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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

30.09. - 01.10.2020, digital

Klinische Behandlungspfade in GKV-Routinedaten: (Monetäre) Bewertung von Fehlversorgung am Beispiel Darmkrebsfrüherkennung

Meeting Abstract

  • Dirk Horenkamp-Sonntag - Techniker Krankenkasse, Hamburg, Deutschland
  • Christoph Skupnik - Techniker Krankenkasse, Hamburg, Deutschland
  • Judith Liebentraut - Techniker Krankenkasse, Hamburg, Deutschland
  • Susanne Engel - Techniker Krankenkasse, Hamburg, Deutschland
  • Herbert Koop - ehem. Helios Klinikum Berlin-Buch, Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Gastroenterologie, Berlin,

19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). sine loco [digital], 30.09.-01.10.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dkvf104

doi: 10.3205/20dkvf104, urn:nbn:de:0183-20dkvf1045

Published: September 25, 2020

© 2020 Horenkamp-Sonntag et al.
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Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Seit 2002 gehört die Früherkennungskoloskopie mit ca. 20 Mio. Anspruchsberechtigten zum GKV-Leistungskatalog; dabei werden gutartige Vorstufen von Darmkrebs (Polyen) bei ca. 40% der Teil-nehmer gefunden. Bei auffälligen Befunden (in Abhängigkeit von Größe, Zahl und Histologie entfern-ter Polypen) variiert die Indikation zur Kontrollkoloskopie zwischen 3 und 5 Jahren. Ansonsten besteht erst nach 10 Jahren ein erneuter Anspruch auf eine (Kontroll-) Koloskopie.

Fragestellung und Zielsetzung: Es wurde untersucht, inwiefern Kontroll-Koloskopien zu früh (< 2 Jahre) nach dem Befund der Index-koloskopie erfolgen (Überversorgung) und inwiefern dies mit Mehrkosten verbunden ist.

Methode: Datenbasis sind GKV-Routinedaten von 2014 bis 2018 von 1,26 Mio. koloskopierten TK-Versicherten. Durch Heranziehen spezifischer Leistungen (EBM-GOP und ICD-Codes) wurde auf die Darmkrebs-früherkennung bei „Gesunden„ (2 Jahre vorher keine Koloskopie) fokussiert (n=71.070 Versicherte). Dieses Kollektiv wurde aufgeteilt in Versicherte mit leitlinienkonformer Durchführung einer Koloskopie (LL-Gruppe, n=67.780) und Versicherte mit Re-Koloskopie innerhalb von 6-24 Monaten (Re-Kolo-Gruppe, n=3.290) nach Indexkoloskopie.

Ergebnisse: In der Re-Kolo-Gruppe findet sich bei 83,5% der Versicherten bei der Re-Koloskopie (mind.) eine medizinische Indikation, v.a. Adenome/Polypen (42,7%) und Polypektomien (21,0%). Die anderen Indikationen verteilen sich auf unterschiedlich (kleinere) Krankheitsentitäten wie Gastroenteritiden (3,1%) und Reizdarmsyndrom (2,0%), wobei diese Indikationen nicht per se die Durchführung einer Koloskopie „rechtfertigen“. Bei 543 Versicherten lag keine erkennbare Koloskopie-Indikation vor, bei 94 Versicherten waren nicht abrechnungskonforme Leistungen der Darmkrebsfrüherkennung doku-mentiert.

In der LL-Gruppe betragen die gesamten Kosten pro Versichertem im 4-Jahrszeitraum 9.286,89€, in der Re-Kolo-Gruppe 19.040,97€. Während die Kosten vor Durchführung der Indexkoloskopie zwi-schen den beiden Gruppen ähnlich sind (LL Ø 2.007,15€, Re-Kolo Ø 2.421,21€), fallen nach dem Zeit-punkt der Erstkoloskopie in der Re-Kolo-Gruppe deutlich höhere Kosten an, was vor allem auf den stationären Bereich (+303,2%), das Krankengeld (+247,1%), ambulante OP-Kosten (+265,2%) und Arzneimittel (+199,5%) zurückzuführen ist.

Diskussion: Obwohl eine Karenzzeit von 6 Monaten nach Erstkoloskopie berücksichtigt wurde, existiert eine relevante Anzahl von Kontroll-Koloskopien, die nach Abgleich mit potentiellen Anwendungsindikationen über den medizinischen Bedarf hinauszugehen scheinen (Überversorgung). Dieser Effekt geht in den 24 Monate nach Indexkoloskopie mit deutlich höheren Kosten einher.

Praktische Implikationen: Die ab 2021 gesetzlich vorgeschriebene Einführung einer elektronischen Patientenakte sollte durch adäquate Erinnerungsinstrumente dahingehend ausgebaut werden, dass durch individuelle und risiko-adaptierte Feedback-Mechanismen eine leitlinienkonformere Durchführung von Kontroll-Koloskopien gewährleistet werden kann.