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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Evaluationsstrategien für komplexe Interventionen: welchen Vorteil bringen interpretative Ansätze für die qualitative Versorgungsforschung?

Meeting Abstract

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  • Sara Söling - Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaften, Universität Köln, Köln, Deutschland
  • Holger Pfaff - Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaften, Universität Köln, Köln, Deutschland
  • Ute Karbach - Fakultät Rehabilitationswissenschaften, Fachgebiet Rehabilitationssoziologie, Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf347

doi: 10.3205/20dkvf347, urn:nbn:de:0183-20dkvf3475

Published: September 25, 2020

© 2020 Söling et al.
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Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Qualitative Versorgungsforschungsstudien nutzen überwiegend inhaltsanalytische Ansätze. Für die Prozessevaluation komplexer Interventionen kann es vorteilhaft sein, zusätzlich auch interpretative Ansätze zu verwenden [1]. Im Rahmen der Innovationsfondstudie AdAM (Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management) (Fkz: 01NVF16006) wurde eine Methodentriangulation angewandt. Die Erforschung des Einflusses des Habitus` der teilnehmenden Hausärzte mittels Dokumentarischer Methode kann dazu beitragen, Praktiken im Umgang mit Polypharmazie besser zu verstehen.

Fragestellung und Zielsetzung: Welchen Einfluss hat der Habitus auf die Einführung eines digital unterstützten Arzneimitteltherapie- Management?

Methode oder Hypothese: Im ersten Jahr der Implementierung wurden Interviews und Fokusgruppen mit Hausärzten (n=27) durchgeführt. Erhobene Daten wurden inhaltsanalytisch und mit dokumentarischer Methode rekonstruktiv ausgewertet. Für die Sequenzanalyse wurden zwei Textstellen mit einer hohen metaphorischen Dichte ausgewählt. Sowohl die formulierende als auch reflektierende Analyse konnten dazu genutzt werden, drei Dimensionen zu rekonstruieren, die den gemeinsamen Erfahrungsräumen und Habitus zugeordnet werden konnten.

Ergebnisse: Die Auswertung der Sequenzen zeigte, dass die Einführung der Intervention wesentlich vom Habitus beeinflusst wird (drei Hauptdimensionen):

1.
Wissen (Interpretation der Ärzt*innen über die Relevanz des vermittelten pharmazeutischen Wissens für sich verändernde Entscheidungssituationen in der Polypharmazie),
2.
Ethik (med. Verhaltenskodex f. klinische Entscheidungsfindung und berufliche Verantwortung in digitalisierter Arbeitswelt),
3.
Erfahrungen (hausärztliche Konzepte und Praktiken evidenzbasierter Medizin auf Grundlage professioneller Erfahrungen mit Polypharmazie).

Die geführten Interviews und Fokusgruppen geben Hinweise, dass die Umsetzung der Intervention in Abhängigkeit zur jeweiligen Ausprägung des Habitus steht.

Diskussion: In vergleichbaren qualitativen Studien werden inhaltsanalytische Ansätze verhältnismäßig oft eingesetzt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es für unsere Fragestellung erkenntnisgewinnend war, verschiedene qualitative methodische Ansätze zu kombinieren. Inhaltsanalytische Ergebnisse waren nützlich, um den Kontext der Intervention aus Sicht der Ärzt*innen zu verstehen. Doch mit der Anwendung eines rekonstruktiven und theoretisch fundierten Verfahrens, der dokumentarischen Methode, konnte die Komplexität der Wirkweise des Habitus angemessen dargestellt werden.

Praktische Implikationen: Die Kombination von qualitativen Auswertungsmethoden führt zu einem umfassenden Verständnis komplexen Verhaltens. Weitere Grundlagenforschung und Anwendung rekonstruktiver Ansätze in der qualitativen Versorgungsforschung ist notwendig, um forschungspraktische Erkenntnisse zu erweitern.

Förderung: Innovationsfondstudie AdAM (Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management), Förderkennzeichen: 01NVF16006.


Literatur

1.
Moore GF, Audrey S, Barker M, Bond L, Bonell C, Hardeman W, Moore L, O'Cathain A, Tinati T, Wight D, Baird J. Process evaluation of complex interventions: Medical Research Council guidance. BMJ. 2015 Mar;350:h1258. DOI: 10.1136/bmj.h1258 External link