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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

Elterlicher Wunsch nach Webcamnutzung auf neonatologischen Intensivstationen: Ein Zeichen von mangelndem Vertrauen?

Meeting Abstract

  • Laura Mause - Universität zu Köln, Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Köln, Deutschland
  • Alinda Reimer - Universität zu Köln, Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Köln, Deutschland
  • Jan Hoffmann - Universität zu Köln, Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Köln, Deutschland
  • Till Dresbach - Universitätsklinikum Bonn, Neonatologie, Bonn, Deutschland
  • Dirk Horenkamp-Sonntag - Techniker Krankenkasse, Versorgungsmanagement, Hamburg, Deutschland
  • Melanie Klein - DAK Gesundheit, Versorgungsforschung und Innovation, Hamburg, Deutschland
  • Nadine Scholten - Universität zu Köln, Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft, Köln, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf236

doi: 10.3205/22dkvf236, urn:nbn:de:0183-22dkvf2362

Published: September 30, 2022

© 2022 Mause et al.
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Text

Hintergrund: Eltern von Frühgeborenen auf neonatologischen Intensivstationen können oft nicht dauerhaft bei ihrem Kind sein. Das Kind auf der Station zurückzulassen und nicht zu wissen, wie es ihm in dieser Zeit geht, ist für viele Eltern eine Herausforderung. Vertrauen in das medizinische Personal hilft ihnen, die Sorgen um den Zustand des Kindes zu mildern. Wenn es Eltern an Vertrauen fehlt, liegt der Versuch nahe, dieses durch andere Mittel zu kompensieren – z.B. durch Webcams, die es ihnen ermöglichen, ihr Kind auch während ihrer Abwesenheit zu sehen.

Fragestellung: Besteht eine Assoziation zwischen dem elterlichen Wunsch eine Webcam zu nutzen und dem Vertrauen in medizinisches Personal?

Methode: Im Rahmen der Studie Neo-CamCare wurde eine deutschlandweite, retrospektive Befragung durchgeführt. Angeschrieben wurden Eltern, deren Kind bei der Geburt unter 1.500 g wog und zum Zeitpunkt der Befragung 6–18 Monate alt war. Eltern, denen keine Webcam angeboten wurde, wurden gefragt, ob sie sich bei einem entsprechenden Angebot für diese entschieden hätten. Vertrauen wurde mittels der Skalen Vertrauen in Ärzte [1] und Vertrauen in Pflegekräfte (je 6 Items) gemessen. Unter Einbezug von Alter, Elternteil (Mutter vs. Vater/Partner:in), Bildung und Trait Anxiety [2] wurden logistische Regressionsmodelle berechnet.

Ergebnisse: Der Median für das Vertrauen in Ärzt:innen (Mdn=5.8) lag höher als für Pflegekräfte (Mdn=5.6; Maximum jeweils 6). 69 Prozent der Eltern hätte sich bei einem Angebot für die Nutzung einer Webcam entschieden. Diese Entscheidung war weder mit dem Vertrauen in Ärzt:innen noch mit dem Vertrauen in Pflegekräfte signifikant assoziiert. Auch für die elterlichen Faktoren ließ sich kein signifikanter Zusammenhang zum Webcamwunsch nachweisen.

Diskussion: Der elterliche Wunsch eine Webcam zu nutzen, sollte nicht als Zeichen für mangelndes Vertrauen in das medizinische Personal interpretiert werden. Das große Interesse an einer Webcamnutzung beruht möglicherweise auf vertrauensunabhängigen, individuellen Erwartungen und Nutzenvorstellungen.

Praktische Implikationen: Bei Einführung eines Webcamsystems sollten Pflegekräfte und Ärzt:innen darauf hingewiesen werden, dass der elterliche Wunsch nach Webcamnutzung kein Zeichen von mangelndem Vertrauen in die Arbeit des medizinischen Personals ist. Es gibt jedoch erste Ergebnisse anderer Studien, die darauf hinweisen, dass die Webcamnutzung dazu beitragen kann, Vertrauen in Pflegekräfte aufzubauen bzw. zu stärken.

Appell für die Praxis: Welchen Einfluss die tatsächliche Webcamnutzung auf das Vertrauen zwischen Eltern und Ärzt:innen und Pflegekräften hat, sollte mit Hilfe eines längsschnittlichen Studiendesigns weiter untersucht werden.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01VSF18037


Literatur

1.
Scheibler F, Kasper J, Turjalei A, Moisl D, Ommen O, Janßen C, Pfaff H. Entwicklung und Validierung der Skala "Vertrauen in den Arzt" im Kölner Patientenfragebogen (KPF). Klinische Diagnostik und Evaluation. 2011;4:63–77.
2.
Grimm J, editor. State-Trait-Anxiety Inventory nach Spielberger. Deutsche Lang- und Kurzversion. Methodenforum der Universität Wien. MF-Working Paper 2009/02. 2009.