gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

ADHS: Pharmakoepidemiologische Aspekte der Therapie mit Methylphenidat (Ritalin®)

Meeting Abstract

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  • Helene Bessou - Universität Bielefeld, Bielefeld
  • Hajo Zeeb - Universität Bielefeld, Bielefeld
  • Udo Puteanus - lögd, Münster

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds310

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds072.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Bessou et al.
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Text

Einleitung

Die Verordnung von Methylphenidat (MPH) ist bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) indiziert und geschieht als Teil eines integrierten Versorgungsmanagements. Evidenzbasierte Behandlungsleitlinien empfehlen eine Kombinationstherapie in Form von Verhaltenstherapie und Medikation [1]. In den letzten 10 Jahren sind die Methylphenidatverschreibungen um das 40-fache in Deutschland angestiegen. Diese Mengenzuwächse folgten einer in den USA schon einige Jahre früher beobachtbaren Entwicklung. Dort wurde für den Zeitraum zwischen 1990 und 1995 eine 2,6-fache Steigerung der Verordnung bei den 5 bis 18 jährigen beobachtet [2]. Es gibt Hinweise darauf, dass nur bei einer Minderheit der in den USA behandelten Kinder alle ADHS-Diagnosekriterien erfüllt sind [3]. Das Behandlungsmuster in Deutschland zeigt einen hohen Anteil an diskontinuierlichen sowie niedrig dosierten Therapien mit Methylphenidat [4]. Das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst NRW und die Anfrage des Bundesministerium für Gesundheit zur Überwachung des Methylphenidat-Konsums bei Kindern war Anlass zu dem „Sozialpharmazeutischen Projekt Methylphenidat in NRW“, das vom lögd NRW koordiniert wurde. Die Zielsetzung war die Identifikation von Verordnungsschwerpunkten im Zusammenhang mit soziodemographischen Daten.

Material und Methode

Studiendesign: In dieser Untersuchung wurden Querschnittsdaten verwendet, die sich auf einen Beobachtungszeitraum von 2 Quartalen beziehen. Über eine Befragung aller Kölner Apotheken wurden zunächst alle Ärzte identifiziert, die Methylphenidat verschrieben hatten. Von diesen wurden alle relevanten Rezepte des ersten und zweiten Quartals 2003 angefordert. Insgesamt wurden Rezeptdaten von 70 niedergelassenen Ärzten in Köln und von 4 Klinikärzten erfasst und 2729 Rezepte für 892 Patienten unter 18 Jahre untersucht. Dabei konnten auch Privatrezepte ausgewertet werden. Die Datenauswertung erfolgte deskriptiv nach den demographischen Merkmalen, Geschlecht, Alter und Wohnort, zu Verordnungs- und Dosierungsmenge sowie zu einem berufsgruppenspezifischen Vergleich, Kinder- und Jugendpsychiater vs. Kinderärzte und Allgemeinärzte.

Die MPH- Verordnungen wurden anhand der von den WHO empfohlenen Indikatoren zur Arzneimittelverbrauchsforschung analysiert: Verordnungsmenge, Behandlungsdauer und Verordnungshäufigkeit [5]. Diese Indikatoren wurden zur Identifikation von Verordnungs- und Anwendungsproblemen von MPH angewendet. Nach den Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung beträgt die maximale Monatsdosis (= 30 Tage) in der Regel 2000 mg. Außerdem wurde eine internationale mittlere Tagesdosis von 0,75 mg/kg von den Clinical Guidelines als Richtgröße definiert [6]. Die Untersuchung sollte zeigen, wie viele und welche Patienten (Altersgruppen) eine Dosierung über und unter der Richtgröße erhalten haben.

