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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

Die Zweitmeinungsrichtlinie – Befragung von Patient*innen mit relevanten Indikationen zum Thema ZM

Meeting Abstract

  • Nadja Könsgen - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Barbara Prediger - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Lena Heinen - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Anna Schlimbach - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Simone Hess - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Susann May - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg (ZVF-BB), Medizinische Hochschule Brandenburg, Deutschland
  • Dunja Bruch - Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg (ZVF-BB), Medizinische Hochschule Brandenburg, Deutschland
  • Sebastian Liersch - Bereich Versorgungsmanagement, AOK Nordost. Die Gesundheitskasse, Deutschland
  • Stephanie Sehlen - Bereich Versorgungsmanagement, AOK Nordost. Die Gesundheitskasse, Deutschland
  • Dawid Pieper - Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke, Deutschland; Zentrum für Versorgungsforschung Brandenburg (ZVF-BB), Medizinische Hochschule Brandenburg, Deutschland; Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg, Institut für Versorgungs- und Gesundheitssystemforschung (IVGF), Medizinische Hochschule Brandenburg, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf287

doi: 10.3205/22dkvf287, urn:nbn:de:0183-22dkvf2878

Published: September 30, 2022

© 2022 Könsgen et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Seit 2018 können sich gesetzlich Krankenversicherte mit Indikation zur Hysterektomie (HE) oder Tonsillektomie/Tonsillotomie (TE/TT) eine unabhängige Zweitmeinung (ZM) nach Richtlinie (RL) einholen. Im Jahr 2020 wurde die Indikation Schulterarthroskopie (SA) hinzugefügt. Im Rahmen der ZM RL wird unter anderem festgelegt, wie Patient*innen aufgeklärt werden sollen, wer die ZM erbringen darf und wie sie erbracht werden muss. ZM hat es jedoch auch schon vor Einführung der RL gegeben.

Fragestellung und Zielsetzung: Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung von Einstellungen zu und Erfahrungen mit ZM von Patient*innen mit einer der zuvor genannten Indikationen.

Methode oder Hypothese: Im Oktober wurden Versicherte der AOK Nordost, die sich einer TE/TT (stationär Q1/18-Q2/20 und ambulant Q1/18-Q1/20), HE (stationär Q1/18-Q2/20) oder SA (stationär Q1/18-Q2/20 und ambulant Q1/18-Q1/20) unterzogen haben (n=8.862), postalisch zur Teilnahme eingeladen. Bei den Indikationen zur TE/TT und HE handelte es sich um eine Vollerhebung, während bei der SA aus Ressourcengründen nur eine Zufallsstichprobe realisiert werden konnte. Im November 2020 wurde ein Reminder verschickt.

Ergebnisse: Insgesamt erhielten wir n=1.633 Antworten (Teilnahmerate 18,4 %). Hiervon haben sich 476 vor der OP eine ZM eingeholt, 1.094 holten keine ZM ein und 63 machten keine (gültige) Angabe. Die ZM wurde zumeist bei Ärzt*innen in einer Praxis (249/476) oder im Krankenhaus (153/476) eingeholt. Bei rund der Hälfte der Befragten, die angaben sich eine ZM eingeholt zu haben, wurde die ZM bei dem Arzt/der Ärztin eingeholt, wo auch der Eingriff durchgeführt wurde (232/476). Die 3 häufigsten Gründe, warum keine ZM eingeholt wurde, waren: Vollstes Vertrauen zum Arzt (931/1.094 gaben an, dass dies eher/vollständig zutraf); Eingriff als letzte gesehene Möglichkeit (830/1.094); genügend Informationen (823/1.094). Von den Patient*innen mit HE und TE/TT, die nach Inkrafttreten der ZM RL operiert wurden (N=523), gaben 226 an, dass sie über ihr Recht auf Einholung einer ZM aufgeklärt wurden.

Diskussion: Gegeben der Tatsache, dass sich rund 30% der Befragten eine ZM eingeholt haben, scheint der Bedarf an ZM in der von der ZM RL betroffenen Patientengruppe hoch zu sein. Umgekehrt scheint das reale Versorgungsgeschehen zumindest partiell an den Regelungen im Rahmen der ZM RL vorbeizugehen. Beispielsweise dürfen ZM nicht dort eingeholt werden, wo der Eingriff auch durchgeführt werden soll. Ferner sind indikationsstellende Ärzt*innen verpflichtet, unter anderem über das Recht auf und den Ablauf einer ZM aufzuklären.

Praktische Implikationen: Es steht zu vermuten, dass die meisten ZM nicht so, wie in der ZM RL intendiert, eingeholt wurden. Da viele Patient*innen nicht über ihr Recht auf Einholung einer ZM nach RL aufgeklärt wurden, dürfte das Angebot vielen nicht bekannt sein. Die Gründe für die Abweichung des Versorgungsgeschehens zu den Regelungen der ZM RL sollten evaluiert und Maßnahmen getroffen werden, um den Bekanntheitsgrad zu erhöhen.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Patient*innen sollten über das Recht auf ZM vollständig und korrekt aufgeklärt werden.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01VSF18014