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50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Risikofaktoren für „Multiple Chemical Sensitivity“ (MCS) und chemische Intoleranzen

Meeting Abstract

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  • Anke Bauer - Fachkrankenhaus Nordfriesland GmBH, Bredstedt
  • E. Schwarz - Fachkrankenhaus Nordfriesland GmBH, Bredstedt
  • U. Martens - Depatment of Psychology, University of Glasgow, Großbritannien

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds112

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005/05gmds009.shtml

Published: September 8, 2005

© 2005 Bauer et al.
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Einleitung und Fragestellung

Das umweltmedizinische Klientel des FKH-NF besteht überwiegend aus den schweren und auch den "schwierigen" umweltmedizinischen Fällen, die von niedergelassenen Umweltmedizinern an das FKH-NF überwiesen werden. Häufig sind es Patienten mit MCS ("Multiple Chemical Sensitivity"), die heute in der umweltmedizinischen Abteilung des FKH-NF behandelt werden. Die Ursachen der MCS sind umstritten. Insbesondere toxische und psychische Mechanismen werden (kontrovers) diskutiert [1], [2]. Ein Ziel dieser Studie war es, zu überprüfen, ob die Kombination mehrerer Einflüsse (Schadstoffexposition und psychische oder somatische Vulnerabilität, Komorbidität) als Risikofaktoren für MCS eine Rolle spielen. Weitere Ergebnisse der Studie, z.B. zu Verlaufsprädiktoren können dem Forschungsbericht auch online entnommen werden [3].

Material und Methoden

Im Zeitraum 1/2001 bis 6/2002 nahmen 295 umweltmedizinische Patienten an der Studie teil (Responserate 88%). Davon erhielten 157 die Diagnose MCS (=PMCS). 77 Patienten erfüllten nicht alle Kriterien einer MCS des RKI [4], wiesen aber einzelne oder monosymptomatische Chemikalienintoleranzen auf und wurden als MCS-verwandte Diagnosen aus dieser Analyse ausgenommen. Als Kontrollgruppe galten 61 umweltmedizinische Patienten, die weder MCS noch eine verwandte Diagnose erhielten (=PoMCS). Es wurden Daten anhand eines Arztfragebogens (allgemeine Daten, Exposition, Therapie, Diagnosen, Komorbidität und Vulnerabilität) und eines Patientenfragebogens erhoben (Symptome (Neurotox-FB), chemische und sonstige Intoleranzen (QEESI), gesundheitsbezogenene Lebensqualität (NHP), Depressivität und Ängstlichkeit (GHQ12), physische Leistungsfähigkeit (FFbH)). Hier wurden nur die Ergebnisse zu den am häufigsten dokumentierten (mutmaßlichen) Vulnerabilitätsfaktoren „familiäre Disposition“ (25%), „starker psychosozialer Stress“ (35%) sowie interessehalber „Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)“(6%) mit aufgenommen. Der Score „Chemische Intoleranz (QEESI-CI: 0-100)“ des QEESI [5] wurde ersatzweise verwendet, wenn ein Risikofaktor Bestandteil der Diagnose bzw. der Gruppenbildung PMCS/PoMCS war (dies traf zu für: allergische Disposition allgemein, Allergie/Sensibilisierung gegen einen Schadstoff, Allergie/Sensibilisierung gegen Dentalwerkstoffe).

Ergebnisse

Im Bereich der Komorbidität wurden nur allergisches Asthma (6% vs. 0%), Anpassungsstörungen (34% vs. 20%) sowie unspezifische Nahrungsmittel-Intoleranzen (68% vs. 16%) bei den PMCS häufiger diagnostiziert als bei den PoMCS. Häufige Komorbidität betraf weiterhin Schmerzsyndrome, Erschöpfungssyndrome, depressive Störungen, Schilddrüsenerkrankungen, Polyneuropathien, Hypertonie, Kopfschmerzen und Angststörungen und betrafen die PoMCS häufiger oder beide Gruppen gleichermaßen zu 5-33%.

