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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Merkmale der elterlichen Entscheidungsfindung für oder gegen eine Impfung – die Rolle der ärztlichen Impfberatung unter Betrachtung der Partizipation

Meeting Abstract

  • Sandra Meyer-Moock - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abteilung Methoden der Community Medicine, Greifswald, Deutschland
  • Maresa Buchholz - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abteilung Methoden der Community Medicine, Greifswald, Deutschland
  • Bianca Biedenweg - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abteilung Methoden der Community Medicine, Greifswald, Deutschland
  • Thomas Kohlmann - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Abteilung Methoden der Community Medicine, Greifswald, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf156

doi: 10.3205/21dkvf156, urn:nbn:de:0183-21dkvf1564

Published: September 27, 2021

© 2021 Meyer-Moock et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Eine positive Wirkung von Partizipation, im Sinne der Teilhabe von Patient*innen an medizinischen Entscheidungen, konnte im Feld der Gesundheits- und Krankheitsversorgung bereits in zahlreichen Studien belegt werden [1]. In der Präventionsmedizin, speziell im Rahmen einer kinderärztlichen Impfberatung, findet das Konzept der partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) bislang kaum Anwendung.

Fragestellung und Zielsetzung: Aufgrund dieser Forschungslücke und der in Deutschland ungenügenden Impfquote bei Kindern verfolgt die Arbeit das Ziel, die Prozesse der elterlichen Entscheidungsfindung für oder gegen eine Impfung zu verstehen. Wir untersuchten die partizipativen Konstrukte der elterlichen Entscheidungsfindungsprozesse sowie die Rolle der ärztlichen Impfberatung in diesem Prozess. Aus den Forschungsbefunden wurden zudem Rückschlüsse für die Gestaltung der präventionsorientierten Impfberatung unter verstärkter Berücksichtigung der Partizipation abgeleitet.

Methode oder Hypothese: Mittels qualitativer Fokusgruppeninterviews wurden elf Mütter mit mindestens einem Kind im Alter zwischen 18 und 36 Monaten, das einen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) abweichenden Impfstatus aufwies, befragt. Die Interviews wurden auditiv aufgezeichnet, wortwörtlich transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet [2]. Ferner wurden Typen der elterlichen Entscheidungsfindung exploriert, dem theoretischen Konzept der Partizipationspyramide nach Straßburger & Rieger [3] gegenübergestellt und abschließend diskutiert.

Ergebnisse: Es zeigten sich drei Typen der elterlichen Entscheidungsfindung:

1.
ärztlich paternalistischer Typus,
2.
partizipativer Typus,
3.
Typus der elterlichen Selbstbestimmung.

Der überwiegende Teil der Teilnehmerinnen unserer Studie entsprach dem Typus 3 und entschied ohne Hinzunahme des ärztlichen Rates. Obwohl sie die ärztliche Impfberatung als wichtig einstuften, empfanden sie die Durchführung in der Praxis als unzureichend und sich in ihren Informationsbedürfnissen nicht vollständig wahrgenommen. Die eigeninitiierte Selbstinformation der Mütter und die darauf beruhende Risikobewertung für ihr Kind führten mehrheitlich zu der Entscheidung, sich gegen den STIKO-Impfplan zu richten. Je mehr das Wissen der Teilnehmerinnen auf Selbstinformation beruhte, desto größer war der Gegensatz zur ärztlichen Information, einhergehend mit fehlenden Merkmalen einer partizipativen Entscheidungsfindung.

Diskussion: Die ärztliche Impfberatung wurde bis heute kaum im Kontext der PEF untersucht. Da vor allem impfskeptische Eltern einen autonomen Weg der Informationsgewinnung wählen, könnte ein früh einsetzender partizipativer Entscheidungsfindungsprozess deren individuelles Informationsbedürfnis erfüllen und einen wertvollen Beitrag zur Impfakzeptanz leisten.

Praktische Implikationen: Eine verstärkte Berücksichtigung der PEF in die ärztliche Impfberatung fördert die Kommunikation zwischen Eltern und Ärzten*Ärztinnen und trägt folglich zu einer erhöhten Impfbereitschaft bei.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Eine wissenschaftliche und daraus folgend praktische Verankerung der PEF in die ärztliche Impfberatung ist notwendig, um

1.
die Kommunikation zwischen Eltern und Ärzten*Ärztinnen zu verbessern und
2.
die Impfbereitschaft zu erhöhen.

*gefördert von Pfizer Deutschland GmbH. Hinweis: Das Abstract enthält Daten, für deren Validierung/Speicherung Pfizer nicht verantwortlich ist.


Literatur

1.
Bieber C, Gschwendtner K, Müller N, Eich, W. Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) – Patient und Arzt als Team. Psychother Psychosom Med Psychol. 2016;66(5):195-207.
2.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 9. Aufl. Weinheim: Beltz; 2007.
3.
Straßburger G, Rieger J, editors. Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe. 2. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa; 2019.