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Brücken bauen – von der Evidenz zum Patientenwohl: 19. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V.

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

08.03. - 10.03.2018, Graz

Evidenzbasierte Entscheidungen in der Rehabilitation – Herausforderung oder Illusion am Beispiel der Rehabilitation Pflegebedürftiger?

Meeting Abstract

  • author presenting/speaker Norbert Lübke - KCG (Kompetenz-Centrum Geriatrie des GKV-Spitzenverbandes und der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste)
  • Stefan Gronemeyer - MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen)
  • presenting/speaker Johann Behrens - DNEbM (Dt. Netzwerk Evidenzbasierte Medizin); DVfR (Dt. Vereinigung für Rehabilitation); Universität Halle-Wittenberg, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften
  • presenting/speaker Jürgen Windeler - IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen); DNEbM (Dt. Netzwerk evidenzbasierte Medizin)
  • presenting/speaker Ansgar Gerhardus - Abteilung 1: Versorgungsforschung – Institut für Public Health und Pflegeforschung, Fachbereich 11, Universität Bremen

Brücken bauen – von der Evidenz zum Patientenwohl. 19. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Graz, Österreich, 08.-10.03.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18ebmS-01

doi: 10.3205/18ebm142, urn:nbn:de:0183-18ebm1425

Published: March 6, 2018

© 2018 Lübke et al.
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Text

EbM definiert sich als die Integration der bestverfügbaren externen Forschungsevidenz mit den individuellen Umständen und Präferenzen des Patienten, um zu bestmöglichen Entscheidungen für den Patienten zu kommen. Die Fähigkeit zu dieser Integration wird als klinische Expertise bezeichnet. Evidenz aus Studien ist somit nur ein, wenngleich wesentlicher Baustein evidenzbasierter Entscheidungsfindung.

Dennoch ist in praktischen Entscheidungssituationen die Schwierigkeit externe Evidenz auf die konkrete Einzelfallentscheidung (interne Evidenz) herunterzubrechen nicht immer gleich. Je komplexer die Interventionen und die Kontexte, in denen sie Anwendung finden, desto mehr steht die externe Validität selbst relativ breiter Studienevidenz in Frage.

Das Symposium stellt diese Schwierigkeit am Beispiel der Rehabilitation bei alten, pflegebedürftigen Menschen dar – einem im Hinblick auf Reduktion/Vermeidung von Pflegebedürftigkeit und Erhalt von Teilhabe auch politisch als wichtig erkanntem Bereich gesundheitlicher Versorgung. So hat bspw. der Medizinische Dienst eine entsprechende Indikation im Rahmen jeder Pflegebegutachtung zu prüfen.

Im Rahmen eines von Rothgang et al. wissenschaftlich begleiteten Projekts zur Optimierung dieser MDK-Rehaempfehlungen legte Lübke 2015 [1] für den GKV-Spitzenverband eine umfangreiche Recherche der Evidenz zur Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen bei dieser Zielgruppe vor. Er kam zu dem Ergebnis, dass es relativ viele Systematic Reviews (SR) gibt, die die Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen auch bei alten pflegebedürftigen Menschen, zumeist mit moderaten Effektstärken, insgesamt jedoch gleichgerichtet belegen. Wegen der Verschiedenheit und Vielfalt entsprechender Interventionen einerseits wie der individuell sehr vielfältigen Erbringungskontexte solcher Maßnahmen andererseits bleibt der Nutzen dieser SR für die interne Evidenz, mit der sich der MDK-Gutachter im Rahmen seiner Pflegebegutachtung beschäftigen muss, aber begrenzt.

Auch Behrens et al. [2] berichten im Rahmen eines vom BMG geförderten Forschungsprojekt zur Identifikation und Umsetzung von Rehabilitationsbedarf bei Pflegeheimbewohnern von erheblichen Diskrepanzen zwischen von rehabilitationserfahrenen Geriatern erhobenen Potenzialen und deren Realisierung in der Versorgungspraxis.

Vertreter der EBM wie Windeler [3] betonen im Einklang mit Raspe [4] und anderen Rehabilitationswissenschaftlern demgegenüber die grundsätzliche Verpflichtung wie die Möglichkeit auch rehabilitative Leistungserbringung den Kriterien evidenzbasierter Medizin zu unterwerfen und deren Ergebnisse durch qualitativ hochwertige randomisierte Studien noch besser nutzbar zu machen.

Schließlich versucht die EBM selbst seit einiger Zeit, die Entwicklung, Beschreibung und Evaluation komplexer Interventionen in komplexen Kontexten methodisch durch entsprechende Standards zu verbessern (Mühlhauser 2011, Voigt-Radloff et al. 2013, Straus et al. 2016, Möhler et al. 2016). Gerhardus et al. [5] haben mit dem INTEGRATE-HTA-Projekt ein Rahmenkonzept zur Bewertung komplexer Interventionen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kontexte vorgestellt.

Haben wir tatsächlich noch zu wenig Evidenz? Oder haben wir die falschen Studien? Genügen die bestehenden nur nicht methodischen Anforderungen von Studien zu komplexen Interventionen und Kontexten? Welche Studien mit welchen Fragestellungen würden uns weiterbringen? Für alltagsnahe Einzelfallentscheidungen? Für versorgungspolitische Entscheidungen? Wo werden möglicherweise Grenzen externer Evidenz bleiben und wodurch lassen sich diese überbrücken?

Moderation: Gronemeyer S (MDS), Lübke N (KCG)

4 Impulsreferate (á 15Min):

  • Lübke N: Ergebnisse einer Evidenzrecherche zur Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen bei Pflegebedürftigen
  • Behrens J: Ergebnisse einer Studie zur Identifikation und Umsetzung von Rehabilitationsbedarfen bei Pflegebedürftigen
  • Windeler J: Evidenz in der Rehabilitation – Notwendigkeit und Optionen
  • Gerhardus A: INTEGRATE-HTA – Evidenz bei komplexen Interventionen und Kontexten

Podiumsdiskussion mit den Referenten unter Einbezug des Plenums (30 Min)


Literatur

1.
Lübke N. Explorative Analyse vorliegender Evidenz zu Wirksamkeit und Nutzen von rehabilitativen Maßnahmen bei Pflegebedürftigen im Hinblick auf eine mögliche Anwendbarkeit im Rahmen der Feststellung des Rehabilitationsbedarfs bei der Pflegebegutachtung. Grundsatzgutachten im Auftrag des MDS. Hamburg, Essen; 2015.
2.
Behrens J. „Interne Evidenz - Ergebnisse einer klinisch-epidemiologischen Reihenuntersuchung bei 750 Bewohner*innen stationärer Pflegeeinrichtungen“ sozialwissenschaftlicher Feldexperimente. Verallgemeinerungen zu externer und interner Evidenz. In: Keuschnigg M, Wolbring T, Hrsg. Experimente in den Sozialwissenschaften. Baden-Baden: Nomos; 2015. S. 246-276. (Soziale Welt; Sonderband 22).
3.
Windeler J. Externe Validität. ZEFQ. 2008;102:253-60.
4.
Raspe H. Medizinische Rehabilitation: „Change we need“. Rehabilitation. 2009;48(1):47-50.
5.
Gerhardus A on behalf of the INTEGRATE-HTA project team. Integrated health technology assessment for evaluating complex technologies (INTEGRATE-HTA): An introduction to the guidances. 2016. Available from: http://www.integrate-hta.eu/downloads/ External link