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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Teilnehmende Beobachtung – eine innovative Methode für die Versorgungsforschung? Erfahrungen und Ergebnisse aus der Forschung in der Notfall- und Akutmedizin

Meeting Abstract

  • Andreas Wagenknecht - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin/Rettungsstellen, Campus Virchow Klinikum und Campus Charité Mitte, Berlin, Deutschland
  • Johannes Deutschbein - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Deutschland
  • Anna Schneider - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Deutschland
  • Martin Möckel - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arbeitsbereich Notfallmedizin/Rettungsstellen, Campus Virchow Klinikum und Campus Charité Mitte, Berlin, Deutschland
  • Liane Schenk - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft, Berlin, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf283

doi: 10.3205/21dkvf283, urn:nbn:de:0183-21dkvf2838

Published: September 27, 2021

© 2021 Wagenknecht et al.
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Text

Die Methode der Beobachtung spielt in der Methodendiskussion und der Forschungspraxis der Versorgungsforschung bislang eine untergeordnete Rolle. Beobachtungen ermöglichen eine weitere Perspektive auf das Versorgungsgeschehen jenseits von quantitativen Routinedaten, Fragebögen und qualitativen Interviews. Ziel des Beitrages ist es, am Beispiel der Forschung in der Notfall- und Akutmedizin, die Potenziale und Herausforderungen der Methode vorzustellen und kritisch zu diskutieren. Der Beitrag zeigt, welche (neuen) Fragestellungen und Perspektiven auf Versorgungsformen die Methode ermöglicht und mit welchen Herausforderungen die Durchführung von Beobachtungen einhergeht.

Den Hintergrund bilden Erfahrungen aus dem Projekt EMAAge II. Das Projekt erforscht die Bedürfnisse und Erfahrungen älterer und hochaltriger Patient*innen in der Notaufnahme. Mit der Beobachtung älterer Patient*innen wird der Behandlungsprozess von der Aufnahme bis zur Entlassung bzw. Verlegung erfasst und so ein detailliertes Bild des Notaufnahme-Aufenthalts und von Versorgungsabläufen rekonstruiert.

Die Methode konzentriert sich auf die Patient*innen und ihre Erfahrungen während der Behandlung, ohne auf sprachliche Vermittlung und Reflexion des Erlebten angewiesen zu sein. Dadurch ist sie besonders geeignet für Patient*innengruppen, die schwer zu befragen sind und in der Notaufnahmebehandlung vor Kommunikationsproblemen stehen können, wie z.B. Patient*innen mit Demenz oder Sprachbarrieren.

In der Beobachtungspraxis sind die Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeiten der Forscher*innen sowie deren Fähigkeit sich im Feld zu orientieren ohne die Abläufe zu stören von entscheidender Bedeutung. Spezifisches Vorwissen zu klinischen Abläufen und der Notaufnahme-Organisation stellt eine Voraussetzung dar.

Eine Standardisierung der Durchführung und Auswertung von Beobachtungen ist bisher kaum entwickelt, in Versorgungsforschungsprojekten aber möglich und nötig. Sie birgt zugleich die Gefahr, die offene und unvoreingenommene Herangehensweise an den Forschungsgegenstand einzudämmen. Die Reflektion des Verhältnisses von Offenheit und Standardisierung ist konstitutiv für den Forschungsprozess.

Beobachtungen erlauben und haben zur Voraussetzung eine Nähe zu den Patient*innen. Das steht u.U. im Konflikt mit Hygienemaßnahmen unter Pandemiebedingungen.

Da das Projekt als mixed-methods-Studie angelegt ist, werden weitere methodische Betrachtungen das Verhältnis von verschiedenen Datenarten und Erkenntnisreichweiten (Mikro/Makro) zueinander diskutieren.

Die Methode der Beobachtung stellt eine Herausforderung für die Forschenden und das beforschte Feld dar. Sie ermöglicht einen realistischen und inklusiven Zugang zum unmittelbaren Versorgungsgeschehen. Die ‚Kleinteiligkeit‘ der Beobachtungen und bislang fehlende Standardisierungen stellen zugleich Nach- und Vorteile der Methode dar. Die Verwendung von Beobachtungen in zukünftigen Versorgungsforschungsprojekten sollte mit einer kritischen und systematischen Reflexion der genannten Aspekte und methodologischer Annahmen der Versorgungsforschung einhergehen.