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20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

06. - 08.10.2021, digital

Welche Bedeutung haben Leitlinien in der Primärversorgung? – Befunde einer Online-Befragung unter Hausärzt*innen in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Julian Wangler - Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland

20. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 06.-08.10.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21dkvf065

doi: 10.3205/21dkvf065, urn:nbn:de:0183-21dkvf0659

Published: September 27, 2021

© 2021 Wangler.
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Hintergrund: Medizinische Leitlinien sollen Versorgungsprozesse besser strukturieren und an wissenschaftlicher Evidenz ausrichten. Besonders für die hausärztliche Versorgung mit ihrer großen Breite an Symptomatiken und Krankheitsbildern können Leitlinien förderliche Potenziale entfalten. Voraussetzung hierfür ist eine positive Aufgeschlossenheit und Anwendungsbereitschaft von Hausärzt*innen.

Fragestellung: Ermittelt wird, welche Einstellungen und Erfahrungen Hausärzt*innen in Bezug auf Leitlinien vertreten, welche Erwartungen sie stellen und welche Verbesserungen ergriffen werden sollten, damit die hausärztliche Bereitschaft zur Leitliniennutzung weiter steigt.

Methode: Mittels einer Online-Befragung wurden zwischen April und August 2020 insgesamt 3.098 Hausärzt*innen in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz befragt.

Ergebnisse: 52% der Befragten sind positiv in Bezug auf Leitlinien eingestellt. Diese werden mit verstärkter Evidenzorientierung (69%), einer Vereinheitlichung von Diagnose- und Behandlungsstandards (62%) und einem Abbau von Über- oder Unterversorgung (57%) verbunden. 62% der Ärzte, die Leitlinien einsetzen, beobachten positive Effekte für die Versorgungsqualität. 67% bekunden, durch die Anwendung von Leitlinien die eigenen diagnostischen bzw. therapeutischen Kompetenzen verbessert zu haben. Indes wird die Implementierung oft als kompliziert (43%) und als Einschränkung der ärztlichen Handlungsfreiheit (63%) erlebt. Zur weiteren Optimierung wird v.a. eine stärkere Berücksichtigung nicht-medikamentöser Alternativen (46%), eine Thematisierung von Fragen der Lebensqualität (42%) und ein Vergleich von Therapieoptionen (39%) angeregt. Es fallen erhebliche Unterschiede zwischen Ärzt*innen in städtischen und ländlichen Praxisumgebungen auf.

Diskussion: Viele Hausärzt*innen halten Leitlinien für wichtige Instrumente der Entscheidungshilfe und trauen ihnen Evidenzorientierung, Strukturierung und Effektivität zu. Dennoch gibt es Problematiken bei der Vereinbarkeit mit den Praxisabläufen und Befürchtungen vor Einschränkungen der Therapiefreiheit. Damit sind die Resultate anschlussfähig an internationale Forschungsarbeiten.

Praktische Implikationen: Um die Attraktivität von Leitlinien für die Hausarztmedizin zu fördern, sollten diese anwendungsnah und übersichtlich gestaltet sein. Auch sollten ärztliche Handlungsspielräume betont werden. Die in Leitlinien gegebenen Empfehlungen sollten Möglichkeiten der Delegation innerhalb des Praxisteams aufzeigen. Bei der Leitlinienentwicklung sollte auf die Bedürfnisse von Ärzt*innen eingegangen werden, die Leitlinien bislang meiden.


Literatur

1.
Vollmar HC, Oemler M, Schmiemann G, Beck A, Baum E, Schluckebier I, Klement A, für die Sektion Qualitätsförderung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Einschätzung von Hausärzten zu Leitlinien, Fortbildung und Delegation. Z Allg Med. 2013;89:23-30. DOI: 10.3238/zfa.2013.0023–0030 External link