Rheinland-Pfalz. Dissertation zur Erlangung des Grades "Dr. med. dent.", Fachbereich Medizin der Universität Mainz; 2004
2.
Körner I: Klinische und ökonomische Evaluation zahnärztlich-prothetischer Leistungen im (Nicht-EU)-Ausland. Dissertation zur Erlangung des Grades "Dr. med. dent.", Fachbereich Medizin der Universität Mainz; 2004
3.
Baulig C, Weibler U, Körner I, Krummenauer F: Evaluation von Ergebnisqualität und Kosteneffektivität zahnärztlich-prothetischer Versorgungen im (Nicht EU-) Ausland. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 2004; 59: 230-235