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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

„Wenn’s ein gutes Team ist, sind die schlimmsten geburtshilflichen Notfälle gar nicht so schlimm“: Qualitative Interviews mit Fachkräften der Geburtshilfe zu Barrieren und Förderfaktoren sicherer Kommunikation

Meeting Abstract

  • Martina Schmiedhofer - Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin, Deutschland; Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Christina Derksen - Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Annalena Welp - Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Johanna Dietl - Aktionsbündnis Patientensicherheit, Berlin, Deutschland; Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Franziska Maria Keller - Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland
  • Sonia Lippke - Jacobs University Bremen, Psychology and Methods, Bremen, Deutschland

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf111

doi: 10.3205/20dkvf111, urn:nbn:de:0183-20dkvf1111

Published: September 25, 2020

© 2020 Schmiedhofer et al.
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Text

Hintergrund und Stand der Forschung: Patientensicherheit ist ein zentrales Ziel gesundheitlicher Versorgung. Unzureichende Kommunikation gilt als Hauptursache für menschliche Behandlungsfehler in Kliniken. Das Forschungsprojekt TeamBaby untersucht die Reduzierung vermeidbarer unerwünschter Ereignisse (VUE) in der Geburtshilfe durch bessere Kommunikation. In der Geburtshilfe tragen Hebammen die Verantwortung für die physiologische Geburt und Ärzt*innen für einen pathologischen Geburtsablauf. Die Kooperation erfordert präzise Kommunikation und zeitkritische Abstimmung.

Fragestellung: Welche Barrieren und Förderfaktoren nehmen geburtshilfliche Fachkräfte hinsichtlich einer sicheren (inter)professionelle Kommunikation wahr?

Methode: Zur Exploration der interprofessionellen Kommunikationskultur wurden an zwei universitären Geburtskliniken 8 Ärzt*innen, 7 Hebammen und 5 Pflegekräfte leitfadengestützt zur interprofessionellen Zusammenarbeit, Konfliktbewältigungsstrategien und Voraussetzungen optimaler Kommunikation befragt. Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch.

Ergebnisse: Berufsgruppenübergreifend besteht Einigkeit, dass die Entlastung von Dokumentations- und Organisationsaufgaben erhebliche Ressourcen für eine optimierte Kommunikation und bessere Patientinnenversorgung freisetzen würde. Der Respekt der Berufsgruppen untereinander ist hoch, auch wenn manchmal gewünscht wird, die anderen Professionen sähen den Umfang der eigenen Arbeitsanforderungen deutlicher. Junge Assistenzärzt*innen betonen, wie sehr sie auf das Erfahrungswissen der Hebammen angewiesen sind und von diesen lernen. Dabei entwickeln Hebammen durch die Begleitung der Gebärenden eine Beziehung, Ärzt*innen sind eher kurzfristig und bei pathologischen Geburtsverläufen involviert. Diese Schnittstelle der Kompetenzen ist ein strukturelles Konfliktfeld, für das die Ärzt*innen ihre Verantwortung für das Outcome betonen, wenn eine Entscheidung für den weiteren Geburtsverlauf getroffen werden muss. Hebammen können sich übergangen fühlen oder möchten mit späterer Information ggf. die ärztliche Arbeitsbelastung reduzieren. Die Ausprägung einer ‚Fehlerkultur‘, d.h. die generelle Akzeptanz subjektiver Fehlhandlungen innerhalb eines Teams ist bestimmend für die individuelle Bereitschaft, Unsicherheiten zuzugeben, in Stresssituationen Fragen zu stellen und auch Ranghöhere auf mögliche Fehlhandlungen hinweisen. Strukturierte regelmäßige Besprechungen von Konfliktsituationen und Arbeitsabläufen werden als förderlich für eine gute Zusammenarbeit genannt.

Diskussion: Trotz struktureller Arbeitsbelastungen kann Kommunikation gezielt verbessert werden. Dazu gehört ein größeres Verständnis für die Anforderung der anderen Berufsgruppen, die Förderung einer Fehlerkultur, interprofessionelle Besprechungen und flache Hierarchien.

Praktische Implikationen: Neben der Reduzierung struktureller Belastungen können interprofessionelle Kommunikationstrainings die Vermeidung von VUEs fördern.


Literatur

1.
Lippke S, Wienert J, Keller FM, Derksen C, Welp A, Kötting L, Hofreuter-Gätgens K, Müller H, Louwen F, Weigand M, Ernst K, Kraft K, Reister F, Polasik A, Huener Nee Seemann B, Jennewein L, Scholz C, Hannawa A. Communication and patient safety in gynecology and obstetrics - study protocol of an intervention study. BMC Health Serv Res. 2019 Nov;19(1):908. DOI: 10.1186/s12913-019-4579-y External link