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Qualitative Interviews mit vulnerablen Patientengruppen – InterviewerInnen im Spannungsfeld zwischen Objektivität und Empathie
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Published: | September 27, 2021 |
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Hintergrund/Fragestellung/Problem: Die Studie HELP hat die Entwicklung und Implementierung von Entscheidungshilfen für LungenkrebspatientInnen mit eingeschränkter Prognose zum Ziel, um bei wichtigen Therapieentscheidungen Unterstützung zu bieten. Um die Entwicklung der Entscheidungshilfen an den Bedürfnissen der PatientInnen und Angehörigen auszurichten, wurden 15 semistrukturierte Interviews zu Wünschen, Bedürfnissen und Vorstellungen im Entscheidungsprozess geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Im Fall der Befragung vulnerabler Patientengruppen, wie z.B. LungenkrebspatientInnen, stehen InterviewerInnen (und Befragte) jedoch vor besonderen Herausforderungen. Durch die Diagnose erleben PatientInnen mit metastasiertem Lungenkrebs hohe physische, psychische, soziale und spirituelle Belastungen. Zudem sollen sie sich in der Befragungssituation des Interviews zu hochemotionalen Themen wie der Angst vor dem Sterben, dem Umgang mit ihrer Prognose oder der Hoffnung auf Heilung äußern, während der Interviewer professionelle Objektivität zu wahren hat. Wie können Interviewer in Gesprächen mit solch vulnerablen Patientengruppen die Balance aus Objektivität und Empathie wahren?
Lösungen und Lösungsvorschläge: Antworten auf diese Frage ergeben sich hierbei aus den Interviews selbst, denn neben den für das HELP-Projekt relevanten Ergebnissen zu Kommunikations- und Informationsbedarfen der PatientInnen, kann – unterstützt durch ausgewählte Beispiele/Ausschnitte aus den Interviews – verdeutlicht werden, welche Gesprächsführungstechniken bei Befragungen vulnerabler Patientengruppen hilfreich sind:
- Offene Fragen und Pausen aushalten: Gerade bei Themen, die emotional negativ besetzt sind, gilt es, Gesprächspausen (>3s) auszuhalten, ohne die Frage umzuformulieren, neue Varianten anzubieten oder Alternativfragen hinzuzufügen.
- Emotionen validieren: Das Sprechen über die Erfahrungen der PatientInnen mit ihrer Diagnose und den Entscheidungen zu Therapien bzw. Therapieabbrüchen löst bei den Befragten häufig starke Emotionen aus. Werden diese durch InterviewerInnen nicht validiert, kann das die Stimmung im Gespräch sowie den weiteren Gesprächsverlauf negativ beeinflussen. Hier gilt es, einerseits die objektive Perspektive des qualitativen Forschers zu wahren, gleichzeitig aber die Befragten mit empathischen Reaktionen, beispielsweise dem Spiegeln der dargebotenen Emotionen, zum Weiterreden zu ermutigen.
- Verbalisieren des „Rollenwechsels“: Dies kann eine gute Möglichkeit sein, PatientInnen auf der Beziehungsebene empathisch zu begegnen. Dabei wird verbalisiert, dass die Interviewer-Rolle zwar keine emotionalen Reaktionen zulässt, dass diese Grenzen jedoch kurz aufgehoben werden, um die PatientInnen in ihrer dargebotenen Emotion zu validieren.
Schlussfolgerung/Diskussion/Lessons Learned: Interviews mit vulnerablen Patientengruppen, bei denen es um existentielle Fragen geht, sind eine Herausforderung für die Gesprächsführung. InterviewerInnen sollten Erfahrung mit Gesprächsführungstechniken mitbringen und während des Interviews kontinuierlich ihre Rolle und die Anforderungen der Situation reflektieren.