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Variationen in der intendierten Inanspruchnahme von Notfallversorgung – eine Bevölkerungsstudie mit Fallvignetten unterschiedlicher Dringlichkeit
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Published: | October 2, 2023 |
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Hintergrund und Stand der Forschung: Die Thematik inadäquater Inanspruchnahme in der Akut- und Notfallversorgung ist verstärkt in den Fokus öffentlicher Diskussionen geraten. Vielfach überlastete Notaufnahmen und die damit verbundene Gefährdung der Patient:innensicherheit zeugen von einem dringenden Reformbedarf der Notfallversorgung in Deutschland. Insbesondere Patient:innen, welche in weniger dringlichen Fällen Angebote der Notfallversorgung nutzen, sind in diesem Zusammenhang in den Fokus gerückt. Im Gegensatz zu Patient:innensurveys sind Umfragen in der Allgemeinbevölkerung zu diesen Themen deutlich weniger verbreitet.
Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Welche Merkmale einer Fallgeschichte (Geschlecht, Alter, Tageszeit, Dringlichkeit) sind mit unterschiedlicher intendierter Inanspruchnahme von Gesundheitsversorgung im Allgemeinen sowie mit intendierter Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst im Besonderen assoziiert? Welche Merkmale einer Fallgeschichte (Geschlecht, Alter, Tageszeit) und der Befragten (Geschlecht, Alter, Bildung, Migrationshintergrund) hängen mit der intendierten Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst in weniger dringlichen Fällen zusammen?
Methode: In einer repräsentativen Zufallsstichprobe (N=1204) wurden im Winter 2021/2022 mittels telefonischer Befragung (CATI) der erwachsenen Hamburger Bevölkerung 24 unterschiedliche Fallgeschichten (Vignetten) gastrointestinaler Erkrankungen, variiert nach Geschlecht, Alter, Tageszeit und Dringlichkeit, vorgestellt und die Teilnehmer:innnen nach ihrer beabsichtigten Inanspruchnahme gefragt. In bi- und multivariaten Analysen wurden Zusammenhänge zwischen Vignetten- sowie Befragtenmerkmalen und intendierter Inanspruchnahme überprüft und versucht, inadäquate Inanspruchnahme näher zu identifizieren.
Ergebnisse: Vignetten mit männlichen Betroffenen, Kindern und abendlichem Auftreten der Symptome hängen signifikant stärker mit der Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst zusammen. Insgesamt wählten knapp 14% Optionen der Notfallversorgung (Notaufnahmen, Rettungsdienst, Notfallpraxen) trotz niedriger Dringlichkeit. In multivariaten Analysen, fokussiert auf Fälle niedriger Dringlichkeit, zeigten sich zudem signifikante Zusammenhänge zwischen männlichem Geschlecht sowie Migrationshintergrund (1. Generation) der Befragten und der intendierten Inanspruchnahme von Notaufnahmen und Rettungsdienst.
Diskussion: Die Ergebnisse identifizierten unterschiedliche Merkmale inadäquater Inanspruchnahme von Notfallversorgung und können dazu beitragen unangemessene Inanspruchnahme besser zu verstehen sowie Aufklärung und Information gezielter zu adressieren. Es erscheint eine verstärkte Aufklärung über die Alternative „116 117“ und über die angemessene Inanspruchnahme von Notfallversorgung notwendig.
Implikation für die Versorgung: Programme und Kampagnen zur Förderung von Notfallkompetenz und adäquater Inanspruchnahme bei akuten Beschwerden sowie die Empfehlungen zu integrierten Leitstellen und Notfallzentren sind denkbare Interventionen.
Förderung: BMBF-Strukturförderung Versorgungsforschung; 01GY1912