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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Dialyseversorgung in Deutschland: Strukturelle Barrieren behindern den Zugang zu äquivalentem Heimverfahren

Meeting Abstract

  • Tim Ohnhäuser - IMVR, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • Isabell Schellartz - IMVR, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • Holger Pfaff - IMVR, Universität zu Köln, Köln, Deutschland
  • Nadine Scholten - IMVR, Universität zu Köln, Köln, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf296

doi: 10.3205/20dkvf296, urn:nbn:de:0183-20dkvf2960

Published: September 25, 2020

© 2020 Ohnhäuser et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Etwa 80.000 Menschen in Deutschland sind aufgrund einer Niereninsuffizienz auf die Dialyse angewiesen. Hierbei lassen sich zwei Verfahren grundsätzlich unterscheiden: Die in einem Dialysezentrum durchgeführte Hämodialyse (HD) sowie die Peritonealdialyse (PD) als ein gleichwertiges Heimverfahren. Auch wenn nicht alle Patient*innen für die PD in Frage kommen, ist deren Anteil mit etwa 6% im internationalen Vergleich äußerst gering. Das hier vorgestellte Forschungsprojekt hat über drei Jahre hinweg die Hintergründe der niedrigen PD-Rate untersucht.

Fragestellung und Zielsetzung:

1.
Wie stellt sich die aktuelle Dialyse-Versorgungssituation in Deutschland dar?
2.
Welche Faktoren fördern bzw. hemmen den Einsatz der jeweiligen Dialyseverfahren?
3.
Welche Erkenntnisse lassen sich aus 1.+2. im Sinne der Wahrung von Patienteninteressen hinsichtlich der Therapiewahl ableiten?

Methode oder Hypothese: Mixed-Methods-Design bestehend aus qualitativen Studien (Interviews, Fokusgruppen) und quantitativen postalischen Befragungen der Zielgruppen (Patient*innen, niedergelassene Nephrolog*innen und Pflegekräfte); Analysen von Sekundärdaten (Qualitätssicherungsdaten eines Dialysezentrum-Trägers, GKV-Routinedaten, kassenärztliche Abrechnungsdaten) unter Erstellung von Mehrebenenmodellen, Multivariablen Regressionsmodellen sowie Propensity Score Matching im Rahmen einer Kostenanalyse.

Ergebnisse: Die Kostenanalysen sehen keine Unterschiede bei den Verfahren, darüber hinaus fallen bei der PD jedoch deutlich geringere Transportkosten an. Die Analysen der Abrechnungsdaten zeigen große regionale Unterschiede hinsichtlich des PD-Anteils, hier sind maßgebliche Praxiseffekte nachweisbar. Die zentrale Rolle der Nephrolog*innen bei der Auswahl des Dialyseverfahrens geht ebenso deutlich aus den Befragungen hervor. Demnach wurde z.B. ein großer Teil der Patient*innen (41%) nach eigener Aussage vor dem Dialysestart nicht über die Existenz der PD informiert. Die Nephrolog*innen selbst geben unzureichende PD-Ausbildungsinhalte in der Facharztausbildung an. Es zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Umfang der PD-Ausbildung und späterer PD-Quote in der Praxis.

Diskussion: Die niedrige PD-Rate in Deutschland ist weniger auf fundamentale Barrieren zurückzuführen als auf eine über viele Jahre gewachsene Benachteiligung des Verfahrens, zu der auch strukturelle Ausbildungsdefizite gehören. Die Praxisunterschiede deuten darauf hin, dass eine gleichwertige Information und Aufklärung über die PD als Dialyseverfahren in der Breite ausbleibt – mit entsprechenden Auswirkungen auf Alltag und Lebensqualität der Dialysepatient*innen. Primär aus diesem Grund, aber z.B. auch hinsichtlich der Förderung von Heimverfahren, lässt sich ein Handlungsbedarf zur Stärkung der PD ableiten.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse zeigen viele Aspekte auf, die eine stärkere Verbreitung der PD in Deutschland bislang verhindert haben. Sollte der politische Wille zu einer Ausweitung der PD-Verfahren bestehen, können die Projektergebnisse hierbei eine analytische Grundlage bilden.