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KID-PROTEKT Kindzentrierte Psychosoziale Grundversorgung im ambulanten Sektor
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Published: | October 2, 2023 |
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Hintergrund: Familiäre Belastungslagen wie Armut, soziale Isolation oder auch psychische Erkrankungen können dazu beitragen, dass in der Familie keine ausreichenden Ressourcen für die Versorgung und Erziehung von Kindern vorhanden sind. Dysstress in der Schwangerschaft und frühkindliches Erleben von psychosozialen Belastungen können Entwicklungsschritte negativ beeinflussen und lebenslange Konsequenzen für die Gesundheit des Kindes mit sich bringen. Gleichzeitig ist bekannt, dass gerade diejenigen Familien, die besonders belastet sind, nicht oder zu spät Unterstützungsangebote nutzen.
Methodik: Im Rahmen eines randomisiert-kontrollierten Studiendesigns RCT wurde die kindzentrierte psychosoziale Grundversorgung gegenüber der Regelversorgung untersucht. In zwei Interventionsgruppen führten spezifisch geschulte Fachärzt:innen für Gynäkologie sowie Pädiatrie und medizinische Fachkräfte über einen Zeitraum von 18 Monaten eine erweiterte „psychosoziale Anamnese“ durch. In einer Interventionsgruppe konnte bei komplexen Fallkonstellationen konnten (sozial-)pädagogische Fachkräfte in die Beratung einbezogen werden. Inferenzstatistisch wurden Effektivität, Effizienz, Wirkung und Akzeptanz und Praktikabilität geprüft.
Ergebnisse: Die Ergebnisse aus 24 Facharztpraxen mit N=8.458 Familien zeigen eine evidente Versorgungslücke unter den aktuellen Bedingungen der Regelversorgung auf: Belastete Familien wurden nicht zuverlässig erkannt, angesprochen und weitergeleitet. Die kindzentrierten psychosozialen Grundversorgung führte zu einer dreifach höheren Vermittlungsrate von unterstützungsbedürftigen Familien an Hilfsangebote. Die geschulten Praxen konnten ihrem gesetzlichen Auftrag zur bedarfsorientierten Information über regionale Unterstützungsangebote für Eltern und Kind (§§ 24d, 26 SGB V) signifikant besser nachkommen. Bei komplexem Unterstützungsbedarf erwies sich die Zusammenarbeit mit spezialisierten Fachkräften als effektivere Lösung, um vulnerable Gruppen aktiv in Hilfen zu begleiten. Leistungserbringer und Familien zeigten eine hohe Zufriedenheit mit der neuen Versorgungsform, was die hohen Teilnahmeraten von bis zu 97% belegen. Die Evaluatoren befürworten eine Übertragung der „Kindzentrierten psychosozialen Grundversorgung im Ambulanten Sektor“ nach dem Modell KID-PROTEKT in die Regelversorgung. KID-PROTEKT prüft die Identifikation und Weiterleitung psychosozial belasteter Familien in Frauenarzt und Kinder- und Jugendarztpraxen mittels einer clusterrandomisierten Methodik, stratifiziert nach Praxengröße, Stadt-Land-Einzugsgebiet in drei verschiedenen Bundesländern. Erstmalig wird dabei die Regelversorgung im Hinblick auf die psychosoziale Anamnese und Weiterleitung an Hilfsangebote analysiert und bewertet. Es ist hervorzuheben, dass alle Forschungsziele, -instrumente und Prozessabläufe in KID-PROTEKT mit einem Nutzerinnenbeirat, bestehend aus n=12 von psychosozialen Belastungen betroffenen Elternteilen, über die gesamte Projektlaufzeit beraten wurden und damit neben dem methodisch anspruchsvollen Forschungsdesign und elaborierten statistischen Auswertungen auch der Partizipation umfänglich Rechnung getragen wurde. Im Rahmen der gesundheitsökonomischen Bewertung der neuen Versorgungsform wurden ebenfalls neue Wege erprobt, indem die Zielerreichung: frühstmögliche Identifikation und bestmögliche Weiterleitung ins Hilfesystem von psychosozial belasteten Familien mittels Expertenvotings bewertet und monetär ins Verhältnis gesetzt wurden. Ein moderner gesundheitökonomischer Ansatz, der bei komplexen Interventionen zunehmend Anwendung findet, seine Berechtigung hat, allerdings auch bereits bei der Projektplanung umfassende Messungen erfordert, wurde damit umgesetzt. Neben den genannten Aspekten der RCT-Methodik, der Partizipation wie auch der Berücksichtigung aktueller gesundheitsökonomischer Ansätze ist das Vorhaben ein Leuchtturmprojekt der Versorgungsforschung, da es aktuelle Fragestellungen wie Einbezug von Familien mit Migrationshintergrund, Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zur psychosozialen Anamnese sowie Einsatz der Medizinischen Fachangestellten versus ärztliches Personal beantworten hilft.