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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

Reduzierung unnötiger Krankenhauseinweisungen durch multiprofessionelle Versorgung älterer Notfallpatienten

Meeting Abstract

  • Petra Schönemann-Gieck - Institut für Gerontologie, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
  • Iris Groß - Landeshauptstadt Wiesbaden, Amt für Soziale Arbeit, Abteilung Altenarbeit, Wiesbaden, Deutschland
  • Norbert Hagner - Landeshauptstadt Wiesbaden, Berufsfeuerwehr, Rettungsdienst/Med. Gefahrenabwehr, Wiesbaden, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf024

doi: 10.3205/22dkvf024, urn:nbn:de:0183-22dkvf0245

Published: September 30, 2022

© 2022 Schönemann-Gieck et al.
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Text

Aktuelle Diskussionen zur Verhinderung von Klinikaufenthalten beschränken sich überwiegend auf somatische Parameter und die Frage, welche Diagnosen ambulant behandelt werden könnten. Insbesondere im Alter treten medizinische Notfälle jedoch zunehmend in Begleitung psychischer, sozialer und/oder pflegerischer Bedarfslagen auf. Rettungsdienste sind daher immer häufiger mit Notrufen konfrontiert, bei denen komplexe Versorgungsprobleme vorliegen. Die Aufnahme solcher Notfälle stellt Krankenhäuser vor große Herausforderungen, die sie unter den bestehenden Bedingungen oft nicht optimal versorgen können.

Mit dem Ziel, soziale Bedarfslagen älterer Bürgerinnen und Bürger möglichst frühzeitig zu erkennen und Klinikaufenthalte aus „sozialer Indikation“ zu verhindern, wurde ein Kooperationsverfahren zwischen dem Rettungsdienst und der kommunalen Altenhilfe entwickelt, datenschutzrechtlich geprüft und implementiert. Das Verfahren sieht eine Benachrichtigung des vor Ort zuständigen kommunalen Sozialdienstes vor, wenn Rettungskräfte bei ihren Einsätzen soziale Bedarfe wie Verwahrlosung, häusliche Unterversorgung, überforderte Angehörige oder soziale Isolation feststellen.

Gegenstand der Evaluation ist die Bewertung der Implementierung des Verfahrens sowie eine Einschätzung dessen Wirksamkeit hinsichtlich der avisierten Ziele a) Aufgreifen sozialer Bedarfe durch den Rettungsdienst und b) Vermeidung von unnötigen Krankenhausaufenthalten. Die Evaluation erfolgt auf Grundlage der dokumentierten Notfälle sowie einer Befragung der professionellen Akteure.

Die Auswertung zeigt auch vier Jahre nach Einführung eine steigende Inanspruchnahme durch die Leistungserbringer des Rettungsdienstes. Seit 2018 wurden über 450 hoch vulnerable Patienten identifiziert und der Sozialdienst eingeschalten. Das Durchschnittsalter liegt bei über 75 Jahren, etwa zwei Drittel der Stichprobe leben alleine und fast jeder fünfte hat keinen festen Ansprechpartner. In etwa der Hälfte der Fälle erfolgt eine Klinikeinweisung, da hier vor allem begleitende somatische Indikationen vorlagen.

Die befragten Akteure aus Rettungsdienst und Sozialarbeit bescheinigen dem Verfahren eine hohe Bedeutung für die Versorgung älterer Menschen in Notsituationen. Durch die Kooperation wird zudem ein fallbezogener Austausch zwischen den Akteuren ermöglicht, um insbesondere bei komplexen und schwierigen Fällen (Frequent Caller) ein weiteres Vorgehen gemeinsam abzustimmen.

Das Verfahren stellt eine mögliche Entlastung der zunehmend unter Druck stehenden Notfallversorgung dar. Es ermöglicht – zumindest teilweise – die Vermeidung unnötiger Klinikeinweisungen durch das frühzeitige Einleiten sozialer und pflegerischer Hilfen. Rettungskräfte empfinden es prinzipiell als große Erleichterung, neben medizinischen Maßnahmen auch soziale und pflegerische Hilfen einleiten zu können. Eine zentrale Bedeutung kommt hierbei gut ausgebauten und vernetzten ambulanten Angeboten sowie Case-Management-Strukturen vor Ort zu.

Notrufe älterer Patient*innen sind häufig auf komplexe Bedarfslagen zurückzuführen; Krankenhauseinweisungen könnten teilweise durch soziale und pflegerische Maßnahmen vermieden werden.