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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Demenz im Pflegeheim – Blind Spot der Qualitätsmessung in Deutschland

Meeting Abstract

  • Susann Behrendt - Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin, Deutschland
  • Antje Schwinger - Wissenschaftlichen Instituts der AOK, Berlin, Deutschland
  • Chrysanthi Tsiasioti - Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin, Deutschland
  • Tanyel Özdes - Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin, Deutschland
  • Elisa Studinski - Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin, Deutschland
  • Martina Hasseler - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfsburg, Deutschland
  • Stephanie Krebs - Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wolfenbüttel, Deutschland
  • Gerald Willms - aQua-Institut, Göttingen, Deutschland
  • Carina Stammann - aQua-Institut, Göttingen, Deutschland
  • Jürgen Klauber - Wissenschaftliches Institut der AOK, Berlin, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf212

doi: 10.3205/20dkvf212, urn:nbn:de:0183-20dkvf2127

Published: September 25, 2020

© 2020 Behrendt et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Rund 70% der Bewohner in deutschen Pflegeheimen gelten als dementiell erkrankt. 90% von ihnen entwickeln psychische und Verhaltensstörungen. Für die Betroffenen, die Angehörigen und für die pflegerischen, ärztlichen sowie therapeutischen Akteure sind damit erhebliche Herausforderungen der Versorgung verbunden. Dass hier Optimierungsbedarf besteht, ist Fazit vieler Studien. Die novellierte gesetzliche Qualitätssicherung in der stationären Langzeitpflege widmet sich diesem Thema bislang jedoch kaum.

Fragestellung und Zielsetzung: Die Frage stellt sich, inwieweit demenzspezifische Indikatoren zur Qualität der berufsgruppenübergreifenden Versorgung in Pflegeheimen in Deutschland machbar und aussagekräftig sind. Der Beitrag prüft am Beispiel der Verordnung von Antipsychotika und der enteralen Ernährung bei Demenz das Potential von Routinedaten der Kranken- und Pflegeversicherung, hier Transparenz zu erhöhen, und präsentiert erste empirische Ergebnisse.

Methode oder Hypothese: In iterativen Prozessen erfolgte für jeden Indikator eine strukturierte Literaturrecherche zu Evidenz, Relevanz und Eignung im Kontext der Qualitätsmessung für die stationäre Langzeitpflege sowie die indikatorspezifische Konzeptionalisierung und Operationalisierung für die Datenbasis. Diese umfasst die anonymisierten, versichertenbezogenen Routinedaten der AOK Pflege- und Krankenkassen für 2016-2018. Zur Vermeidung von fehlerhaften Rückschlüssen aufgrund zu kleiner Fallzahlen wurden statistische Poweranalysen durchgeführt. Neben der Berechnung der einrichtungsbezogenen rohen Indikatorwerte erfolgte eine Adjustierung nach nicht durch die Versorgungsakteure beeinflussbaren Risikoprofils (u.a. Vorerkrankungen und Verweildauer via Ausschluss bestimmter Bewohnergruppen und GEE). Dies ermöglichte den Vergleich zwischen Pflegeheimen und im Zeitverlauf.

Ergebnisse: Mehr als ein Drittel der Pflegeheimbewohner mit mind. einer Antipsychotika-Verordnung im Jahr erhalten diese Wirkstoffe dauerhaft. Dabei variiert diese Prävalenz zwischen den Einrichtungen. Erste explorative Ergebnisse zur enteralen Ernährung bei dementiell erkrankten Pflegeheimbewohnern zeigen auch hier die Abbildbarkeit und Heterogenität im Setting Pflegeheim.

Diskussion: Die Analysen bestätigen kritische Befunde zur Diskrepanz von Leitlinie und Versorgungswirklichkeit bei Demenz im Pflegeheim für zwei konkrete Aspekte. Die Ergebnisse unterstreichen den Handlungsbedarf und verdichten das empirische Wissen zur Versorgungsqualität für die Mehrheit der Bewohnerschaft.

Praktische Implikationen: Da die Mehrheit der Pflegeheimbewohner in Deutschland dementiell erkrankt, Versorgungsdefizite bekannt und Indikatoren als Qualitätsmessinstrumente machbar sind, ist es angeraten, die Transparenz durch entsprechende Indikatoren zu verbessern. Neben der Nutzung im internen Qualitätsmanagement der Einrichtungen ist mittelfristig vorstellbar, die öffentliche Qualitätsberichtserstattung zu ergänzen. Die routinedatenbasierte Realisierung ist dabei mit relativ geringem Aufwand und ohne weitere Dokumentation durch die Pflegeheime verbunden.