gms | German Medical Science

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Implementierung von Evidenzbasierten Entscheidungshilfen in die Routineversorgung: Gezielte Irritation der Organisation als Erfolgsfaktor?

Meeting Abstract

  • Fülöp Scheibler - UKSH, Köln, Deutschland
  • Marie Debrouwere - UKSH, Köln, Deutschland
  • Anne Rummer - UKSH, Köln, Deutschland
  • Jens Ulrich Rüffer - Takepart Media and Science GmbH, Köln, Deutschland
  • Christine Kuch - UKSH, Kiel, Deutschland; Solution Focussed Minds, Köln, Deutschland
  • Kai Wehkamp - UKSH, Kiel, Deutschland
  • Christian Weymayr - UKSH, Kiel, Deutschland
  • Friedemann Geiger - UKSH, Kiel, Deutschland
  • Marion Danner - UKSH, Köln, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf310

doi: 10.3205/21dkvf310, urn:nbn:de:0183-21dkvf3100

Published: September 27, 2021

© 2021 Scheibler et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Die Entwicklung von evidenzbasierten Entscheidungshilfen (EH) ist eine zentrale Intervention im Rahmen des Kieler Innovationsfondsprojekts zum SHARE TO CARE Programm (S2C; NVF17009). Trotz einer mittlerweile beachtlichen Anzahl in randomisierten Studien getesteter und nachweislich wirksamer EHs bleibt ihre Nutzung außerhalb von Studien hinter den Erwartungen zurück.

Fragestellung und Zielsetzung: Im Rahmen des S2C-Programms wurden mehrere Methoden entwickelt und getestet, die eine nachhaltige Implementierung der rund 80 geplanten EHs unterstützen sollen.

Methode oder Hypothese: Die zugrundeliegende Hypothese ist, dass sich die Wirkung der EHs in erster Linie durch die Irritationen (im Sinne der Systemtheorie) entfaltet, die sie in den Kliniken auslösen, in welchen sie entwickelt werden. Durch die Einbeziehung verschiedener Akteure in den Erstellungsprozess, werden immer wieder Diskussions- und Aushandlungsprozesse angeregt, die möglicherweise einen Kulturwandel bewirken, der einen stärkeren Effekt hat, als das bloße Verteilen fertiger EHs. Diese Hypothese soll anhand der Ergebnisse der Prozessevaluation und der im Rahmen des Projekts entwickelten Erstellungsprozesse näher untersucht werden.

Ergebnisse: Die Entwicklungsschritte einer evidenzbasierten EH im Rahmen des Share to care Programms umfassen:

1.
Kick-off,
2.
Scoping,
3.
Needs Assessment,
4.
Evidenzbericht,
5.
Texte/ Faktenboxen,
6.
Protagonisten für Filme,
7.
Film und Schnitt,
8.
Interne Abnahme,
9.
Abnahme durch KlinikerInnen,
10.
Nutzertestung,
11.
Externes Review,
12.
Ggf. Aktualisierung der Recherchen.

In jedem Schritt sind MitarbeiterInnen der jeweiligen Kliniken beteiligt. In vielen Fällen sind MitarbeiterInnen unterschiedlicher Berufsgruppen (Pflege, ÄrztInnen, PhysiotherapeutInnen, etc.) und Kliniken involviert. Häufig kommen auch Meinungsverschiedenheiten dieser Gruppen bezüglich einzelner Entscheidungen zutage, die in mehreren Revisionsrunden konsentiert werden müssen.

Diskussion: Bei der Implementierung der 80 EHs ergaben sich unterschiedliche Konstellationen („Störungsintensitäten“) in den 21 Kliniken und es zeigen sich anschließend unterschiedliche Nutzungshäufigkeiten. Aus diesen Konstellationen können erste vorsichtige Schlüsse gezogen werden, die darauf hindeuten, dass eher komplexere Diskussionsprozesse bei der Erstellung zu einer stärkeren Identifikation der KlinikerInnen mit dem Produkt und mit einer beständigeren Anwendung assoziiert sind.

Praktische Implikationen: Die Wirksamkeit von EHs ist nicht alleine von der Qualität ihrer Inhalte abhängig. Dieser Erkenntnis wird in bisherigen Checklisten zur Prüfung der Qualität von EHs noch zu wenig Rechnung getragen.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Die Implementierung von evidenzbasierten EHs bedarf ausreichender Zeit, weiterer Interventionen (z.B. des Trainings des Personals) und eines gewissen „Irritationsniveaus“ in der jeweiligen Organisation. Anwender sollten sich dieser Konsequenzen bewusst sein und diese in Kauf nehmen, wenn sie eine nachhaltige und effektive Nutzung der EHs anstreben.