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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

NOVELLE 2: Notfallsituation in der ambulanten Pflege – Untersuchung der Berücksichtigung des Klienten*innenwillens

Meeting Abstract

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  • Lucie Deitmer - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Gesundheitswesen, Wolfsburg, Deutschland
  • Anna Westermann - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Gesundheitswesen, Wolfsburg, Deutschland
  • Carolin Becker - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Gesundheitswesen, Wolfsburg, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf428

doi: 10.3205/21dkvf428, urn:nbn:de:0183-21dkvf4286

Published: September 27, 2021

© 2021 Deitmer et al.
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Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Aufgrund eines Paradigmenwechsels in der gesundheitlichen Versorgung rückte die Patientensouveränität und -autonomie, sowohl auf der medizinischen, aber auch auf der pflegerischen, juristischen und gesellschaftlichen Ebene, immer mehr in den Fokus. Dieser Auffassung unterstützend wurde im Jahr 2013 das Patientenrechtegesetz im BGB verankert. Vor diesem Hintergrund soll die Berücksichtigung des Willens des Patienten bzgl. möglicher Behandlungen gewahrt werden.

Fragestellung und Zielsetzung: Vor allem in der ambulanten Pflege, in der es gehäuft zu Einsätzen des Not- und Rettungsdienstes und darauf aufbauend zu Krankenhauseinweisungen kommt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Klientenwillen in einer Notfallsituation in der ambulanten Pflege berücksichtigt wird.

Methode oder Hypothese: Zunächst wurde ein Scoping Review angefertigt, um einen vollumfänglichen Blick der Literaturlage zu erlangen. Zudem wurden sechs leitfadengestützte Experteninterviews mit Pflegedienstleitungen und Geschäftsführern ambulanter Pflegedienste durchgeführt.

Ergebnisse: Der Klientenwille nimmt eine hohe Stellung in der ambulanten Pflege ein, allerdings findet er in Notfallsituationen oftmals keine Berücksichtigung. Gründe dafür sind Faktoren wie Zeitdruck, Zeitmangel, Stress und das fehlende Wissen über eine vorhandene Willensäußerung oder ihren Aufbewahrungsort. Zudem scheint die allgemeine Einschätzung der Situation von der Expertise der Pflegefachkraft abzuhängen, sodass unzureichende Kompetenzen zu vermehrten Not- und Rettungsdiensteinsätzen führen. Notfallsituationen und auch die Berücksichtigung des Willens haben Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Pflegefachkraft und können ein weiterer Grund der Nichtberücksichtigung sein.

Diskussion: Für die ambulante Pflege bleibt fraglich, wie Notfallsituationen strukturierter gestaltet werden können, sodass Pflegefachpersonen sowohl ihrer pflegerischen Tätigkeit, als auch dem Willen des Klienten gerecht werden. Für die Situation der Notfälle sind ausreichende Qualifikationen und Fachkompetenzen des Pflegepersonals sicherzustellen. Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass eine psychische Unterstützung der Pflegefachpersonen erforderlich ist, um ernsthafte psychische Belastungen zu vermeiden.

Praktische Implikationen: Ziel sollte es sein, Pflegefachpersonal klare Vorgaben und Handlungsanweisungen für Notfallsituationen in der ambulanten Pflege zu geben, die den Umgang mit dem Willen des Klienten vorgeben, aber auch die Darstellung der Willensformulierung im Rahmen einer Patientenverfügung skizzieren. Zudem sollte der Qualifikation von Pflegepersonal im ambulanten Bereich eine höhere Aufmerksamkeit zugeschrieben werden. Supervisionen oder kollegiale Beratungen könnten psychische Belastungen reduzieren.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Es ist zwingend notwendig, die Pflege in den Fokus weiterer Forschungsprojekte zu stellen, da die Ergebnisse dieser Erhebung verdeutlichen, dass Pflegefachpersonen nicht nur in pflegerischen, sondern auch in ethischen Fragestellungen eine entscheidende Rolle spielen.