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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Telemedizinische Zweitmeinung aus Patientenperspektive

Meeting Abstract

  • Dunja Bruch - Medizinische Hochschule Brandenburg – Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Susann May - Medizinische Hochschule Brandenburg – Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Nadja Könsgen - Universität Witten/Herdecke, IFOM – Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Köln, Deutschland
  • Jan-Christoph Loh - Medexo GmbH, Berlin, Deutschland
  • Sebastian von Peter - Medizinische Hochschule Brandenburg – Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland
  • Edmund Neugebauer - Medizinische Hochschule Brandenburg – Theodor Fontane, Neuruppin, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf273

doi: 10.3205/21dkvf273, urn:nbn:de:0183-21dkvf2738

Published: September 27, 2021

© 2021 Bruch et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Für die Inanspruchnahme einer medizinischen Zweitmeinung (ZM) besteht ein heterogenes Angebot in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die ZM-Programme der Krankenkassen unterscheiden sich in der Art der Erbringung (persönlich vs. online) oder bei der Auswahl der Indikationen. Bei der telemedizinischen ZM werden alle Befunde sowie weitere Unterlagen und Selbstauskünfte über eine Plattform hochgeladen oder postalisch zugesandt. Diese werden durch den ZM-Anbieter aufbereitet und dem Fachspezialisten zur Verfügung gestellt. Der Patient erhält die ZM in Form eines schriftlichen Berichts.

Fragestellung und Zielsetzung: Aus welcher Motivation haben Patient:innen eine telemedizinische ZM in Anspruch genommen? Welche Vor- und Nachteile sowie Potentiale und Hürden bestehen aus Patientensicht?

Methode oder Hypothese: Zwischen 07/2019–02/2020 wurden 40 problemzentrierte Interviews mit Kund:innen eines ZM-Portals durchgeführt, die 2016–02/2019 eine telemedizinische ZM nach Aktenlage in Anspruch genommen haben. Die Interviews wurden mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet.

Ergebnisse: Die Gründe, eine ZM in Anspruch zu nehmen, lagen u.a. in der Rückversicherung zur OP-Empfehlung, der Suche nach konservativen Behandlungsmöglichkeiten sowie der Unzufriedenheit mit Ärzt:innen. Die telemedizinische ZM wurde gewählt, da dies dem ZM-Angebot der Krankenkasse entsprach oder eine zeitnahe persönliche ZM nicht möglich war. Als Vorteile wurden u.a. die Unabhängigkeit des Zweitmeiners, die gute Aufklärung, das Vorliegen eines schriftlichen, laienverständlichen Berichts sowie die Möglichkeit, telefonische oder schriftliche Rückfragen zu stellen, genannt. Als Schwierigkeit wurde beschrieben, die Beschwerden schriftlich darzustellen. Bei komplexen Erkrankungsbildern, die den ganzen Körper und nicht nur eng umschriebene Bereiche betreffen, wurde die ZM als zu spezifisch erlebt. Das persönliche Gespräch wurde als Ideal beschrieben. Dieses Ideal werde jedoch im Behandlungsalltag nicht erreicht, weil aufgrund des erlebten Zeitdrucks beim Arzt nicht alle relevanten Informationen eingebracht werden können.

Diskussion: Vorteile der telemedizinischen ZM liegen in der Kompensation von Defiziten in der Regelversorgung, bei denen eine unabhängige und zeitnahe ZM nicht sichergestellt werden kann. Zudem wird die Vollständigkeit der Befunde vor der ZM überprüft und der Patient erhält einen Bericht als Erinnerungsstütze. Als nachteilig wird erlebt, dass die unmittelbare Interaktion mit dem Arzt eingeschränkt ist. Fehlender persönlicher Kontakt kann unter Umständen durch schriftliche oder telefonische Rückfragemöglichkeiten und ausführliche Selbstauskunftsfragebögen ausgeglichen werden.

Praktische Implikationen: Aus Patientensicht ist die telemedizinische ZM kein Ersatz einer persönlichen ZM, aber eine wichtige Ergänzung insbesondere für Patient:innen mit eingeschränkter Mobilität oder der mangelnden Möglichkeit, einen zeitnahen Facharzttermin in der Nähe zu erhalten.

Appell für die Praxis: ZM-Angebote müssen auf die unterschiedlichen Patientenbedürfnisse und deren Erfordernissen zugeschnitten sein.