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Schwachstelle bei der Zuweisung von Patienten mit lumbalem Bandscheibenvorfall und Folgen für das Behandlungsergebnis im Langzeitverlauf
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Published: | September 25, 2020 |
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Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Die Indikationsstellung für die operative Therapie des lumbalen Bandscheibenvorfalls (BSV) wird kritisch diskutiert. Wie, wann und durch wen betroffene Patienten den Operateuren zugewiesen werden, findet dabei bislang kaum Beachtung. Für die Indikationsstellung durch den Operateur sind aber Faktoren wie die Dauer der Beschwerden oder bisherige Therapiemaßnahmen als Merkmale der Zuweisungsqualität relevant.
Fragestellung: Welchen Einfluss hat die Zuweisungsqualität bei Patienten mit Verdacht auf einen lumbalen BSV auf ihren weiteren Krankheitsverlauf?
Methode: Um die Zuweisungsqualität zu analysieren, wurde eine prospektive Analyse aller Patienten mit der Verdachtsdiagnose lumbaler BSV an einer Neurochirurgischen Universitätsklinik durchgeführt. Neben Symptomanamnese, klinischer Untersuchung und bisherigen konservativen Therapiemaßnahmen wurde bei der Erstvorstellung auch der zuweisende Arzt erfasst. Der behandelnde Neurochirurg beantwortete außerdem zwei Fragen:
- 0.
- Ist der Zuweisungszeitpunkt „zu früh“, „genau richtig“ oder „zu spät“?
- 0.
- Lässt sich eine relative, eine absolute, noch keine oder überhaupt keine Operationsindikation stellen?
Zuweisungszeitpunkt und OP-Indikation wurden dabei anhand der AWMF-Leitlinie zur Radikulopathie (2012) definiert. Der Krankheitsverlauf der Patienten wurde postalisch und telefonisch über 5 Jahre mittels standardisierter Fragebögen verfolgt.
Ergebnisse: Zwischen 6/2012 und 7/2013 konnten 127 Patienten (71 Männer/56 Frauen; 48±14 Jahre) eingeschlossen werden. Die meisten Zuweisungen erfolgten durch Allgemeinmediziner (35%) und Orthopäden (35%). Patienten ohne OP-Indikation waren selten (12%), eine relative oder absolute OP-Indikation bestand in 76% der Fälle. Bei 31% der Patienten hatte die Zuweisung „zu spät” stattgefunden, was mit längerer Krankheitsdauer (p=.077), häufigeren chronifizierten Schmerzen (p=.092) und einer vermehrten Einnahme von Opioiden verbunden war (p=.084). Bei diesen Patienten kam es nach chirurgischer Behandlung, welche in 62% der Fälle erfolgte, signifikant häufiger zu Komplikationen (p=.015), sie benötigten vermehrt eine stationäre Rehabilitation (p=.027) und erlitten im Langzeitverlauf häufiger ein Rezidiv ihres BSVs (p=.048). Im 5-Jahres Follow-Up zeigten sie jedoch keine niedrigere Lebensqualität (SF-36) oder vermehrte Rückenschmerzen (ODI, RMQ).
Diskussion: Als Schwachstelle der Zuweisungsqualität an eine Neurochirurgische Universitätsklinik zeigen unsere Daten eine zu späte Zuweisung von 31% der Patienten. Dies könnte neben einem längeren Leidensweg sogar zur Chronifizierung von Symptomen führen. Zudem entstehen durch vermehrte Pharmakotherapie, Rezidiv-OPs und Reha-Maßnahmen bei diesen Patienten möglicherweise vermeidbare Kosten für das Gesundheitssystem.
Praktische Implikationen: Entgegen der verbreiteten Sorge vor zu frühen Operationen wird eine zu späte Zuweisung und dadurch ggf. zu späte Operation bei 31% der Patienten mit lumbalem BSV identifiziert. Um die Versorgungsqualität und Patientensicherheit zu verbessern, sollten Leitlinien von Operateuren sowie von zuweisenden Ärzten berücksichtigt werden.