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EbM zwischen Best Practice und inflationärem Gebrauch
16. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

13.03. - 14.03.2015, Berlin

About this meeting

Grußwort der Tagungspräsidentin

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Befinden wir uns in einer EbM-Inflation? Was die weit verbreitete Nutzung des Begriffes angeht allemal. Wahre Stilblüten finden sich in der öffentlichen Kommunikation wie „evidenzbasiertes Trösten“ oder „evidenzbasiert eine Spastik lösen“. An den Hochschulen wird neuerdings „evidenzbasiert gehandelt“ und andernorts wird „evidenzbasierte Angehörigenintegration im Gesundheitswesen“ eingefordert.

Die EbM hat sich während der letzten Jahre zweifelsohne als Best Practice in verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung etabliert. Zunächst war es in den 90er Jahren nur ein kleiner Kreis von Medizinern, die sich für die Methoden der klinischen Epidemiologie begeistern konnten und faire und aussagekräftige Therapievergleiche forderten. EbM wird nunmehr schon lange über diesen kleinen Kreis und auch über individuelle klinische Fragestellungen hinaus angewendet. Die Methoden wurden auch von anderen Gesundheitsprofessionen übernommen, so zum Beispiel als evidenzbasierte Pflege.

So weit so gut, wenn da nicht diese Schwemme an generischen Produkten der EbM wäre: Die große Anzahl systematischer Übersichtsarbeiten, vielfach zu überlappenden oder gar gleichen Fragestellungen, vermehrt auch zu indirekten Therapievergleichen und allzu häufig eben auch mit der primären Schlussfolgerung „Further research is needed“. Die vielen Reviews aus Observationsstudien mit Techniken, die vermeintlich die Confounder optimal kontrollieren, die statistischen Techniken aus dem Elfenbeinturm, die kaum mehr nachvollziehbar oder reproduzierbar sind, Netzwerk-Metaanalysen, Propensity Scores, Bias-Adjustierung usw.

Die Methoden der EbM sind anspruchsvoll und herausfordernd geworden, so z. B. in der Entwicklung von Leitlinien – dem tradierten Instrument des Wissenstransfers der EbM per se. Sollen Leitlinien nach state of the art entwickelt werden, ist dies in den herkömmlichen Leitlinienentwicklungsgruppen kaum noch zu bewältigen.

Über all dem schwebt die Frage, die EbM ursprünglich zu Eigen ist: Bieten diese EbM-Produkte einen echten Erkenntnisgewinn und haben das Potential, die Gesundheitsversorgung zu verbessern? Können sie eine gerechtere Zuteilung von medizinischen und Gesundheitsleistungen fördern? Und vor allem, können sie zu besseren Ergebnissen für die Patienten und Verbraucher im Gesundheitswesen führen? In Anbetracht der zunehmend elaborierten Techniken unter dem Label EbM stellt sich manchem auch die Frage: Sind die EbM-Instrumente gar zum Selbstzweck geworden? Unterminieren sie, was EbM eigentlich ist? EbM, die ureigentlich den Anspruch hatte, nachvollziehbar und transparent zu sein? Brauchen wir neue Standards des critical appraisals, jetzt wo EbM zum selbstverständlichen Handwerkszeug der Akteure im Gesundheitswesen geworden ist?

Nach dem vollendeten 15. Jahr des Bestehens unseres Netzwerks wollen wir uns auf der Jahrestagung 2015 in Berlin genau diese Fragen stellen, kritische Bilanz ziehen und konstruktive Lösungen andenken.

Wir freuen uns auf Sie in Berlin am 13. und 14. März 2015!
 

Prof. Dr. Gabriele Meyer
Vorsitzende des DNEbM & Kongresspräsidentin
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät MLU Halle-Wittenberg