Unter den PMCS waren deutlich mehr weibliche Patienten als unter den PoMCS, aber auch die Verteilung der Risikofaktoren war deutlich geschlechtsabhängig, so dass die Geschlechter nicht direkt vergleichbar waren. Nur ein Teil der erhobenen Schadstoffexpositionen, die zu umweltmedizinischen Erkrankungen der Patienten geführt hatten, erhöhten auch signifikant das OR (=Odds Ratio) für MCS. Dies waren Lösemittel (ohne Sick-Building-Situationen), Formaldehyd, Metalldämpfe und Biozide (geschlechtsabhängig). Das Vorliegen der Vulnerabilitätsfaktoren (familiäre Disposition, vorbestehende PTSD, starker psychosozialer Stress) unabhängig von der Schadstoffexposition erhöhte leicht das OR für MCS, jedoch nicht statistisch signifikant. Das MCS-Risiko stieg insbesondere bei kombiniertem Vorliegen von Vulnerabilitätsfaktoren und spezifischen Schadstoffexpositionen überproportional an.

Abbildung 1 [Abb. 1]

Weibliche Patienten wiesen unabhängig von den betrachteten Risikofaktoren und Diagnosen durchweg höhere QEESI-CI-Scores (=Chemische Intoleranz) und häufiger Allergien (57% vs. 23%) auf als die männlichen Patienten. Die QEESI-CI-Scores der Patienten mit allergischer Disposition allgemein oder einer spezifischen Allergie gegen einen relevanten Expositionsfaktor waren höher als die der nicht derart belasteten Patienten. Die Steigerungen der QEESI-CI Scores betrugen jedoch nur 10% bis 15% und waren bei den männlichen Patienten nicht statistisch signifikant. Wiederum deutlich höher fielen die Steigerungen aus, wenn spezifische Schadstoffexpositionen in Kombination mit einer allergischen Disposition betrachtet wurden, so wiesen die männlichen Patienten mit Lösemittel-Exposition und allergischer Disposition den höchsten QEESI-CI bei den Männern auf (76,5 vs. 39,2: p<=0,05; Frauen: 79,9 vs. 60,4: p<=0,05). Ein ähnliches Bild ergab sich für eine allergische Disposition und Biozid-Exposition (Männer: 68,1 vs. 41,9: p<=0,05; Frauen: 78,7 vs. 58,3: p<= 0,05). Allergien/Sensibilisierungen gegenüber Dentalmaterialien konnten dagegen nicht als Risikofaktor für erhöhte QEESI-CI-Scores identifiziert werden.

Fazit

Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass bei kombiniertem Vorliegen von Schadstoffbelastungen und Faktoren, die möglicherweise eine Vulnerabilität bedingen (hier betrachtet: familiäre Disposition, starker psychosozialer Stress, vorbestehende Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), Allergien), das Risiko für MCS bzw. für ein vermehrtes Auftreten von chemischen Intoleranzen ansteigt. Die hier betrachteten Vulnerabilitätsfaktoren führten schadstoffunabhängig nicht zu einem signifikanten Anstieg der MCS-Häufigkeit bzw. der chemischen Intoleranzen (Ausnahme: Allergische Disposition bei Frauen).


Literatur

1.
Ashford NA, Miller CS. Chemical exposures: Low levels and high stakes. 2 Edition. New York: Van Nostrand Reinhold;1998
2.
Maschewsky W. Handbuch Chemikalienunverträglichkeit (MCS). Hamburg: Medi Verlagsgesellschaft für Wissenschaft und Medizin mbH; 1996.
3.
Bauer A, Schwarz E, Martens U, et al. Untersuchung über die Prädiktoren von Krankheitsentstehung und Langzeitverlauf bei ambulanten und stationären Patienten der Umweltmedizin am Fachkrankenhaus Nordfriesland. Forschungsbericht-Nr. F297. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung; 2003. (www.bmgs.bund.de/download/broschueren/F297.pdf)
4.
Eis D, Beckel T, Birkner N, et al. (2002). Multizentrische MCS-Studie. Forschungsbericht erstellt durch das Robert-Koch-Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin (2002) (www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/mcs.htm)
5.
Miller CS, Prihoda T. The Environmental Exposure and Sensitivity Inventory (EESI): a standardized approach for measuring chemical intolerances for research and clinical applications. Toxicology and Industrial Health 1999; 15:370-385