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Die Arzt-Patient-Kommunikation in der ambulanten medizinischen Versorgung von Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen aus Nutzersicht
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Published: | September 27, 2021 |
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Hintergrund und Stand der Forschung: Die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung wird trotz der 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention als defizitär beschrieben [1]. In diesem Kontext wird die Arzt-Patient-Kommunikation als eine zentrale Herausforderung genannt [2]. Allerdings gibt es bislang kaum Wissen darüber, welche Spezifika diese auszeichnet.
Fragestellung und Zielsetzung: Im Rahmen des MeZEB-Projektes werden Versorgungserfahrungen von Erwachsenen mit Behinderung u.a. im Hinblick auf die Arzt-Patient-Kommunikation untersucht. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern Barrieren in der Kommunikation einer bedarfsgerechten Versorgung im Wege stehen.
Design und Methode: Das Projekt besteht aus einer Interviewstudie und Beobachtungen, ergänzt durch Fragebogenerhebungen, Gruppendiskussionen und Experteninterviews. Dargestellt werden Teilergebnisse aus 31 leifadengestützten Nutzerinterviews. Diese wurden fallorientiert inhaltsanalytisch aufbereitet.
Ergebnisse: Herausforderungen in der Arzt-Patient-Kommunikation ergeben sich durch Kommunikationseinschränkungen der Patient*innen sowie Unsicherheiten der Ärzt*innen im Umgang mit diesen. Eine Besonderheit stellt die Begleitung von Zugehörigen und die damit einhergehenden Rollenzuschreibungen im Rahmen der Arzt-Patient-Kommunikation dar. TN erleben eine Diskriminierung durch Wort- und Themenwahl sowie Berührungsängste. Informationsbedürfnisse werden teilweise nicht gedeckt. Zentrale Themen sind Vertrauen und das Gefühl ernst genommen zu werden. Beides wird teilweise als Vorrausetzungen für das Aufsuchen von Ärzt*innen beschrieben. Förderlich für den Aufbau von Vertrauen sind Kenntnis und Berücksichtigung der individuellen Vorgeschichte, Ehrlichkeit und Empathie der Ärzt*innen. Misstrauen entsteht durch widersprüchliche Informationen, eine geringschätzige Haltung ggü. der Expertise der TN und das Nicht-ernst-nehmen von Sorgen.
Diskussion: Die Kommunikationsbarrieren unterscheiden sich je nach Perspektive sowie auch abhängig von der Beeinträchtigung und sind daher sehr heterogen. Für eine ganzheitliche Betrachtung der Arzt-Patient-Kommunikation müssen auch die Perspektiven der Ärzt*innen sowie strukturelle Aspekte der Versorgung berücksichtigt werden.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse bieten die Möglichkeit, Kommunikationsbarrieren besser zu verstehen und den Stellenwert der Arzt-Patient-Kommunikation in der Versorgung der Zielgruppe zu verdeutlichen. Maßnahmen können abgeleitet werden, um diese Barrieren zu überwinden.
Appell für die Praxis in einem Satz: Die Arzt-Patient-Kommunikation muss als zentrale Säule der Versorgung erkannt, an den Bedürfnissen der Nutzer*innen orientiert und Teil der ärztlichen Ausbildung werden.
Literatur
- 1.
- Engels D, Engel H, Schmitz A. Zweiter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung. Bonn: BMAS; 2016.
- 2.
- Hasseler M. Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen als vulnerable Bevölkerungsgruppe in der gesundheitlichen Versorgung. Die Rehabilitation. 2015;54(6):369–74.