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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Handlungsmodell: Der Umgang von Hebammen mit den Präferenzen Gebärender

Meeting Abstract

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  • Marie Tallarek - Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, FG Gesundheitswissenschaften, Senftenberg, Deutschland
  • Annemarie Jost - Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, FG Sozialpsychiatrie, Cottbus, Deutschland
  • Jacob Spallek - Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, FG Gesundheitswissenschaften, Senftenberg, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf405

doi: 10.3205/23dkvf405, urn:nbn:de:0183-23dkvf4055

Published: October 2, 2023

© 2023 Tallarek et al.
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Hintergrund und Stand der Forschung: Die Förderung einer selbstbestimmten Geburt wird in öffentlichen, fachlichen und politischen Diskursen zunehmend als ein Charakteristikum guter Geburtshilfe diskutiert. Der Grad der Selbstbestimmung hängt maßgeblich davon ab, inwieweit die Präferenzen (Wünsche, Vorstellungen) Gebärender verhandelt und umgesetzt werden (können). Bislang liegt jedoch keine aktuelle, empirisch informierte Theorie zum Umgang von Hebammen mit den Präferenzen Gebärender in Deutschland unter der Berücksichtigung verschiedener Geburtshilfe-Settings vor.

Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Im Rahmen des qualitativen Forschungsprojekts „Wie erleben Hebammen in Deutschland die Selbstbestimmung Gebärender?“ (2021–2024) wurde die folgende Fragestellung aus der Perspektive der teilnehmenden Hebammen untersucht: „Wie gehen Hebammen in Deutschland mit den Präferenzen Gebärender um?“.

Methode: Es wurden 11 problemzentrierte Einzelinterviews mit Hebammen durchgeführt. Eingeschlossen wurden Hebammen mit laufender oder abgeschlossener Ausbildung, deren letzte begleitete Geburt max. 6 Monate zurücklag. Ziel des Samplings war eine größtmögliche Varianz in Bezug auf repräsentierte Settings (Kliniken, Geburtshäuser, Hausgeburten), geografische Regionen und individuelle Merkmale (u.a. Erfahrung, Alter) der Teilnehmenden. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert, anonymisiert und mittels der Grounded Theory Methodologie nach Strauss/Corbin ausgewertet. Ein positives Ethik-Votum liegt vor.

Ergebnisse: Das Modell umfasst 7 Handlungsschritte:

1.
Situationsdeutung;
2.
Abwägen und Priorisieren relevanter Parameter;
3.
Bestimmen des Möglichkeitsrahmens für die Gestaltung der Geburt;
4.
Abgleich der Präferenz(en) mit dem Möglichkeitsrahmen;
5.
Verhandeln der Präferenz(en);
6.
Kontinuierliches Überwachen kontextueller/situativer Änderungen;
7.
ggf. Anpassen/Neubestimmung des Möglichkeitsrahmens.

Die Handlungen stehen in wechselseitiger Beziehung zu kontextuellen Bedingungen (strukturell; interpersonell; persönlich-individuell; gesundheitliche Situation; Geburtsverlauf; Geburtsverständnis). Selbstbestimmung ist gemäß des Modells auch dann möglich, wenn vorherige Präferenzen unter der Geburt verworfen, geändert und/oder neu entwickelt werden.

Diskussion: Das empirisch informierte Modell beschreibt, wie Hebammen mit den Präferenzen Gebärender umgehen und dadurch Selbstbestimmung unter der Geburt beeinflussen. Es trifft keine Aussage darüber, inwieweit eine Geburt als „gut“ erlebt wird oder gelten kann. Im weiteren Verlauf der Studie wird untersucht, inwieweit die Beziehungsgestaltung sich auf die Handlungsschritte auswirkt. Das induktiv entwickelte Modell sollte im Zuge weiterer Forschung hinsichtlich seiner Generalisierbarkeit überprüft werden.

Implikation für die Forschung: Das Modell leistet einen Beitrag zum Verständnis dessen, wie Hebammen mit den Präferenzen Gebärender umgehen, welche Einflussfaktoren und Abwägungen dabei von Bedeutung sind und inwieweit Selbstbestimmung auch verworfene, geänderte oder neu entwickelte Präferenzen unter der Geburt einschließt.

Förderung: Sonstige Förderung; Zukunftsprogramm für die Fachhochschulen des Landes Brandenburg (FH-Zukunft-BB)