gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Erhöhen bestimmte zahnmedizinische Faktoren das Risiko für Kopfschmerzen? Ergebnisse einer repräsentativen epidemiologischen Studie bei Jugendlichen in Vorpommern

Meeting Abstract

  • Konstanze Fendrich - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald
  • Julia Heck - Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universität Greifswald, Greifswald
  • Georg Meyer - Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universität Greifswald, Greifswald
  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds138

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds160.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Fendrich et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Outline

Text

Einleitung und Fragestellung

Kraniomandibuläre Dysfunktionen (CMD) beschreiben eine Gruppe von muskuloskelettalen Störungen, die das Kiefergelenk, die Kaumuskulatur und/oder angrenzende Gewebe betreffen [1]. Leitsymptome dieser Erkrankung sind neben u. a. Schmerzen im Kiefergelenk bzw. der Kaumuskulatur [2], auch wiederkehrende Kopfschmerzen [3], [4]. Für die Altersgruppe der 15-Jährigen reichen die Prävalenzangaben für das Vorliegen von CMD von 7% [5] bis 25% [6]. Weitere Faktoren wie Eingriffe in die Okklusion, kieferorthopädische Interventionen oder Parafunktionen wie Knirschen oder Pressen, sowie Störungen der Sprachfunktion werden als Risikofaktoren für das Ausbilden von CMD diskutiert [7], [8], [9], [10]. Ein möglicher Zusammenhang dieser zahnmedizinischen Faktoren mit dem Auftreten von wiederholten bzw. stark belastenden Kopfschmerzen wurde bisher nicht ausreichend untersucht.

In dieser bevölkerungsbezogenen Studie an Schülern der 7. – 9. Klassen wurden Einflüsse zahnmedizinischer Faktoren wie (1.) der Okklusion, (2.) der kieferorthopädischen Intervention, (3.) der Existenz von Parafunktionen sowie (4.) der Sprachfunktion auf das Auftreten von Kopfschmerzen bei Jugendlichen untersucht.

Material und Methoden

Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen einer bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Studie zur Häufigkeit und zu Auswirkungen von Kopfschmerzen bei Jugendlichen in der Region Vorpommern. Die Befragung fand in 50% der Schulen der Region, die zufällig, geschichtet nach Schulform, gezogen wurden, mittels Selbstausfüllbögen statt. Der Hauptfragebogen beinhaltete eine Reihe von Fragen zur Erfassung chronischer Schmerzen und Kopfschmerzen bei Jugendlichen. Für die Ermittlung der zahnmedizinisch relevanten Dimensionen wurde ein zusätzlicher Fragebogen erstellt, der nach Bearbeitung des Hauptfragebogens ausgefüllt wurde. Dieser enthielt 10 Fragen zu den Themenbereichen: allgemeines Mundhygieneverhalten, Eingriffe in die Okklusion, Existenz einer kieferorthopädischen Behandlung und ihrer Form, Teilnahme an einer Sprachtherapie sowie Existenz von Parafunktionen. An der Befragung nahmen alle randomisiert gezogenen Schulen teil, so dass als Basis 3699 Schüler der 7.- 9. Klassen zur Verfügung standen, von denen 3324 Schüler (89.9%) an der Befragung teilnahmen. Nach Ausschluss der Fragebögen von Jugendlichen, die nicht im Altersbereich (12-15 Jahre) lagen, und der Bögen, in denen weniger als 50 % ausgefüllt war, verblieben für die statistischen Analysen 3029 Datensätze.

Logistische Regressionsmodelle wurden für die abhängigen Variablen wiederholte Kopfschmerzen in den letzten 3 Monaten (Eigeneinschätzung der Jugendlichen) und stark belastende Kopfschmerzen (≥14 Tage Kopfschmerzen / letzte 3 Monate bei durchschnittlicher Stärke ≥8 auf 10-stufiger Skala oder ≥28 Tage Kopfschmerzen / letzte 3 Monate bei durchschnittlicher Stärke ≥4 auf 10-stufiger Skala) berechnet. Als unabhängige Variablen flossen in die Regressionsmodelle neben den zahnmedizinischen Variablen (Okklusion, kieferorthopädische Intervention, Parafunktionen, Sprachtherapie) auch Geschlecht, Alter und Schulform ein.

Ergebnisse

Für Mädchen wurden im Vergleich zu Jungen in beiden Regressionen signifikant erhöhte OR für wiederholte Kopfschmerzen (OR: 2.50, p<0.001) und für stark belastende Kopfschmerzen (OR: 2.55, p<0.001) gefunden. Für wiederholte Kopfschmerzen in den letzten 3 Monaten waren die OR sowohl für die Gruppe der Schüler, die das Abitur anstreben (OR: 1.79, p<0.001) als auch für Realschüler (OR: 1.60, p=0.002) gegenüber Hauptschülern erhöht. Im Modell für die mit Kopfschmerzen stark belasteten Schüler zeigten sich dagegen keine signifikanten Effekte der Schulform.