Ergebnisse

Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Verordnung von MPH. Jungen und Mädchen unterscheiden sich hinsichtlich der Behandlungshäufigkeit signifikant. Jungen werden 4mal häufiger als Mädchen behandelt: 84,5% der MPH- Empfänger sind Jungen zwischen 9 und 12 Jahre. Im Hinblick auf eine evidenzbasierte ADHS - Therapie werden Kölner Kinder von gut qualifizierten Ärzten versorgt. Die Beteiligung der Kinderärzte an der Verordnung von MPH ist in Köln höher als in ländlichen Gebieten: 71% vs. 52%. Aus dem Vergleich der GKV mit PKV-Daten in der Stadt Köln wird ersichtlich, dass sozioökonomische Faktoren einen Einfluss auf die Verordnung von MPH haben: 23% aller Verordnungen sind Privatrezepte, obwohl nur ca. 10 Prozent der Gesamtbevölkerung privat versichert sind. Drei Viertel der behandelten Patienten wohnen in Stadtbezirken mit einem hohen durchschnittlichen sozioökonomischen Status. Insgesamt wurden in Köln eher niedrige Dosen abgegeben. 80% der 9 bis 11jährigen haben eine Tagesdosis unter der für diese Altersgruppe empfohlenen mittleren Tagesdosis von 31mg erhalten. Bei einem Fünftel der Rezepte in Köln sind Einmalverordnungen (28%) beobachtet worden.

Diskussion

Die vorgestellte pharmakoepidemiologische Querschnittstudie ergibt Hinweise darauf, dass sozioökonomische Aspekte das Verordnungsgeschehen in der Stadt Köln beeinflussen. Ob die eher geringen Tagesdosen auf mangelnde Nutzung der Leitlinien schließen lassen oder andere Faktoren eine Rolle spielen, sollte in weiteren Untersuchungen geklärt werden. Keine Aussage konnte zur Einbindung der MPH-Verordnung in multimodale Behandlungskonzepte gemacht werden. Der recht hohe Anteil von Einmalverordnungen ist erklärungsbedürftig.

Die Untersuchung in Köln ist ein Beitrag zur Arzneimittelsicherheit im Bereich der Anwendung von Methylphenidat. Hierfür wurde eine Datenbank über Methylphenidat entwickelt, die als Instrument zum Anwendungsmonitoring dienen soll. Weitere versorgungsepidemiologische Fragestellungen in der ADHS - Forschung, etwa zu den Kosten der ADHS- Erkrankung und zur Frage der bedarfsgerechten Arzneimittelversorgung können auf der Basis qualitativ guter Primärdaten beantwortet werden.


Literatur

1.
MTA Cooperative Group. A 14-month randomised clinical trial of treatment strategies for attention - deficit/hyperactivity disorder. Multimodal Treatment Study of Children with ADHD. Arch Gen Psychiatry 1999 56 (9): 1073-1086.
2.
Robinson LM, Sclar DA et al. National Trends in the prevalence of attention- deficit/hyperactivity disorder and the prescription of methylphenidate among scholl-age children 1990-1995. Clin Pediatr Phila 1999 38 (4): 209-217.
3.
Angold A, Eranli A et al. Stimulant treatment for children: a community perspective. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 2000 39 (8) : 975-984.
4.
Schubert, I., Köster, Ch. et al. Hyperkinetische Störung als Krankenscheindiagnose bei Kindern und Jugendliche. Eine versorgungsepidemiologische Studie auf der Basis der Versichertenstichprobe KV Hessen /AOK Hessen. Abschlussbericht an das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung, 2002
5.
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIDO). Einführung in die Arzneimittelverbrauchsforschung. Autorisierte deutsche Übersetzung der Publikation "Introduction to Drug Utilization Research" 2003. World Health Organization, 2004
6.
National Institute for Clinical Excellence. Guidance in the use of Metylphenidat (Ritalin/Equasym) for Attention Deficit/ Hyperactivity Disorder (ADHD) in childhood. Technological Appraisal Guidance no. 13. Issue: Date Oct. 2000. Review Date: August 2003