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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

Gebären unter den Bedingungen der COVID -19 Pandemie – Interviews mit Müttern und Geburtshilfepersonal an zwei universitären Kliniken

Meeting Abstract

  • Martina Schmiedhofer - Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin, Deutschland; Jacobs University Bremen, Dept. Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Christina Derksen - Jacobs University Bremen, Dept. Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Johanna Dietl - Jacobs University Bremen, Dept. Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Reinhard Strametz - Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin, Deutschland; Wiesbaden, Hochschule RheinMain, Professur für Patientensicherheit, Wiesbaden, Deutschland
  • Freya Häußler - Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin, Deutschland
  • Sonia Lippke - Jacobs University Bremen, Dept. Psychology and Methods, Bremen, Deutschland; Wiesbaden, Hochschule RheinMain, Professur für Patientensicherheit, Wiesbaden, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf056

doi: 10.3205/22dkvf056, urn:nbn:de:0183-22dkvf0562

Published: September 30, 2022

© 2022 Schmiedhofer et al.
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Text

Hintergrund: Die COVID-19-Pandemie belastet weltweit die gesundheitliche Versorgung. Auch die Geburtshilfe ist herausgefordert. Die Begleitung durch Väter oder andere Bezugspersonen der Gebärenden ist limitiert und die Kommunikation mit dem geburtshilflichen Personal durch die Hygienemaßnahmen eingeschränkt. Das Personal muss Schutzmaßnahmen umsetzen, vermitteln und die Gebärenden unter den erschwerten Bedingungen versorgen.

Fragestellung und Zielsetzung: Erfassung der subjektiven Auswirkungen von Schutzmaßnahmen auf Gebärende und Personal zweier universitären Geburtskliniken um ggfs. Anpassungsbedarf aufzuzeigen.

Methode: Es wurden 35 halbstrukturierte Interviews mit 25 Müttern sowie 10 geburtsmedizinischen Fachkräften (4 Hebammen, 2 Ärzt:innen, 4 Pflegekräfte, 1 Assistentin) zu Belastungen und Bewältigungsstrategien geführt. Die Geburtstermine lagen zwischen Juli 2020 und Mai 2021 und deckten die Zeitspanne unterschiedlicher Pandemiephasen bezüglich Krankheitswissen, Bereitstellung von Hygiene- und Testmaterial sowie Impfstoffen ab. Das Sample schloss zwei COVID-19 positiv getestete Gebärende ein. Die Datenauswertung erfolgte mit Qualitativer Inhaltsanalyse.

Ergebnisse: Angesichts der Pandemie und der Sorge um das Neugeborene akzeptierten die Mütter die Einschränkungen weitgehend. Der Zugang des Vaters war auf die letzte Geburtsphase im Kreissaal begrenzt, andere Begleitpersonen ausgeschlossen. In der peripartalen Phase vor der Verlegung in den Kreissaal waren die Frauen mit den Wehenschmerzen häufig alleine. Viele fühlten sich isoliert und verunsichert. Die Versorgung im Kreissaal unterschied sich von pandemiefreien Zeiten durch die Hygienemaßnahmen, die die Kommunikation behinderten. Die COVID-19 positiv getesteten Frauen waren durch die verstärkten Schutzmaßnahmen belastender sozialer und physischer Isolierung ausgesetzt. Das Besuchsverbot auf der Wochenstation intensivierte Bonding und erleichterte Stillen, was positiv gesehen wurde. Digitale Kommunikation wurde als Ersatz persönlicher Kontakte intensiv genutzt. Das Personal war durch die organisatorischen Anforderungen in der Klinik belastet und konnte trotz erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber den Gebärenden dem professionellen Standard nicht gerecht werden. Die Abwesenheit der Väter oder anderer Vertrauenspersonen konnte nicht kompensiert werden. Deren Ausschluss wurde als Rückschritt in der Geburtshilfe gesehen, die lange für die aktive Teilhaberschaft von Vätern beim Geburtsvorgang gekämpft hatte.

Diskussion: Die Abwägung zwischen bedarfsgerechter Versorgung der Gebärenden und Schutz anderer Patient:innen führt zu einem professionellen Konflikt. Die Mütter bewältigten die Herausforderung durch das Gefühl geschützt zu sein, die Anwesenheit des Partners im Kreissaal, ungestörtes Bonding und intensive digitale Kommunikation.

Praktische Implikationen: Nebenwirkungen der Eindämmungsmaßnahmen müssen sorgfältig gegen das Infektionsrisiko abgewogen werden. Vor der Pandemie bestehender Personalmangel belastet die Versorgungssituation zusätzlich.

Appell für die Versorgung: Langzeitfolgen der Pandemie auswerten und Ressourcen anpassen.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01VSF18023