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Klasse statt Masse – wider die wertlose Wissenschaft: 18. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

09.03. - 11.03.2017, Hamburg

EbM und Zahnmedizin: Eine kritische Bewertung am Beispiel der lokalen Fluoridapplikation im Milchgebiss

Meeting Abstract

Klasse statt Masse – wider die wertlose Wissenschaft. 18. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Hamburg, 09.-11.03.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. Doc17ebmS7

doi: 10.3205/17ebm116, urn:nbn:de:0183-17ebm1164

Published: February 23, 2017

© 2017 Schwendicke et al.
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Text

Die Methoden von evidenzbasierter Medizin und die Bewertung klinischer Studien werden zunehmend kontrovers diskutiert, nicht zuletzt in der Zahnmedizin. Das geplante Symposium will an einem aktuellen Beispiel – der Kariestherapie im Milchgebiss mittels Fluoridapplikation – darlegen, wie die vorhandene Evidenz aus Sicht der Zahnmedizin interpretiert wird, aber auch wie Methodiker diese Evidenz bewerten. Ausgehend davon soll abgeleitet und dargestellt werden, was für Studien in der Zahnmedizin nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich sind, und wie genau diese Studien methodisch ausgerichtet sein sollten. Schließlich soll auch die Perspektive von Patienten auf evidenzbasierten Entscheidungen in der Zahnmedizin dargelegt werden. Ziel des Symposiums soll sein, einerseits einen Diskussionsprozess zwischen klinischer und methodischer Forschung anzuregen und andererseits Handlungsempfehlungen zur Planung zukünftiger Studien unter Berücksichtigung sowohl klinischer als auch methodischer Aspekte darzulegen.

Einzelbeiträge:

Andreas Schulte: Fluoridapplikation zur Kariestherapie (im Milchgebiss): Haben wir genügend Evidenz?

Der durch epidemiologische Studien belegte Kariesrückgang bei bleibenden Zähnen von Kindern und Jugendlichen ist im Milchgebiss nur bedingt zu beobachten. Der weiterhin hohe Therapiebedarf, gerade in sozioökonomisch benachteiligten Patientengruppen, erfordert ein stufenweises Therapiekonzept. Für frühe kariöse Läsionen ist die Mineralisationskontrolle mittels Fluoriden fester Bestandteil eines solchen Konzeptes. Der Vortrag wird die klinische Datenlage zur Arretierung kariöser Läsionen im Milchgebiss mittels Fluoridapplikation beleuchten. Dabei werden die Stärken und Schwächen der vorhandenen Studien beleuchtet und aus zahnmedizinischer Sicht bewertet. Zudem werden Besonderheiten im Design von Studien zu non-invasiven Kariesbehandlungen herausgearbeitet und deren Berechtigung diskutiert. Abschließend soll die Fluoridapplikation im Milchgebiss aus klinischer und Public Health Perspektive bewertet werden.

Martina Lietz (Köln): Methodische Bewertung von Studien in der Zahnmedizin

Zu zahnmedizinischen Fragestellungen existiert eine große Zahl von RCTs. Bei ihrem Design gilt es, die methodischen Besonderheiten von Studien im zahnmedizinischen Bereich zu berücksichtigen, was jedoch häufig nicht geschieht. Ziel dieses Beitrags ist es, auf einige methodische Aspekte und häufige Schwachstellen solcher Studien aufmerksam zu machen und mögliche Lösungswege aufzuzeigen. Anhand von Beispielen werden verschiedene methodische Aspekte vorgestellt und erläutert. Häufige Schwachstellen sind eine fehlende Adjustierung für Datenabhängigkeit, wenn beispielsweise mehr als ein Zahn pro Patient in die Auswertungen eingeht, die unzureichende Beschreibung der Interventionen oder die Operationalisierung der Endpunkte (Responsekriterien, MIDs), um einige zu nennen. Es gibt viele RCTs im zahnmedizinischen Bereich, aber ein großer Prozentsatz weist erhebliche methodische Mängel auf, obwohl diese Mängel grundsätzlich vermeidbar wären.

Rainer Jordan (Köln): Was für Studien können und brauchen wir in der Zahnmedizin?

Evidenzbasierte Medizin soll die aktuell bestverfügbare externe Evidenz mit der individuellen klinischen Expertise verbinden, um zu einer optimalen therapeutischen Entscheidung zu kommen. Zur Erlangung der externen Evidenz haben sich RCT als Goldstandard herausgebildet vor dem Hintergrund, dass mit diesem Studientypus die Vermeidung systematischer Verzerrung am besten erreicht werden kann. Auf der anderen Seite zeigt die Versorgungsforschung, dass ihre Ergebnisse nicht auf andere Patienten unter Alltagsbedingungen übertragen werden können. Auf dem Erkenntnisweg zu einem umfassenden Verständnis therapeutischer Verfahren in der zahnmedizinischen Gesundheitsversorgung kann daher die absolute Wirksamkeitsüberprüfung im Rahmen klinischer Prüfungen nicht der wissenschaftliche Endpunkt sein. Bevor allerdings die Versorgungsforschung in der Zahnmedizin richtig Fuß fassen kann, sollten die zur Diskussion stehenden Verfahren zunächst auf ihre absolute Wirksamkeit im Rahmen der klinischen Forschung überprüft sein. Der chronische Charakter der Haupterkrankungen in der Zahnmedizin machen diese klinische Überprüfung mit harten Endpunkten allerdings methodisch, organisatorisch und finanziell sehr anspruchsvoll.