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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

“Geteilte Dokumentation? – Nie gehört!” – Pilotierung und Evaluation einer digital geteilten Verlaufsdokumentation in der Psychiatrie

Meeting Abstract

  • Georgia Fehler - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland
  • Catharina Münte - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland
  • Stefan Hochwarter - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland
  • Charline Hibsch - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland
  • Martin Heinze - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland; Hochschulklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinischen Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland
  • Yvonne Eisenmann - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg, Medizinische Hochschule Brandenburg, Rüdersdorf bei Berlin, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf339

doi: 10.3205/22dkvf339, urn:nbn:de:0183-22dkvf3395

Published: September 30, 2022

© 2022 Fehler et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter-)nationaler Forschung: In Deutschland können Patient*innen nach dem Patientenrechtegesetz §§ 630a ff BGB Einsicht in ihre Patientenakte nehmen. Jedoch haben sie nur selten Kenntnis von diesem Recht. Im psychiatrischen Sektor erhalten Patient*innen nur nach medizinischer Einschätzung ihrer psychischen Stabilität Einsicht. Die 2010 in den USA gestartete Forschungsinitiative Open Notes untersucht partizipative Dokumentationsmethoden zur Steigerung der Transparenz in der Gesundheitsversorgung. Eine Zunahme individueller Gesundheitskompetenz, gestärkte Beziehungen zwischen Behandelnden und Patient*innen, sowie positive Effekte auf die gemeinsame Entscheidungsfindung führten zur Etablierung des Vorgehens in den USA und zunehmender Anwendung in den skandinavischen Ländern. In Deutschland findet dieser Ansatz bisher kaum Beachtung. Im Rahmen einer Pilotstudie wurde eine partizipative Patientenakte in einer psychiatrischen Tagesklinik evaluiert und weiterentwickelt, die einen digitalen und ortsunabhängigen Zugang zur Verlaufsdokumentation ermöglicht.

Fragestellung und Zielsetzung: Ziel der Studie ist die Untersuchung von förderlichen und hinderlichen Faktoren auf die Implementierung, Effekten auf die Kommunikation und den Behandlungsprozess sowie von Präferenzen im Hinblick auf die technische Umsetzung und das Design. Die Ergebnisse werden parallel in den Entwicklungsprozess integriert.

Methode: Die viermonatige Anwendung in der Praxis wurde mit einem explorativen Mixed Methods Ansatz evaluiert. Es wurden semistrukturierte Interviews mit Patient*innen (n=16) und Mitarbeitenden (n=12) geführt, um Bedenken und Erwartungen zu erfassen. In einem Prä-Post Design wurden die Einstellungen und Erfahrungen der beiden Personengruppen mittels Fragebögen und einem abschließenden Leitfadeninterview erfasst. Die Auswertung erfolgt mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) und mit Hilfe der Software MAXQDA. Die deskriptive Auswertung erfolgte mit dem Programm SPSS.

Ergebnisse: Die überwiegende Zahl der Teilnehmenden hatte wenig bis keine Vorkenntnisse zur digital geteilten Dokumentation. Sie äußerten sowohl positive als auch negative Aspekte bezüglich der Organisation, Nutzerfreundlichkeit und Dokumentationsgestaltung. Mitarbeitende bemerkten eine Sensibilisierung für eine wertschätzendere Sprache im Schriftgebrauch. Patient*innen gaben ein gesteigertes Verständnis für den Therapieprozess an. Sorgen der Behandelnden, dass sich therapeutische Mehraufwände z.B. durch Missverständnisse ergeben könnten, wurden nicht bestätigt. Deutlich wurde, dass ein prozessorientiertes Vorgehen vorteilhaft ist, um allen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Diskussion: Inhaltlich müssen Lösungen für die Diskrepanzen bei diversen Empfänger*innen der Dokumentation gefunden werden. Während gegenüber Kostenträgern eine defizitorientierte Dokumentation erforderlich ist, gilt gegenüber Patient*innen eine ressourcenorientierte Kommunikation als zielführend. Inwieweit und mit welchen Methoden eine Scheintransparenz vermieden werden kann, muss weiter untersucht werden und ist Teil einer zweiten Erhebung bis Ende 2022.