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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Häusliche Versorgungsarrangements mit osteuropäische Live-in-Hilfen für Menschen mit Demenz – eine Konstellation verschränkter Vulnerabilitäten. Das Projekt TriaDe als Beispiel theoriegenerierender Versorgungsforschung

Meeting Abstract

  • Milena von Kutzleben - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Abteilung Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland
  • Sabine Ursula Nover - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Abteilung Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg, Deutschland
  • Mark Schweda - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Department für Versorgungsforschung, Abteilung Ethik in der Medizin, Oldenburg, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf416

doi: 10.3205/23dkvf416, urn:nbn:de:0183-23dkvf4166

Published: October 2, 2023

© 2023 von Kutzleben et al.
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Hintergrund und Stand der Forschung: Internationale Definitionen von Versorgungsforschung verweisen auf die Familie als relevanten Gegenstand der Versorgungsforschung. Tatsächlich wird auch in Deutschland etwa ein Großteil der pflegerischen Versorgung im familiären Kontext erbracht. Dennoch werden familiale Versorgungssettings hierzulande selten in den Blick genommen und die Strukturen, Prozesslogiken und Outcomes informeller Versorgung stehen nicht im Fokus. Ein Beispiel für ein komplexes Versorgungssystem an der Schnittstelle zwischen informeller und semi-formeller Versorgung organisiert durch die Familie ist das Modell Live-in-Care, also die häusliche Versorgung von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen durch meist ostereuropäische Live-in-Hilfen. Diese Form der Versorgung ist in Deutschland längst zu einer Versorgungsrealität geworden und wird gerade im Fall demenzieller Erkrankungen häufig als Alternative zu einer (drohenden) Heimweisung in Erwägung gezogen. Es liegen allerdings kaum empirische Erkenntnisse zu den Funktionsweisen und Dynamiken dieser Arrangements vor, sodass eine Einschätzung dieser Form der Versorgung, insbesondere im Hinblick auf Menschen mit Demenz, nicht empirisch fundiert erfolgen kann.

Fragestellung und Zielsetzung: Im DFG-geförderten Verbundprojekt TriaDe werden Live-In-Arrangements und die beteiligten Akteur:innen als triadische Konstellation in den Blick genommen, um eine gegenstandsverankerte Theorie zu entwickeln. Die drei Teilprojekte widmen sich kommunikativen Aushandlungsprozessen, Interaktionsdynamiken und Sorgeverantwortlichkeiten sowie moralischen Konflikten unter Berücksichtigung der gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland.

Methoden: In den Teilprojekten kommen qualitativ-explorative Zugänge empirischer Sozialforschung (z.B. ethnographische und Expert:inneninterviews, Beobachtungsverfahren, Video- und Fotoanalysen sowie Dokumenten- und Filmanalyse) zum Einsatz und werden zum Teil trianguliert. Insbesondere nutzen wir rekonstruktive, hermeneutische Zugänge, die in der Lage sind, Fall-strukturen aufzudecken, und verknüpfen diese mit Care-ethischen Analysen.

Ergebnisse: Die bisherigen Analysen verweisen auf eine Struktur verschränkter Vulnerabilitäten und Sorgeverantwortlichkeiten in der Konstellation der Live-in-Triaden, die als geeignete heuristische Matrix für eine tiefergehende Rekonstruktion von Aushandlungsprozessen und Interaktionsdynamiken erscheint.

Diskussion und Implikation für die Forschung: Die Triangulation theoretischer Perspektiven und methodischer Zugänge erweist sich als außerordentlich fruchtbar für ein theoretisches Verständnis der Aushandlung und Gestaltung der Versorgung einer Person mit Demenz im Mikrosetting häuslicher Live-in-Arrangements. Sie ist notwendig, um diese Form der Versorgung aus Versorgungsforschungsperspektive angemessen einordnen zu können. Darüber hinaus ist das Projekt TriaDe ein Beispiel für den Wert und die Potenziale rekonstruktiver Methoden der empirischen Sozialforschung für das Verständnis komplexer Strukturen im Rahmen der Versorgungsforschung.

Förderung: Einzelförderung (BMG, DRV, BMBF, DFG, etc); Projektnummer 509885213