Statistisch signifikante OR für wiederholte Kopfschmerzen wurden für die Faktoren „mehr als 4 Füllungen“ (OR: 1.56, p<0.01) gegenüber „keinen Füllungen“ sowie für „seltene“ (OR: 1.88, p<0.001) und „häufige Schmerzen im Kiefergelenk“ (OR: 1.74, p=0.013) gegenüber „keinen Schmerzen im Kiefergelenk“ gefunden (adjustiert nach Alter, Geschlecht, Schulform). Gegenüber Jugendlichen, die nie eine Zahnspange hatten, wurde ein signifikant erhöhtes OR von 1.49 (p=0.013) für Kinder mit einer bereits abgeschlossenen kieferorthopädischen Intervention (festsitzende und herausnehmbare Spange) gefunden. Die gegenwärtigen Zahnspangenträger zeigten hingegen keine signifikant erhöhten Kopfschmerzrisiken.

Für die Gruppe der mit Kopfschmerzen stark belasteten Jugendlichen war für die zahnmedizinischen Variablen nur für Kiefergelenksschmerzen („seltene“: OR: 2.16, p<0.01; „häufige“: OR: 2.95, p<0.01) gegenüber „keinen Kiefergelenksschmerzen“ eine OR Erhöhung feststellbar (adjustiert nach Alter, Geschlecht, Schulform).

Diskussion

Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von wiederholten Kopfschmerzen ist für Jugendliche mit vielen Füllungen sowie für Jugendliche mit Kiefergelenksschmerzen deutlich gegenüber Jugendlichen ohne Füllungen und ohne Schmerzen im Kiefergelenk erhöht. Für die 6,2 % der Schüler, die als stark mit Kopfschmerzen belastet klassifiziert worden sind, ergeben sich deutliche Effekte von seltenen und häufigen Schmerzen im Kiefergelenk gegenüber der Gruppe ohne Kiefergelenksschmerzen. Für eine genauere Analyse des Zusammenhangs und der Ursachenermittlung der Kiefergelenksschmerzen sowie der Auswirkungen der Eingriffe in die Okklusion durch Füllungstherapie und kieferorthopädische Behandlung sind weitere vor allem klinische Untersuchungen nötig. Das Mundhygieneverhalten, die Teilnahme an einer Sprachtherapie, das aktuelle Tragen einer Zahnspange sowie das Knirschen mit den Zähnen hatten keinen signifikanten Einfluss auf das Auftreten von wiederholten bzw. stark belastenden Kopfschmerzen. Schüler, die häufig unter Kopfschmerzen leiden, sollten trotzdem im Rahmen der diagnostischen Abklärung auch zahnärztlich / kieferorthopädisch untersucht werden.

Danksagung

Die Durchführung der Hauptstudie wurde finanziell von einem Konsortium der Pharmazeutischen Industrie unter Leitung der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) gefördert. Weiterhin bestand eine finanzielle Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (NBL-3 Programm, Nummer 01ZZ0403).


Literatur

1.
Dworkin SF, LeResche L (1992) Research diagnostic criteria for temporomandibular disorders: review, criteria examinations and specifications, critique. J Craniomandib Disord, 6: 301-355.
2.
Carlsson G, LeResche L (1995) Epidemiology of temporomandibular disorders. In: Sessle BJ, Bryant PS, Dionne RA (Hrsg.): Temporomandibular disorders and related pain conditions. Progress in pain research and management. Vol. 4, IASP Press, Seattle, S. 211-226
3.
Kirveskari P (1991) Are craniomandibular disorders a general health problem? Proc Finn Dent Soc. 87: 309-13
4.
Kemper JT, Okeson JP (1983) Craniomandibular disorders and headache. J Prostht Dent. 49:702-5
5.
List T, Wahlund K, Wenneberg B, Dworkin SF (1999) TMD in children and adolescents: prevalence of pain, gender differences, and perceived treatment need. J Orofacial Pain 7: 76-82
6.
Thilander B, Rubio G, Pena L, de Mayorga C (2002) Prevalence of temporomandibular dysfunction and its association with malocclusion in children and adolescents: an epidemiologic study related to specified stages of dental development. Angle Orthod 72:146-54
7.
Kampe T, Hannerz H, Strom P (1986): Mandibular dysfunction related to dental filling therapy. A comparative anamnestic and clinical study. Acta Odontol Scand 55: 312-324
8.
Egermark I, Thilander B (1992): Craniomandibular disorders with special reference to orthodontic treatment: an evaluation from childhood to adulthood. Am J Orthod Dentofacial Orthop 101: 28-34
9.
Karjalainen M, Le Bell Y, Jamsa T, Karjalainen S (1997): Prevention of temporomandibular disorder-related signs and symptoms in orthodontically treated adolescents. A 3-year follow-up of a prospective randomised trial. Acta Odontol Scand 55: 319-324
10.
Egermark-Eriksson I, Carlsson GE, Ingervall B (1981): Prevalence of mandibular dysfunction and orofacial parafunktion in 7-, 11- and 15-year-old Swedish children. Eur J Orthod 3: 163-72Lindberg DAB. Medicine in the 21st Century: Global Problems, Global Solutions. Methods Inf Med 2002; 41: 235-6.