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Notfalleinschätzung und Entscheidungskompetenz aus der Sicht von Patient*innen: Ergebnisse einer qualitativen Studie
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Published: | September 27, 2021 |
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Hintergrund und Stand (internationaler) Forschung: Notaufnahmen werden vermehrt auch von Patient*innen mit akuten, aber weniger dringlichen Behandlungsanlässen aufgesucht. Zur Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Inanspruchnahme stellen ein vertieftes Wissen zum Notfallempfinden sowie zu Entscheidungskompetenzen von Patient*innen eine wichtige Grundlage dar. Trotz wechselhafter Inanspruchnahme im Pandemiejahr 2020, zeigen unter anderem Vorstellungen wegen Angst vor COVID-19, dass die Problematik ungebrochen vorliegt.
Fragestellung/Zielsetzung: Ziel der Studie war die Erhebung des allgemeinen Notfallverständnisses von Patient*innen sowie der retrospektiven Einschätzung der eigenen Notfallsituation. Die Sicht der Interviewpartner*innen auf die generelle Fähigkeit von Patient*innen, angemessene Entscheidungen in Notsituationen treffen zu können, wurde ebenfalls erfasst.
Methode: Es wurden 17 qualitative leitfadengestützte Patient*inneninterviews geführt. Die Auswertung erfolgte anhand der qualitativen Inhaltsanalyse. Die Teilnehmer*innen stellen ein Subsample der prospektiven Kohorte der Mixed-Methods Studie EMACROSS dar. EMACROSS fokussiert sich auf Notaufnahmepatient*innen mit respiratorischer Symptomatik und ist Teilprojekt des Berliner Forschungsnetzwerkes EMANet.
Ergebnisse: Ein Großteil der Befragten empfand die eigene Notaufnahmekonsultation als Notsituation. Insbesondere schwerwiegende, potenziell lebensbedrohliche oder mit der Gefahr einer langfristigen Gesundheitsschädigung einhergehende Situationen wurden als Notfall eingestuft. Nach Ansicht der Befragten wird das Notfallempfinden von der subjektiv empfundenen Schwere der Symptomatik, der Assoziation mit Angst, sowie des situativen Fehlens adäquater Versorgungsalternativen beeinflusst. Die gesundheitlichen Kompetenzen anderer Patient*innen zur angemessenen Entscheidungsfindung in Notsituationen wurden allerdings von einer Mehrheit der Interviewpartner*innen negativ eingeschätzt. Diese „unsicheren Patient*innen“ wurden als weniger erfahren im Umgang mit akuten gesundheitlichen Problemen beschrieben. Vergleichsweise wenige Patient*innen - darunter jene mit chronischen Erkrankungen - wurden hingegen mit einer hohen Kompetenz assoziiert.
Diskussion: Angesichts der bestehenden Unsicherheiten und einer eingeschränkten Entscheidungsfähigkeit ist die Förderung der gesundheitlichen Kompetenzen von Patient*innen erstrebenswert, um deren Verhalten in Notsituationen zu stärken und damit letztlich eine angemessenere Inanspruchnahme zu erreichen.
Praktische Implikationen: Die Fähigkeiten und Bereitschaft von Patient*innen zur Einordnung von subjektiv wahrgenommenen Notfallsituationen sind sehr unterschiedlich ausgeprägt. Defizite in der individuellen Gesundheitskompetenz tragen zu vermeidbaren Notaufnahmekonsultationen bei. Dies stellt eine gesellschaftliche Herausforderung dar und erfordert zugeschnittene Maßnahmen.
Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Der Stärkung der bevölkerungsbezogenen Gesundheitskompetenz sollte im Gesundheitssystem eine hohe Priorität zukommen.