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Neue Versorgungsform für Menschen ohne Lautsprache – partizipative Interviewstudie mit Betroffenen im Rahmen einer Evaluation
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Published: | September 27, 2021 |
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Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Menschen ohne Lautsprache sind oft auf Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation (UK) angewiesen. Diese Maßnahmen umfassen sowohl nicht-elektronische (z.B. Symbolkarten) als auch elektronische Hilfsmittel (z.B. Sprachcomputer). Die UK-Versorgung ist im deutschen Gesundheitssystem nicht eindeutig geregelt. Häufig werden aus dem Grund Kommunikationshilfen schon nach wenigen Wochen nur noch gelegentlich eingesetzt, weil Über-/Unterversorgung stattfindet, das therapeutische Team nicht ausreichend geschult ist oder Zuständigkeiten der beteiligten Stakeholder ungeklärt sind. Aufgrund dieser Versorgungsdefizite, wurde im Rahmen eines vom Innovationsfonds geförderten Projektes eine neue Versorgungsform (nVF) evaluiert, die einen bestehenden Selektivvertrag (SV) (unabhängige UK Diagnostik und Hilfsmittelberatung) um Case Management, UK-Patiententraining sowie UK-Therapie erweitert.
Fragestellung und Zielsetzung: Wie bewerten Menschen ohne Lautsprache die nVF?
Methode: Im November 2019 wurden 8 semistrukturierte Leitfaden-Interviews mit Menschen ohne Lautsprache zur Einschätzung der nVF geführt. Die Interviewten kommunizierten im Interview entweder mithilfe der im Rahmen der nVF erhaltenen Kommunikationshilfe, mit Symbolkarten oder mithilfe von Bezugspersonen. Die Interviews wurden mit einem Audioaufnahmegerät aufgenommen und es wurden Beobachtungsprotokolle erstellt. Die Transkripte wurden von zwei Forscherinnen unabhängig voneinander mit anschließender Konsensfindung mithilfe von strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016) ausgewertet.
Ergebnisse: Die Altersspanne der Interviewten lag zwischen 34-58 Jahre und 4 von 8 Interviewten waren weiblich. Die Hauptkategorien umfassen persönlichen Hintergrund der UK-Nutzer*innen, Kontextfaktoren, Umsetzung der nVF, Veränderungen seit Beginn der nVF sowie den Anpassungsbedarf der nVF. Die Teilnehmenden bewerteten die nVF eher positiv und berichteten Verbesserungen in der Kommunikationsfähigkeit, der Lebensqualität und der Teilhabe. Die Interviewten wünschten sich fast einstimmig noch mehr Unterstützung (z.B. mehr Therapieeinheiten).
Diskussion: Die Ergebnisse der Interviews deuten auf eine positive Umsetzung sowie Bewertung der nVF hin. Kontextfaktoren wie z.B. Rahmenbedingungen der Nutzung der Kommunikationshilfe oder Einstellungen der Bezugspersonen zur UK konnten als möglicher hinderlicher Einfluss auf die Zielerreichung der nVF identifiziert werden.
Praktische Implikationen: Die Interviews zeigen zum einen, dass diese Erhebungsform auch mit dieser Personengruppe bei gründlicher Vorbereitung durchführbar ist und zum anderen, dass die nVF von dieser Gruppe eher positiv bewertet wird. Es konnten Anpassungsbedarfe, Wünsche an die UK-Versorgung sowie für die Umsetzung der Intervention bedeutende Kontextfaktoren herausgearbeitet werden.
Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Menschen ohne Lautsprache können und sollten in die Forschung einbezogen werden, da sie wertvolle Informationen zur Evaluation von Interventionen liefern können.